Pakistans neuer Präsident:Der Mann, der aus dem Schatten kam

Korruption, Geldwäsche, Mord: Alles Böse traut das Volk Asif Ali Zardari zu. Nach dem Tod seiner Frau Benazir Bhutto ist er zum neuen Präsidenten Pakistans gewählt worden.

O. Meiler

Mehr Ironie ist kaum möglich, mehr Ironie der Geschichte. In Pakistan ist gerade geschehen, was niemand für möglich gehalten hätte, bis vor kurzem wenigstens: die Kapriole einer Karriere. Es ist die Geschichte von Asif Ali Zardari, dem Witwer von Benazir Bhutto, 52 Jahre alt, ein Mann mit einem erschreckend üblen Ruf, schillernd und unbeliebt.

Pakistans neuer Präsident: Niemand weiß, wo er politisch steht, wie er denkt: Asif Ali Zardari, der gewählte Präsident Pakistans.

Niemand weiß, wo er politisch steht, wie er denkt: Asif Ali Zardari, der gewählte Präsident Pakistans.

(Foto: Foto: AFP)

Sie vermengt sich gerade unheilvoll mit Pakistans Geschichte. Alles traute man ihm schon zu, alles Böse: Erpressung, Korruption, Geldwäsche, sogar Mord. Elf Jahre saß er im Gefängnis. In einem medizinischen Gutachten vom vergangenen Jahr, das gerade erst publik wurde, heißt es, Zardari leide seit der Haft an "Demenz" und "schweren psychischen Störungen".

An diesem Samstag wurde er zum Präsidenten Pakistans gewählt, ist damit Nachfolger von Pervez Musharraf. Man sucht vergeblich nach Parallelen. Zardaris Wahl ist auch für die barocken Verhältnisse pakistanischer Politik unerhört. Eine Zeitung schrieb halb belustigt, halb entsetzt: "Bald auf Ihren Fernsehschirmen, passen Sie auf, Sie werden Ihren Augen nicht trauen: Asif Ali Zardari, Präsident Pakistans."

Es gibt einen schönen Satz Zardaris, den er mit viel Rührung vorgetragen hat. Er legte die Stirn unter seinem gefärbten Haar in Runzeln, kniff die Augen zusammen, als schmerzten sie ihn, schob die Schultern nach vorne und sagte: "Ich fühle mich nur als kleiner Verwalter von Benazirs großem Vermächtnis."

Zardari hat wenig getrauert

Das ist ein typischer Zardari-Satz, getüncht in Bescheidenheit. Ein einfacher Verwalter also des politischen Erbes von Benazir Bhutto, seiner Frau, ermordet im Liaquat Park in Rawalpindi, am 27.Dezember 2007.

Acht Monate ist das her. Erst. Zardari hat wenig getrauert. Er nahm sich keine Zeit dafür. Begrub sie am Tag nach dem Attentat und übernahm die Partei. Nutzte das Lamento um den Tod der "Märtyrerin der Demokratie", wie er sie nannte, und machte aus Tränen Stimmen.

Auf der Sympathiewelle für Benazir wurde die Volkspartei nur einige Wochen nach ihrem Tod zur größten Partei Pakistans. Und er stand plötzlich als zentrale Figur im pakistanischen Machtspiel da, als neuer Kopf der Dynastie der Bhuttos.

Manche fragten, warum er nicht genau wissen wollte, wer seine BB, die "Tochter des Ostens", umgebracht hatte. Warum er keine Autopsie verlangte, um zu erfahren, ob gezielte Schüsse sie getötet haben oder eine Bombe. Und warum ihn das Trauma des Verlustes nicht mehr erschütterte.

Seine Freunde beteuerten, in ihm drin sehe alles anders aus. Seine Gegner aber sahen in der schnellen Bewältigung eine unbändige Machtlust, einen Drang zur Revanche nach all den Jahren in der Haft. Einige ersannen sogar Verschwörungstheorien, ausgedacht von Zardari selbst, an deren Ende der Tod Benazir Bhuttos stand.

Er beflügelt die dunkelsten und abenteuerlichsten Phantasien der Pakistaner. Nun ist er also gewählter Präsident, Regisseur einer Atommacht im ständigen Ungleichgewicht, starker Mann im fragilen Frontland im Krieg gegen den Terror.

"Mr. 10 Prozent"

Seine Chancen standen auch gut. Die Wahl fand im Parlament statt. Bei einer Volkswahl hätte Zardari wohl keine Chance gehabt. Das zeigen die Umfragen. Von allen drei Kandidaten hat er am wenigsten Zuspruch im Volk. Doch in beiden Parlamentskammern und den vier Provinzversammlungen, die für die Wahl zusammenkommen, herrschen andere Kriterien.

Er hat schlau taktiert in den vergangenen Wochen. Hat neue Koalitionspartner gewonnen und alte betrogen. Er hat gerechnet, eine einfache Mehrheit genügt. Wahrscheinlich waren unheilige Hinterzimmerdeals nötig, wie er sie aus früheren Zeiten kennt. Aus Zeiten, als er in den Kabinetten seiner Frau saß. Benazir Bhutto, die Mutter seiner drei Kinder, war Pakistans Premierministerin von 1988 bis 1990 und 1993 bis 1996. Man nannte ihn damals "Mr. 10 Prozent", ein Name, der ihn nie mehr losließ. So viel soll er in der Regel an Schmiergeld kassiert haben für jeden öffentlichen Auftrag, den die Regierung vergab.

Auf der nächsten Seite: Welch ungeheure Machtfülle Zardari in Zukunft haben wird.

Der Mann, der aus dem Schatten kam

Zardari war Minister, mal für Umwelt, mal für Investitionen. Ein arroganter Schnösel, gutaussehend, jung, Sohn eines wohlhabenden Stammesfürsten und Kinobesitzers aus der Südprovinz Sindh, ausgebildet an den besseren Schulen Karatschis, später in Übersee, Polospieler. Ein notorischer Playboy mit ausgeprägtem Machogehabe.

Benazir soll das Gebaren ihres Gemahls erst als lächerlich empfunden haben. Später sah man sie mit einem blauen Auge. Zardari soll sie oft geschlagen haben. Heißt es. Sie hatte ihn nur fünfmal gesehen, bevor sie 1987 heirateten. Es war eine arrangierte Ehe, ausgehandelt von ihrer Mutter, sechs Monate sollen die Verhandlungen gedauert haben. Kurz nach der Hochzeit gelangte Benazir an die Macht. Das war eine Sensation, weltweit. Keine Frau vor ihr hatte ein islamisches Land regiert. Und dazu noch eine junge, liberale, säkulare.

Zardari stand von Beginn an in ihrem Schatten. Er war immer nur Benazirs Gatte. 1990 wurde er ein erstes Mal verhaftet. Er soll einem britischen Geschäftsmann, der ihm Geld schuldete, eine ferngesteuerte Bombe ans Bein geschnallt haben. So schickte er ihn angeblich zu einer Bank, wo er Schecks für 800.000 Dollar einlösen sollte.

Ein anderer Fall brachte den französischen Rüstungskonzern Dassault Aviation in die Schlagzeilen. Zardari soll 200 Millionen Dollar gefordert haben gegen einen Vier-Milliarden-Auftrag für Kampfjets. Der Deal scheiterte, weil Bhutto unterdessen abgesetzt worden war - wegen Missmanagement und Korruption. Zardari dementierte stets, wie er alle Vorwürfe gegen ihn als politisch motiviert abtat. Rechtskräftig verurteilt wurde er nie. Die Prozesse wurden verschleppt oder mit politischen Dekreten überdeckt.

Villen auf der ganzen Welt

Es heißt, das Ehepaar habe immer viel Mühe gehabt, zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten zu unterscheiden. Die Pakistaner ärgerten sich über beider arrogante Selbstbedienung. Sie stand quer zum alten, sozialistischen Credo der Volkspartei, wie es Benazirs Vater, Zulfikar Ali Bhutto, vorgelebt hatte. Es wurde nie ganz klar, ob es Zardaris Einfluss war, der sie zur Gier trieb. Oder ob beide darin seelenverwandt waren.

Zeitungen brachten Bilder ihrer Villen in Großbritannien, Florida, Dubai. Und von den Häusern in allen großen Städten Pakistans: "Benazir House" in Lahore, "Zardari House" in Islamabad, "Bilawal House" in Karatschi. Der Sohn heißt Bilawal. Von Zardari wusste man, dass er auf Staatskosten Äpfel aus Übersee einfliegen ließ, um seine Pferde zu füttern.

1,5 Milliarden Dollar sollen die Bhuttos veruntreut und außer Landes geschafft haben. Man wähnte das Geld unter anderem in der Schweiz. Bis vor kurzem liefen in Genf Ermittlungen gegen Zardari wegen Geldwäsche. 60 Millionen Dollar waren eingefroren. Vor zwei Wochen aber ließ die Generalstaatsanwaltschaft das Dossier fallen und gab das Geld frei. Nicht weil die Schweizer Ermittler zur Erkenntnis gelangt wären, Zardari sei sauber. Sondern weil er in Pakistan amnestiert worden war.

Im vergangenen Herbst war das. Musharraf hatte ein Gesetz geschaffen mit dem alleinigen Zweck, Bhutto (und ihren Gatten) aus dem selbstgewählten Exil zu holen und mit ihr die Macht zu teilen. Das war der Plan der Amerikaner, die ihrem Lieblingsgeneral in Asien eine zivile und demokratische Eskorte zur Seite stellen wollten. Dann wurde sie getötet.

Musharrafs Popularität fiel in den Keller. Und Zardari stieg auf, unaufhaltsam. Er alliierte sich mit Nawaz Sharif, dem bitteren Rivalen seiner Frau. Auch er war zweimal Premier in den neunziger Jahren. Auch er wurde wegen Misswirtschaft und Korruption abgesetzt. Sharif regierte jeweils, als Zardari ins Gefängnis musste. Die Pakistaner rieben sich ungläubig die Augen. Die beiden unterzeichneten Koalitionsverträge und Abkommen zur Wiedereinsetzung entlassener Richter. Umarmten sich. Lächelten viel. Sagten schöne Sätze.

Niemand weiß, wo er politisch steht

Doch Zardari bluffte nur. Er wollte die Richter nie ins Amt zurückführen. Sie hätten das Amnestiegesetz rückgängig machen können, er hätte wohl bald wieder gesessen. Kaum hatte Musharraf demissioniert, brach das Bündnis mit Sharif. Der sagte, er fühle sich betrogen, Zardari antwortete: "Politische Abkommen sind nun einmal nicht so heilig wie der heilige Koran." Kniff die Augen zusammen, schob die Schultern nach vorne - und genoss.

Niemand weiß, wo er politisch steht, wie er denkt, wie entschlossen er den Kampf gegen die Taliban und al-Qaida führen wird. Doch mangels Alternative ist er der Favorit der Amerikaner. Er wird so viel Macht haben wie sein Vorgänger, der Militärherrscher. Er wird Oberbefehlshaber der Armee sein, Wächter über das Nukleararsenal. Er kann das Parlament auflösen, wann immer es ihm beliebt. Mehr geht nicht.

Als Musharraf Präsident war, war Zardari noch überzeugt, diese Machtfülle sei viel zu groß und führe unweigerlich zur Diktatur. Bis vor drei Wochen dachte er so. Nun findet er das nicht mehr.

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