Palästina:Aufbruch im Halbdunkel

Trotz des jüngsten Versöhnungsabkommens zwischen Fatah und Hamas: Die Lage in Gaza bleibt hoffnungslos. Bei der Übergabe der Verwaltung hakt es, viele Menschen warten seit Monaten vergeblich auf ihr Gehalt.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Gaza

Gleich hinter dem Übergang Erez, von Israel zum Gazastreifen, sitzt ein Soldat in Hamas-Uniform auf seinem Wachposten; von seinem Turm aus kann er auch das Geschehen direkt an der Grenze überblicken. Dort haben inzwischen Beamte der palästinensischen Autonomiebehörde das Sagen, aber die Hamas hat sie im Blick. Auf der ersten großen Straßenkreuzung in Gaza-Stadt regelt ein Polizist in Hamas-Uniform den Verkehr, auf Plakaten ruft der Islamische Dschihad sechs "Märtyrer" in Erinnerung.

Bei der Übergabe der Verwaltung hakt es. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig

Auch im Foyer des Innenministeriums hängen Bilder von sechs Kämpfern - diesmal von der Hamas. Von dem Gebäude steht nur noch die Hälfte, der Rest wurde nach einem Treffer der israelischen Armee im Gazakrieg 2014 weggerissen. Es ist kalt, und das Gespräch mit Hamas-Sprecher Abd Latif Qanou findet im Halbdunkel statt, auch hier geht man mit Elektrizität sparsam um. Der bullige Mann beteuert mehrmals: "Wir haben alle Hindernisse beiseitegeräumt, damit die Fatah übernehmen kann."

Die Fatah wiederum macht die Hamas dafür verantwortlich, dass die Übergabe der Verwaltung im Gazastreifen nicht am 1. Dezember geklappt hat, wie beide Seiten es im Oktober im Versöhnungsabkommen unter ägyptischer Vermittlung vereinbart haben. Die Fatah will für den gesamten Sicherheitsbereich zuständig sein, aber der Hamas-Sprecher stellt klar: "Wir geben die Macht ab. Aber der Sicherheitsbereich bleibt noch ein weiteres Jahr in den Händen der Hamas." Die 3000 Mitarbeiter, die vor der Übernahme des Gazastreifens durch die Hamas 2007 im Dienst waren, könnten nach seinen Worten gern wieder aktiviert werden - zusätzlich.

Auch die 43 000 von der Hamas für die Verwaltung eingestellten Mitarbeiter müssten demnach in ihren Positionen bleiben: "Sie haben in den vergangenen zehn Jahren in Kriegs- und Friedenszeiten gearbeitet, sie sind legal da", sagt der Hamas-Sprecher. Über einen weiteren Knackpunkt zwischen Hamas und Fatah, die Entwaffnung, will er eigentlich nicht reden. Er sagt aber: "Über die Waffen des Widerstandes kann nie verhandelt werden, nie! Niemand hat darüber im Kairoer Prozess verhandelt. Niemand! Die Waffen zur Verteidigung sind eine rote Linie, die niemand übertreten soll."

Brüsk reagiert er auch auf die Frage, wie viele eigentlich für die Kassam-Brigaden kämpfen, den bewaffneten Arm der Hamas: "Das ist eine militärische Angelegenheit, und ich bin kein Militärsprecher." Knapp versichert er, dass sich auch der Islamische Dschihad an das Versöhnungsabkommen und den Waffenstillstand gebunden fühle. Doch kurz darauf werden Mörsergranaten aus dem Gazastreifen auf israelisches Gebiet abgefeuert - die ersten seit Monaten.

Kriegsmotive dominieren auch die Kunstwerke an den Wänden des Kulturministeriums. Eines zeigt eine Waffe, die auf einen mit dem Schriftzug "US" versehenen Davidstern zielt. Vizeminister Anwar Al-Barawi hält hier die Stellung, seit neun Jahren schon. Der Mittfünfziger sitzt in einem Raum mit zugezogenen Vorhängen. Immerhin gibt es Licht und Strom, weshalb immer wieder Mitarbeiter hereinkommen, um ihre Handys aufzuladen. Wie er sich die Zusammenarbeit mit dem Minister und den Kollegen aus dem Westjordanland vorstellt? "Wir sind willens, mit der Autonomiebehörde zusammenzuarbeiten", sagt Al-Barawi. Wir - das sind er und die 42 von der Hamas eingestellten Mitarbeiter. 80 weitere, die vor 2007 hier gearbeitet haben, sollen wieder eingestellt werden. Wie soll das gehen? Al-Barawi zuckt mit der Schultern: "Vielleicht ist dann in dem Gebäude nicht genug Platz, alle unterzubringen. Aber auch wenn wir in den nächsten Monaten unser Gehalt nicht bekommen, werden wir still sein. Wir haben keine Wahl." Er selbst bekommt derzeit nur die Hälfte seines Monatsgehalts.

Mit zwei dicken Pullovern übereinander sitzt der politische Analyst Talal Okal in seinem Wohnzimmer. Der 67-Jährige ist ein bekannter Kolumnist und sieht die Schuld an der derzeitigen Verzögerung eher in Gaza: "Die Hamas will sich und ihre Angestellten nicht zur Gänze opfern. Die Regierung wird von der Fatah sein, aber die Angestellten weiter von der Hamas. Die Hamas hat gesagt, sie gebe die Macht ab, hat aber die Probleme an die Fatah weitergereicht, die alles zahlen soll."

Aber auch von der Fatah seien viele enttäuscht. Die Autonomiebehörde zahle weiter die Stromrechnungen nicht, so dass es nur drei Stunden am Tag Elektrizität gebe. Auch hinter Okals Haus brummt ein kastengroßer Generator, mit dem drei Dutzend Haushalte versorgt werden - zum siebenfachen Preis des öffentlichen Stroms. Die Straßen sind Pisten, über welche Autos und noch mehr Eselskarren holpern. Asphalt gibt es in dieser Stadt mit rund einer halben Million Einwohnern nicht überall, dafür jede Menge tischgroße Schlaglöcher. Viele Gebäude stehen leer, die zehn Kinos der Stadt sind Brandruinen - von Hamas-Anhängern gestürmt. Auch das Museum und die Bibliothek sind zu. Dafür steht alle paar Hundert Meter eine Moschee - nagelneu, von Katar finanziert. Rund ein Drittel der Frauen auf den Straßen trägt Niqab, den Gesichtsschleier.

Nicht so Nesma Ali. Die 30-Jährige trifft in dem einzigen Strandcafé von Gaza Freunde - auch Männer. Hier kann sie auch Wasserpfeife rauchen. Ihr Vater darf nichts davon wissen, sie muss um spätestens 20 Uhr zu Hause sein. Seit drei Monaten hat sie kein Gehalt mehr bekommen, sie hat eine halbe Stelle an der Universität als Assistentin für Medienkunde. "Es gibt höchstens einen Wechsel in der Politik, aber das Leben in Gaza, auf der Straße und im Job bleibt gleich deprimierend", sagt sie. Die 23-jährige Dalal Mehemed hat gerade ihr Studium der Informationstechnologie abgeschlossen. Sie trägt auf Wunsch ihres Vater Kopftuch, bei Einbruch der Dunkelheit muss sie im Haus sein. Sie sieht die Lage ähnlich: "Ich habe keine Hoffnung. Überhaupt keine."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: