Palästinenser und Israel:Nakba, die Katastrophe

Nachbarn hinter Mauern: 60 Jahre nach der Gründung des Staates Israel haben die Palästinenser wenig vorzuweisen. Außer dem Streit ihrer Führer.

Tomas Avenarius

Während die Israelis voller Stolz und Enthusiasmus den 60. Jahrestag der Gründung ihres Staates feiern, fühlen sich die Palästinenser als Verlierer der Erfolgsgeschichte Israels.

Palästinenser und Israel: Nicht nur ein Volk ohne Land, sondern auch intern gespalten: Palästinenser demonstrieren in Israel gegen den Bau der israelischen Sicherheitsmauer. (Archivbild)

Nicht nur ein Volk ohne Land, sondern auch intern gespalten: Palästinenser demonstrieren in Israel gegen den Bau der israelischen Sicherheitsmauer. (Archivbild)

(Foto: Foto: dpa)

In den arabisch-israelischen Kriegen von 1948 und 1967 aus ihrer Heimat vertrieben, bleibt ihnen bis heute wenig: Das Gebiet, über das die Palästinenser für einen möglichen künftigen Staat verhandeln, macht knapp ein Viertel des historischen Palästina aus. Und angesichts der israelischen Verhandlungstaktik ist abzusehen, dass sie nicht einmal dies in Gänze bekommen werden - falls es überhaupt jemals einen Palästinenserstaat geben sollte.

Die zehn bis elf Millionen Palästinenser sind ein weit verstreutes Volk: Nur rund eine Million Menschen leben - weitgehend gleichberechtigt - als israelische Araber in Israel. Das sind 20 Prozent der israelischen Bevölkerung. Viel schlechter geht es den etwa 3,5 Millionen Palästinensern im israelisch besetzten Westjordanland und im Gaza-Streifen: Vor allem das Leben im hermetisch abgeriegelten Gaza-Gebiet kommt für die 1,5 Millionen Einwohner dem Dasein in einem riesigen Gefängnis gleich, die Bevölkerung dort ist mittlerweile weitgehend von Hilfslieferungen aus dem Ausland abhängig, weil die lokale Wirtschaft zusammengebrochen ist. Nicht einmal die Grundversorgung ist gesichert: Israel hat eine Wirtschaftsblockade gegen die in Gaza regierende, militante Hamas verhängt.

Kontrollposten und Straßensperren

Im Westjordanland ist das Leben geprägt von israelischen Kontrollposten und Straßensperren. Spezialstraßen für jüdische Siedler sind für Palästinenser tabu. All dies macht jede Fortbewegung zwischen den palästinensischen Städten und Dörfern zu einer Art Spießrutenlauf oder zur Irrfahrt. Dies erinnere ihn schmerzhaft an das einstige ApartheidSystem in seinem Land, hat der südafrikanische Friedensnobelpreisträger, Bischof Desmond Tutu, über die israelische Besatzung gesagt.

Weitere zig Millionen Palästinenser leben im Exil: weitgehend assimiliert in Jordanien, oft staatenlos in den riesigen Flüchtlingslagern der Nachbarländer Syrien, Libanon und Ägypten, manchmal vollständig zu Bürgern der jeweiligen Staaten geworden, wie in Europa oder den USA. Die Frage des von den Vereinten Nationen zugesicherten Rückkehrrechts für all diese Flüchtlinge ins historische Palästina und ins heutige Israel ist daher einer der Hauptstreitpunkte zwischen den Israelis und den Palästinensern: Israel kann der Rückkehr des palästinensischen Millionenheers nicht zustimmen, wenn es seinen Charakter als "jüdischer Staat" wahren will.

Zu den israelischen Gründungsmythen gehört es, dass die zionistischen Siedler des späten 19. Jahrhunderts als "Volk ohne Land" in ein Land ohne Volk aufgebrochen seien. Das stimmt nicht: Die arabische Bevölkerung siedelte bereits dort - und sie lebte lange Zeit friedlich mit den einwandernden Juden zusammen. Die Araber verstanden sich damals noch mehr als Teil der Umma - der islamischen Weltgemeinschaft - und als Untertanen des Osmanen-Sultans im fernen Istanbul, sowie später der Briten - denn ausdrücklich als Palästinenser.

Die Gründung Israels und der danach von der arabischen Seite begonnene Krieg führten zur "Nakba", zur palästinensischen Katastrophe. Vor dem Krieg fliehend, verließen die Araber ihre Dörfer. Hunderttausende aber wurden auch gezielt vertrieben: Israelische Regierungsdokumente belegen, dass die Zerstörung arabischer Dörfer und die Vertreibung ihrer Bewohner von oben angeordnet worden war.

Der Historiker Benny Morris belegt in seinem Standardwerk über die Geburtsstunde des palästinensischen Flüchtlingsdramas, dass die wenigsten Araber den Aufrufen ihrer Führung zu einer Flucht gefolgt seien; vielmehr flüchteten die meisten aus Panik oder aufgrund gezielter Vertreibungsaktionen der israelischen Armee.

1967 folgten die Flüchtlingswellen des zweiten großen israelisch-arabischen Krieges: Israel zerstörte im Überraschungsschlag die vereinten Armeen der arabischen Nachbarn im Sechs-Tage-Krieg. Es besetzte den zu Ägypten gehörenden Gaza-Streifen und das von Jordanien verwaltete Westjordanland und Ost-Jerusalem; fast vier Millionen Palästinenser gerieten unter israelische Herrschaft.

Der Aufstieg der Islamisten

Den erfolglosen Kriegen der arabischen Staaten gegen Israel folgte der im Untergrund organisierte palästinensische Widerstand: zuerst von 1967 an durch die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) unter Jassir Arafat, von den späten neunziger Jahren an auch durch die radikal-islamischen Gruppen rund um Hamas. Arafat als Übervater der Palästinenser versuchte seine Ziele mit einer Mischung aus Militanz, Terror und Politik durchzusetzen, siegreich war er dabei nicht. Auch fast vier Jahre nach Arafats Tod - und trotz des für eine Weile erfolgreich wirkenden Oslo-Friedensprozesses der neunziger Jahre - bleiben die Palästinenser ein Volk ohne Staat.

Inzwischen hat die islamistische Hamas die Führung des "Widerstands" übernommen. Sie verweigert die Anerkennung des Existenzrechts Israels, was auch Arafats PLO lange tat, beschießt den Süden Israels mit Raketen und schickt Selbstmordattentäter los. Berufen kann Hamas sich auf den palästinensischen Nationalismus, den die Radikalen mit ihrer Ideologie eines politischen und militanten Islams geschickt unterfüttern. Hamas hat inzwischen die Meinungsführerschaft übernommen.

Die Islamisten erhalten zudem mehr oder minder offene Unterstützung aus Iran und Syrien. Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ist bis heute auch eine politische Pokerkarte in den Machtkämpfen des Nahen Ostens. Und jeder weitere Tag ergebnisloser Verhandlungen des säkularen Palästinenserpräsidenten Machmud Abbas mit den Israelis macht Hamas nur noch stärker - und eine rasche Friedenslösung zwischen Palästinensern und Israelis unwahrscheinlicher.

Die Palästinenser sind inzwischen nicht nur ein Volk ohne Land. Sie sind mittlerweile auch ein gespaltenes Volk: Die mit der säkularen Arafat-Partei Fatah zerstrittene Hamas regiert den von den Israelis 2005 geräumten Gaza-Streifen, die Fatah beherrscht das Westjordanland. So haben die Palästinenser 60 Jahre nach der Gründung des Staates Israel praktisch nichts vorzuweisen - außer dem Streit ihrer Führer.

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