Olivenbauern im Westjordanland:"Wir stecken die Schläge für die Bauern ein"

Olivenbauern im Westjordanland: Eine Zeit der Freude, aber auch der Furcht: Umm Mussa und Mohammed Khatib (links) bei der Olivenernte im Westjordanland.

Eine Zeit der Freude, aber auch der Furcht: Umm Mussa und Mohammed Khatib (links) bei der Olivenernte im Westjordanland.

(Foto: Peter Münch)

Immer wieder werden palästinensische Olivenbauern von israelischen Siedlern angegriffen. Nun setzen sie auf ganz besondere Erntehelfer.

Von Peter Münch, Burin

Hoch oben auf den Leitersprossen steht Muayad Bourini im Morgenlicht, die Zweige des Olivenbaums in Griffweite. Doch wenn er nun die Arme ausbreitet, dann will er keine Früchte pflücken. Er will den Versen seines Liedes Nachdruck verleihen, das er nun von der Leiter herab zum Besten gibt.

Um die Schönheit der Heimat geht es da, um die Vögel in den Lüften, und vor allem geht es um Olivenbäume. "Sie sind das Wichtigste, was wir haben", singt Bourini. Umm Mussa, seine Schwägerin, trommelt im Takt auf einen Plastikeimer. Mohammed Khatib, der heute als Erntehelfer und Schutzengel gekommen ist, klatscht in die Hände. Es ist Olivenernte im Dörfchen Burin im palästinensischen Westjordanland. Seit Menschengedenken eine Zeit der Freude und des Feierns - und zugleich ist es auch in diesem Jahr wieder eine Zeit der Furcht.

"Dieses Jahr sind die Siedler besonders gewalttätig", sagt Mohammed Khatib. "Sie sind gelangweilt in Corona-Zeiten, und dann kommen sie und prügeln auf die Bauern ein." Zum Beweis zieht er sein Handy hervor und zeigt Fotos aus der aktuellen Erntesaison: Israelische Siedler sieht man da in den Olivenhainen mit Stöcken und mit Steinen groß wie Felsbrocken. Man sieht einen palästinensischen Bauern mit einer blutenden Wunde am Kopf. Und man sieht israelische Soldaten in ihren grünen Uniformen, die direkt neben den Siedlern mit den Stöcken und den Steinen stehen und offenkundig nicht eingreifen. "Sie beschützen die Siedler, wie immer", sagt Khatib.

Die meisten Anzeigen von Palästinensern werden ohne Nachforschungen eingestellt

Dutzende solcher Vorfälle sind auch in diesem Jahr gemeldet worden, dokumentiert werden sie von israelischen Menschenrechtsorganisationen wie Yesh Din. Dort wird allerdings auch notiert, dass 80 Prozent aller Anzeigen von Palästinensern wegen Siedlergewalt von den israelischen Behörden ohne Nachforschungen eingestellt werden. Nur vier Prozent der Untersuchungen führen zu einer Anklage. Mohammed Khatib hat daraus einen einfachen Schluss gezogen: "Wir müssen uns selber helfen."

Im Oktober, zu Beginn der Erntezeit, hat der 46-Jährige zusammen mit ein paar Gleichgesinnten die Organisation "Faz3a" gegründet, die palästinensische Olivenbauern bei der Ernte unterstützt und auch beschützt. Fazaa steht im Arabischen dafür, anderen zur Hilfe zu eilen. "Es ist mehr eine Tat als ein Wort", sagt Khatib.

Die Tat besteht darin, dass die inzwischen rund 200 Freiwilligen von Faz3a eine Art menschlichen Schutzschild um die Erntehelfer bilden. "Wenn die Siedler auftauchen, stecken wir die Schläge für die Bauern ein", sagt Khatib. "Streng gewaltlos" sei dieser Widerstand. "Es ist nicht immer leicht, sich zu kontrollieren", räumt er ein. "Manchmal müssen wir uns auch wehren, sonst bringen sie uns um."

Nach Burin südlich der Stadt Nablus ist Khatib an diesem Tag mit einem knappen Dutzend Helfern gekommen, weil Umm Mussa sie angerufen und um Hilfe gebeten hatte. Zwei Tage zuvor war ihr Schwager bei der Olivenernte von Siedlern angegriffen und verletzt worden. Umm Mussa, 59 Jahre alt, zeigt mit ihrer kräftigen Hand auf den Hügel gegenüber, wo sich die Häuser der Siedlung Yitzhar raumgreifend verteilen. "Das ist eine der schlimmsten Siedlungen", sagt sie. "Wenn ich dort zu meinem Land komme, werde ich oft mit Steinen empfangen."

"Diese Olivenbäume bedeuten Leben für mich"

370 Olivenbäume nennt sie ihr Eigen. Sie hat sie von ihrem Vater geerbt, und der hatte sie von seinem Vater. Die Bäume stehen Spalier auf knochentrockenem Boden und jahrhundertealten Terrassen. Das Öl, das Umm Mussa aus den Oliven presst, geht an die weit verteilte Verwandtschaft in Jordanien, in Saudi-Arabien, in den USA. Der größte Teil aber wird verkauft und bringt ihr in guten Jahren rund 2500 Euro ein. Doch noch wichtiger als das Geld ist ihr die Beziehung zu den Bäumen. "Diese Olivenbäume bedeuten Leben für mich", sagt sie. "Ich liebe sie, und wenn ich eines Tages sterbe, möchte ich unter einem meiner Bäume sitzen."

Zusammen mit den Helfern von Faz3a macht sie sich nun an die Ernte, Baum für Baum. Drei Studentinnen aus der Nähe von Hebron haben sich Khatib und seiner Truppe angeschlossen. Und auch Kobi Snitz aus Tel Aviv ist dabei, 49 Jahre alt und Neurobiologe am renommierten israelischen Weizmann-Institut. Er trägt einen großen Sonnenhut und sagt: "Es ist meine Verantwortung als Israeli, dem Unrecht der Siedler etwas entgegenzusetzen."

Schwarze Plastikplanen werden ausgebreitet. Kobi Snitz klettert hoch auf den Baum und ist fast verschwunden in den Zweigen. Von oben lässt er grüne Oliven auf die Plane prasseln. Manche der Helfer klopfen mit Stöcken gegen die Äste. Umm Mussa aber pflückt vorsichtig Frucht für Frucht. "Wenn ich einen Stock nähme, käme ich mir vor, als würde ich meinen Sohn schlagen", sagt sie.

Ab und an geht ihr Blick hoch zum Hügel gegenüber, um sicherzugehen, dass keine Gefahr droht von den Siedlern aus Yitzhar. Während die anderen noch ernten, bereitet Umm Mussa auf dem Feuer ein kleines Festmahl vor. Käse und Eier werden in einer Pfanne gebraten. Sie schwimmen im grünen Olivenöl, eigene Ernte natürlich. Dazu gibt es Hummus und Bohnen und Zatar, hinterher dann einen starken schwarzen Kaffee.

Zum Essen versammeln sich alle auf einer Decke im Schatten der Bäume. Mohammed Khatib redet schon vom nächsten Einsatz, näher dran an der Siedlung, "das wird heikel". Doch heute ist es ruhig geblieben, es war ein friedlicher Tag der Ernte. So schön, wie ihn Muayad Bourini am Morgen besungen hat.

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