Palästinenser:In Handschellen an der Decke

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Blick in ein Gefängnis der Palästinenser in Gaza-Stadt. (Foto: Mohammed Salem/Reuters)

Menschenrechtler werfen nicht nur der Hamas "systematische Folter" vor, sondern auch der Autonomiebehörde von Palästinenserpräsident Abbas. Dabei gelten Abbas und seine Behörde international als respektierte Gesprächspartner.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Es ist ein 149 Seiten umfassender Bericht, an dem die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zwei Jahre lang gearbeitet hat: 147 Gespräche wurden geführt und 86 Fälle von angeblichen Misshandlungen untersucht. Die renommierte Institution zieht aus ihren Recherchen den Schluss, dass sowohl die radikalislamische Hamas als auch die Autonomiebehörde Menschenrechtsverletzungen in den palästinensischen Gebieten begehen. Die Organisation geht sogar so weit festzustellen, dass dies "systematisch" und "routinemäßig" geschehe - durch Drohungen, willkürliche Festnahmen und Gewalt gegen Häftlinge.

Der Bericht trägt den Titel "Zwei Autoritäten, ein Weg, null Dissens." Dass die seit 2007 im Gazastreifen regierende Hamas Kritiker festnimmt und auch foltern lässt, ist bekannt. Aber bisher wurden der von Präsident Mahmud Abbas geleiteten palästinensischen Autonomiebehörde, die auch den Sicherheitsbereich kontrolliert, keine regelmäßigen Vergehen vorgeworfen. Es wurden lediglich Einzelfälle von unangemessener Behandlung im Westjordanland publik. "Systematische Folter als Teil von Regierungspolitik ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit", sagte der für Israel und die palästinensischen Gebiete zuständige Büroleiter, Omar Shakir. Diese Vergehen könnten vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag geahndet werden.

Dem Bericht zufolge foltern Sicherheitskräfte im Westjordanland Gefangene mit Schlägen und Elektroschocks und lassen sie schwer erträgliche Positionen einnehmen. Der Journalist Sami al-Sai, der 2017 wegen angeblicher Verbindungen zur Hamas festgenommen wurde, berichtete den Mitarbeitern der Menschenrechtsorganisation, er sei in Gewahrsam unter anderem geschlagen und mit Handschellen an der Decke aufgehängt worden. Unter Folter legte er schließlich ein Geständnis ab und kam erst nach drei Monaten aus dem Gefängnis frei.

Überraschend ist auch, dass den Sicherheitskräften im Westjordanland vorgeworfen wird, sie würden wiederholt Anhänger von Mohammed Dahlan misshandeln. Dahlan ist der in Ungnade gefallene Rivale von Präsident Abbas, der im Exil lebt und den sich ein Teil der Palästinenser als Nachfolger für den 83-Jährigen wünscht. Nachdem die Umsetzung des vor einem Jahr geschlossenen Versöhnungsabkommens zwischen der Hamas und der von Abbas geführten Fatah gescheitert ist, nehmen auch die Repressalien gegen die jeweiligen politischen Gegner zu.

Die Führung in Ramallah gilt als ein respektierter Gesprächspartner

Laut dem Bericht wird gezielt gegen Menschen vorgegangen, die der Zusammenarbeit mit der Gegenseite verdächtigt werden. Dabei reiche es oft schon, einen Facebook-Eintrag zu schreiben oder einer Organisation anzugehören, in der sich Kritiker versammeln. Die Mitgliedschaft in einer Studentengruppe sei schon ein Indiz, um als Dissident zu gelten.

Die Organisation dokumentiert mehr als zwei Dutzend Fälle, wonach Menschen ohne nachvollziehbaren Grund festgenommen worden sind. Auch im Gazastreifen werden Gefangene dem Bericht zufolge systematisch misshandelt.

Während die Hamas von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird, gelten Abbas und Vertreter der palästinensischen Autonomiebehörde als respektierte Gesprächspartner. Human Rights Watch verlangt unter anderem von der EU, den USA, der Türkei und Katar, ihre Unterstützung einzustellen, bis diese Praktiken beendet werden - diese Forderung gilt sowohl für die Hamas als auch für die von der EU großzügig unterstützte Autonomiebehörde.

"Forderungen palästinensischer Vertreter, die Rechte der Palästinenser zu schützen, klingen hohl, während sie selbst Kritik im Keim ersticken", sagte Vize-Programmdirektor Tom Porteous. Auch wenn durch die israelische Besatzungspolitik die Palästinenser 25 Jahre nach dem Oslo-Abkommen nur eingeschränkte Macht im Westjordanland und im Gazastreifen haben: "Wo sie ihre Autonomierechte ausüben, haben sie einen parallelen Polizeistaat entwickelt." Obwohl Israel systematisch Grundrechte von Palästinensern verletze, könne man nicht schweigen angesichts der systematischen Unterdrückung und der Foltermethoden palästinensischer Sicherheitskräfte, sagte Shawan Jabarin, Direktor der palästinensischen Menschenrechtsorganisation al-Haq.

Die Autonomiebehörde wies die Anschuldigungen zurück und warf Human Rights Watch vor, mit den USA verbündet zu sein. Die Organisation hat ihren Hauptsitz in New York. Das von der Hamas geführte Innenministerium im Gazastreifen erklärte, der Bericht widerspreche der Realität.

© SZ vom 24.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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