Süddeutsche Zeitung

Palästinenser in Deutschland:"Jetzt fühle ich Hass"

Nachts fielen die Bomben, nun ist das Dach weg: Eine Deutsche und ihr palästinensischer Mann haben die israelischen Angriffe im Gaza-Streifen knapp überlebt - in Köln schäumt deren Sohn vor Wut.

Christiane Schlötzer

In Gaza, so haben Rami Abu Sittas Eltern ihrem Sohn gesagt, "gibt es für dich keine Zukunft". Nun sitzt der 24-Jährige in seiner Kölner Wohnung und kann sich nicht lösen von den Bildern, die ihm der arabischsprachige Kanal Al-Dschasira oder die Webseite der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa liefern.

Sie zeigen auch ein Haus, dessen eine Hälfte fehlt, ein Haus ohne Dach. Abu Sitta kennt es gut, es ist das Haus seiner Eltern.

In der Nacht zum Dienstag fielen die Bomben, nicht direkt auf das Gebäude der Familie, aber auf die nur 30 Meter entfernten Hochhäuser, in denen das Außen- und das Finanzministerium der Hamas-Regierung in Gaza untergebracht waren. "Die sind nun komplett zerstört", sagt Rami Abu Sitta.

In der Nacht um drei Uhr hat er seine in Gaza lebende Mutter auf dem Handy erreicht, sie war unverletzt geblieben. Mutter, Vater und Großmutter waren zum Glück in den Keller gegangen. Anke Abu Sitta ist Deutsche, sie leitet das Verbindungsbüro des Auswärtigen Amts in Gaza.

Eine richtige Botschaft gibt es in den Palästinensergebieten nicht, es gibt ja auch keinen palästinensischen Staat. Aber in Ramallah im Westjordanland und in Gaza unterhält Deutschland Vertretungen. "Es gibt noch vier deutsche Frauen in Gaza und 120 Palästinenser mit deutschem Pass", hat Rami Abu Sitta von seiner Mutter erfahren. Auch wenn sie wollten, könnten die Deutschen Gaza nicht verlassen, weil die Grenzen dicht sind.

Etwa 200.000 Palästinenser sollen in Deutschland leben, darunter viele Jugendliche, deren Eltern sich ein besseres Leben für ihre Kinder wünschten, wie die Abu Sittas. Vater Fawaz ist Wirtschaftsprofessor, seine Frau hat er einst beim Studium in der DDR kennengelernt.

Die beiden gingen 1982 nach Gaza. ,,Meine Eltern haben mich zum Frieden erzogen'', sagt Sohn Rami, "aber jetzt fühle ich Wut und Hass ohne Ende". Das klinge nicht schön, "das weiß ich", fügt er hinzu, Gewalt erzeuge jedoch Gegengewalt. "Ich fühle mich total machtlos, ich vermisse meine Familie, meine Freunde."

Rami Abu Sitta wird fast verrückt vor Sorge und Angst. Am liebsten würde er nach Ägypten fahren, an die Grenze zu Gaza und am Übergang von Rafah versuchen, irgendwie durch einen der vielen Tunnel nach Gaza zu gelangen. "Ich weiß, das ist verrückt."

Rami Abu Sitta kam 2002 als 18-Jähriger nach Deutschland, allein. "Mir war vorher nicht klar, wie schlimm das ist, wenn man plötzlich ganz einsam ist", erinnert er sich.

"Die verlorene Generation" werden die jungen Palästinenser häufig genannt, die nie etwas anderes kannten als ein Leben zwischen israelischer Besetzung und palästinensischer Intifada, zwischen politischer Entmündigung und dem Druck der Radikalen.

Die Gaza-Besetzung begann mit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 und endete erst 2005. Seit 2007 wird das schmale Küstengebiet am östlichen Mittelmeer allein von der islamistischen Hamas beherrscht.

2006 kam auch Ramis jüngerer Bruder Sliman nach Köln. Die Eltern wollten ihn ebenfalls in Sicherheit wissen. Sliman Abu Sitta soll demnächst seinen Zivildienst beginnen.

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Quelle:
SZ vom 31. Dezember 2008 / 1. Januar 2009/odg
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