Süddeutsche Zeitung

Pakistan:Premier Khan gibt Frauen Mitschuld an Vergewaltigungen

Pakistans Premierminister Imran Khan versuchte in einem Interview zu erklären, wie seine Empfehlungen zum Schutz vor Vergewaltigung gemeint waren. Das ging nach hinten los.

Von David Pfeifer, München

Frauen sollen sich bedecken, dann werden sie nicht vergewaltigt. So etwa hat es Pakistans Premierminister Imran Khan, 68, erklärt, als er vergangene Woche auf die Vergewaltigungswelle in seinem Land angesprochen wurde. Das ist auch für ein streng muslimisches Land eine Aussage, die nicht ohne Shitstorm bleiben kann. Mehrere Frauenrechtsverbände meldeten sich am Donnerstag zu Wort, um ihre Erschütterung über diesen moralischen Freischein für Vergewaltiger auszudrücken. Dabei war die Absicht von Khan eine ganz andere gewesen.

Vor einigen Wochen schon hatte er darauf hingewiesen, dass Frauen unbeabsichtigte Verführung vermeiden sollten, indem sie sich vollständig bekleiden - und damit Empörung ausgelöst.

Die aktuelle Aufregung entspringt dem Versuch Khans, sich in einem Interview mit dem australischen Fernsehjournalisten Jonathan Swan zu rechtfertigen. Swan wurde international berühmt durch ein besonders irres Interview mit Ex-Präsident Donald Trump. Darin hatte Trump behauptet, andere Covid-19-Ansteckungszahlen zu kennen als der Rest der Welt, und dem zunehmend irritierten Reporter ein paar Zettel als Belege gereicht. Im Interview mit Imran Khan wollte Swan nun wissen, ob der Premier tatsächlich behauptet habe, dass nicht jeder Mann genug Willenskraft hätte, um unverhüllten Frauen zu widerstehen. "Kompletter Nonsens", erwiderte Khan. "Wir haben hier keine Discos und Nachtclubs, wir haben hier gesellschaftlich einen ganz anderen Lebensstil."

In seiner ersten Karriere als Kricket-Star hatte Imran Khan sich allerdings durchaus selbst als Playboy vermarktet, es gibt alte Vanity-Fair-Homestorys, die ihn im Seidenpyjama im Schlafzimmer zeigen, oder Schnappschüsse, auf denen er in enger Badehose aus dem Meer steigt, neben ihm eine Frau im Bikini. "Es geht nicht um mich, sondern um meine Gesellschaft", erklärte Khan nun. "Wenn ich sehe, dass sexuelle Verbrechen stark zunehmen, muss ich überlegen, was ich dagegen tun kann."

In dem Interview ging es auch um viele andere Themen, vor allem politische. Dass Joe Biden sich beispielsweise noch nicht bei ihm gemeldet habe, dass der Abzug der US-Truppen aus Afghanistan ihm Sorgen bereite. Er wies darauf hin, dass der ungelöste Kaschmir-Konflikt die Region seit Jahrzehnten in Geiselhaft nehme. In Kaschmir streiten sich die riesigen Atommächte Indien und China sowie die eher instabile Atommacht Pakistan um Grenzlinien und Landeszugehörigkeiten. Eine potenzielle Bedrohung für ganz Asien, wenn nicht die ganze Welt.

Khans Erklärung folgt einem uralten Entschuldigungsmuster

Dass nun ausgerechnet seine Erklärungen zur Sexualmoral so starke Reaktionen hervorrufen, liegt daran, dass sie einem uralten Entschuldigungsmuster folgen, bei dem eine Vergewaltigung dem Opfer angelastet wird und nicht dem Täter. Das stößt jedoch in Pakistan zunehmend auf Ablehnung. So ging im vergangenen Jahr der besonders brutale Fall einer Frau durch die Nachrichten, die nachts in Lahore ohne Benzin liegen blieb und die Polizei rief. Während sie auf Hilfe wartete, wurden die Fenster ihres Autos eingeschlagen, sie wurde aus dem Wagen gezerrt und von mehreren Männern vor den Augen ihrer Kinder vergewaltigt. Zwei Männer wurden dafür zum Tode verurteilt, haben aber Berufung eingelegt.

Umar Sheikh, Polizeichef von Lahore, erklärte später, die Frau hätte sich anders verhalten sollen. Niemand in der pakistanischen Gesellschaft "würde seiner Schwester oder seiner Tochter erlauben, nachts noch alleine unterwegs zu sein". Die darauf folgenden Proteste in Pakistan zeigten tiefgläubige, vollverschleierte Frauen, die die Todesstrafe für die Vergewaltiger forderten.

"Wir fordern eine öffentliche Entschuldigung des Premierministers", erklärte die pakistanische Menschenrechtskommission am Donnerstag; Khans Äußerungen würden nicht einmal den Bemühungen der Regierung gerecht werden, "diese ernsthaften und verbreiteten Verbrechen in Pakistan in den Griff zu bekommen". Auch Frauenrechtsverbände gaben bei der gemeinsamen Pressekonferenz in der Hauptstadt Karachi zu bedenken, dass Khan es versäumt habe, darauf hinzuweisen, dass Vergewaltigungen Gewaltakte seien und keine Folge von fehlender sexueller Impulskontrolle. In einem gemeinsamen Statement erklärten die Organisationen, "die Überlebenden sexueller Gewalt können nicht nur Frauen, sondern auch Mädchen, Männer, Jungen oder Transgender sein. Und diese Taten geschehen an Schulen, Arbeitsplätzen, zu Hause, an öffentlichen Orten. Geschlecht, Alter oder Kleidung schützen einen nicht vor Vergewaltigung". Vergangenes Jahr wurden in Pakistan jeden Tag im Durchschnitt elf Frauen vergewaltigt. Das sind nur die gemeldeten Fälle. Die Verurteilungsquote liegt bei 0,3 Prozent.

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