Pakistan:Tod in den Bergen

Pakistan: Tausende Menschen fliehen vor den Kämpfen in Nordwaziristan. Ob sie je zurückkehren können, wissen sie nicht.

Tausende Menschen fliehen vor den Kämpfen in Nordwaziristan. Ob sie je zurückkehren können, wissen sie nicht.

(Foto: A Majeed/AFP)

Seit einem Jahr versucht Pakistans Armee, die Taliban aus der Region Waziristan zu vertreiben. Doch Fachleute bezweifeln, dass dies allein durch militärische Gewalt gelingen kann.

Von Arne Perras

Für Ahmed Khan Wasir ist die Stadt eine fremde Welt. Er liebt sie nicht, er ist nicht freiwillig hier, gerne wäre er oben in den schroffen Bergen geblieben, wo der kühle Wind über die Felszinnen pfeift.

Dort ist er aufgewachsen, dort kennt er sich aus. "Wenn der Krieg vorbei ist, gehe ich wieder zurück," sagt er. Ansonsten hat der junge Mann keinen Plan.

Noch im vergangenen Jahr kämpfte der 19-Jährige für die pakistanischen Taliban. Sein Onkel war ein lokaler Kommandeur, bevor er getötet wurde.

Die Linie der Kämpfer in der Familie reicht noch weiter zurück, der Großvater zog einst als Mudschaheddin ins Gefecht, damals gegen die Russen in Afghanistan. Hinter den Mudschaheddin stand als Pate der pakistanische Geheimdienst, der wiederum mit US-Agenten kooperierte. Der Feind hieß Moskau.

Nach Nine-Eleven wurde Amerika zum Feind

Für den Enkel, der zwei Generationen später in den Kampf zog, hatte sich das Blatt längst gewandelt. Nach dem 11. September 2001 hieß der Feind Amerika.

Die Taliban-Kommandeure sagten, es gelte, die westlichen Besatzer aus der Region zu vertreiben. Dabei rückte auch der pakistanische Staat ins Visier, den die Taliban bis heute als Handlanger Washingtons verachten. "Für uns galt: Gute Muslime verteidigen ihre Heimat", sagt Ahmed Khan Wasir.

Warum aber hat er dann aufgehört zu kämpfen? Bei dieser Frage windet sich Wasir, alles sei sehr kompliziert geworden, sagt er.

Er ist ein drahtiger Mann mit feinen Gesichtszügen und dichtem schwarzem Haar, im Gespräch wirkt er beinahe schüchtern. Sein Name ist geändert, das war die Bedingung dafür, dass er jetzt in einem Vorort Islamabads von sich erzählt.

Wenn er über die Stadt redet, klingt das, als spreche er über ein fremdes und unberechenbares Wesen. Über die Heimat in den Bergen spricht er ganz anders, sie erfüllt ihn mit Stolz.

Ein Videoclip macht jetzt die Runde im Hinterzimmer, wo sich Vertriebene aus Waziristan versammeln. Der Film zeigt Männer aus einem der Dörfer oben in den Bergen.

Man sieht sie wild herumfeuern mit ihren Kalaschnikows, es kracht wie bei einem Gefecht. "Das ist nicht der Krieg", sagt Wasir. Es schießen ja auch alle mehr oder weniger in die Luft. "So feiern wir unsere Feste."

Pakistan: Ein pakistanischer Kämpfer mit seiner Kalaschnikow im Süden Waziristans.

Ein pakistanischer Kämpfer mit seiner Kalaschnikow im Süden Waziristans.

(Foto: AFP)

In der Stadt hat Wasir keine Waffe mehr, die er offen tragen könnte. Hier ist er Tagelöhner auf dem Bau. Zur Schule ging er nie. Und wie sieht er seine Zukunft? "Keine Ahnung", sagt der frühere Taliban-Kämpfer. "Das hängt davon ab, wie es mit dem Krieg weitergeht." Zu den Taliban wolle er nicht mehr zurück. Nach Hause aber schon.

Pakistaner leben im Ungewissen, seitdem die Terroristen kamen

Im Ungewissen leben alle Pakistaner, seitdem sich die Terroristen so vehement auf ihren eigenen Staat eingeschossen haben. Die Armee ist ausgezogen, um die Taliban dort zu besiegen, wo sie ihre größten Rückzugsräume haben: In den sogenannten Stammesgebieten entlang der afghanischen Grenze, vor allem in Nordwaziristan. Ein Jahr nach Beginn der Militäroffensive ist immerhin zu erkennen, dass das Militär entschlossener vorgeht als je zuvor.

Die Operation namens "Zarb-e-arb" - benannt nach dem Schwert des Propheten Mohammed - begann am 15. Juni 2014.

Eine Woche zuvor hatten die Taliban den Flughafen in Karatschi attackiert. Diesen demütigenden Schlag konnte und wollte die Armee nicht tatenlos hinnehmen. Seither sind ihre Einheiten weit vorgerückt in die Täler von Nordwaziristan.

Den Gegner ausschalten - um jeden Preis

Pakistan: Ein pakistanischer Soldat nach der Einnahme der Stadt Miran Shah im Juli 2014. Nur mühsam kommt die Offensive gegen die Taliban voran.

Ein pakistanischer Soldat nach der Einnahme der Stadt Miran Shah im Juli 2014. Nur mühsam kommt die Offensive gegen die Taliban voran.

(Foto: Rebecca Santana/AP)

Das Militär verspricht, den Gegner auszuschalten - koste es, was es wolle. Armeechef Raheel Sharif versicherte am Sonntag noch einmal, dass die Offensive keinem geringeren Ziel diene, als Frieden und Stabilität für ganz Pakistan zu schaffen. Doch nach zwölf Monaten kommt es noch immer zu Gefechten. Am Montag starben sieben Soldaten durch einen Selbstmordattentäter, als sie ihre Gegner verfolgten.

Meist meldet die Armee, dass sie Terroristen in kleineren oder größeren Gruppen bei Artillerie- oder Luftangriffen getötet habe. Überprüfbar ist das nicht. Und Pakistaner wundern sich manchmal darüber, wie man in so unübersichtlichem Terrain die Zahl der getöteten Feinde so schnell und exakt benennen kann.

Taliban sitzen in den Wäldern

Leute, die kürzlich das Gebiet besuchten und noch in Kontakt mit Verwandten dort stehen, bestätigen aber zumindest, dass die Armee die Taliban sehr stark zurückdrängt hat.

Einer, der geflohen ist aus den Bergen, kann seine Heimat jetzt nur noch aus der Ferne von oben betrachten. Dazu ruft er auf seinem Computer den Internet-Kartendienst Google Earth auf.

Der Mann sitzt am Tisch und fährt die Wege seiner Heimat auf dem Satellitenbild entlang, mit dem Zeigefinger bestimmt er die Ortschaften, sie heißen Mir Ali, Miranshah, Boyya, Dattakhel, Bibi, Doga.

Und dann sind da die großen dunkelgrünen Flächen. "Da sitzen die Taliban", sagt der Mann - Shawal Forest, ein Wald so groß und unwegsam, dass er wie geschaffen ist für alle, die sich verschanzen wollen. Dieses Terrain kennen die Aufständischen besser als die Armee. Noch dazu liegt der Wald ganz nah an der Grenze zu Afghanistan, wohin sich die Kämpfer zurückziehen können.

Wenn Vertriebene jetzt in ihre Dörfer in Waziristan reisen, wählen sie meist Umwege. Zuerst fahren sie hinüber nach Afghanistan und wandern von dort zurück in die Stammesgebiete, um das Militär auf pakistanischer Seite zu meiden.

Pakistan: SZ-Grafik

SZ-Grafik

Angesichts einer so durchlässigen Grenze kommt es besonders darauf an, dass Kabul und Islamabad künftig konsequent an einem Strang ziehen, um die Taliban-Extremisten zu bekämpfen. Die Chancen dafür dürften gestiegen sein.

Zumindest in Pakistan ist zu hören, dass der Austausch mit dem afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani weit besser funktioniere als mit dessen Vorgänger Hamid Karsai.

Ein regionaler Marshallplan als Lösung?

Dennoch ist es schwer für die Armee, wenn nicht unmöglich, die Kontrolle über die Berge über einen langen Zeitraum zu behalten. Sie brauchen lokale Verbündete. Mehr als eine Million Kriegsvertriebene warten nun darauf, in die zerstörten Dörfer zurückzukehren, doch Talibanführer haben gedroht, dass sie wegbleiben sollten, sonst würden sie bestraft.

Der Staat verspricht, Dörfer, Straßen und Brücken wieder aufzubauen, dafür stehen auch internationale Geldgeber bereit.

In der Zeitung Dawn ist die Rede von einer Art kleinem Marshallplan für die Region nach der Offensive. Er soll dabei helfen, die Bevölkerung dem Einfluss der Aufständischen zu entziehen und sie stattdessen für den pakistanischen Staat zu gewinnen. Nicht alle sind überzeugt. Einer der Vertriebenen sagt verbittert: "Wenn die Armee 200 Taliban tötet, dann schafft sie mit ihren Angriffen 2000 neue Taliban."

Der frühere General und heutige Analyst Talat Masood weiß um die Grenzen militärischer Gewalt. Um den Terror zu besiegen, fordert er neue Ideen. "Wie soll jemals Friede in den Stammesgebieten einkehren, wenn dort nur ganz wenige eine Chance auf Bildung haben?"

Bildung hilft im Kampf gegen Terror

Um den Terroristen den Nährboden zu entziehen, müsse sich viel mehr in ganz Pakistan ändern, sagt Masood. Die Dringlichkeit solcher Veränderungen würde aber von vielen nicht gesehen. So gibt es noch immer keine Fortschritte bei der Reform islamischer Schulen, den Madrassas. Dort blüht häufig genau jenes Gedankengut, mit dem Islamisten ihren Dschihad rechtfertigen.

Die Menschen in den Stammesgebieten für den Staat zu gewinnen, wird in diesen gewalttätigen Zeiten nicht leicht.

Traditionelle Führer dort sind hin- und hergerissen zwischen Widerstand und Kooperation. Angst um das eigene Leben spielt dabei manchmal eine wichtige Rolle.

Die Taliban haben viele Stammesälteste ermordet, so schafften sie Lücken im Machtgefüge, das sie fortan selbst füllten.

Allerdings schwächen Rivalitäten zwischen den Taliban-Fraktionen ihre Schlagkraft. Und der militärische Druck hat zugenommen, weil nicht nur US-Drohnen Angriffe fliegen, sondern auch die pakistanische Luftwaffe.

Manche Taliban-Kommandeure haben sich auch zeitweise abgesetzt, sie gingen nach Syrien und kamen zurück mit dem Bekenntnis, dass sie nun zu "Daish" gehörten, wie die Terrormiliz Islamischer Staat auch genannt wird. So ein Kommandeur ist zum Beispiel Said Khan.

Von anderen Führern glaubt man zwar, dass sie sich noch immer Mullah Omar, dem legendären Taliban-Chef aus Afghanistan, verpflichtet fühlen. Doch ist von dem nur noch selten zu hören. So wächst die Sorge, dass der Islamische Staat sich ausbreiten könnte, wenn alte Hierarchien bröckeln.

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