Pakistan:Primat der Armee

Lesezeit: 2 min

In dem nun 70 Jahre alten Staat ist das Militär inzwischen derart mächtig, dass es nicht einmal mehr putschen muss. Während die regierenden Politiker sich mehr um ihre Macht und ihre Familien als um das Allgemeinwohl kümmern, ziehen die Generäle die Fäden.

Von Tobias Matern

In diesen Tagen verkaufen die Händler auf Pakistans Basaren wieder besonders oft das Fähnchen mit dem weißen Halbmond und dem Stern auf grünem Tuch. Die muslimischen Symbole auf Pakistans Nationalflagge sollen Fortschritt und Wissen symbolisieren. Wenn die Nation nun den 70. Jahrestag ihres Bestehens feiert, werden diese Tugenden beschworen, wird Gründervater Ali Jinnah bemüht, der dem Staat einst die Formel "Einheit, Glaube und Disziplin" verordnete.

70 Jahre ist ein gutes Alter für ein bisschen Weisheit, im besten Falle sogar für eine gewisse Gelassenheit. Doch stattdessen dominiert im Atomstaat Pakistan ein Dauer-Drama den politischen Betrieb, von Einheit und Disziplin keine Spur: Immer schwebt ein Damoklesschwert über den Politikern, wenn sie überhaupt regieren dürfen. 70 Jahre Pakistan, das heißt auch: 70 Jahre im Schwitzkasten des Militärs. Der Streit mit Indien um Kaschmir dient den Generälen als Rechtfertigung für ihre herausragende Stellung im Staate, sie inszenieren sich als Bastion gegen den Nachbarn, der in den vergangenen Jahrzehnten Pakistan Schritt für Schritt abgehängt hat.

In diesem Klima entwickelt sich kein politischer Fortschritt. In Pakistan war es noch keinem Premierminister vergönnt, eine volle Amtszeit zu überstehen. Das Parlament hat nun den 19. Regierungschef des Landes gewählt, seinen Namen braucht man sich nicht zu merken. Er soll nur übergangsweise und als Statthalter amtieren. Der nächste Regierungschef steht schon bereit: der Bruder des gerade geschassten Premiers Nawaz Sharif.

In dem Atomstaat dominieren die Generäle die strauchelnde Politik

Die Sharifs, eine der beiden großen Politikerdynastien des Landes, kämpfen nach den Enthüllungen der Panama Papers und der darauf basierenden Absetzung des Regierungschefs durch das Oberste Gericht um ihre Macht. Clans wie die Sharifs oder die Bhuttos taugen nicht als tapfere Freiheitskämpfer gegen die mächtigen Männer in Uniform. Vertreter dieser Clans orientieren ihr Amtsverständnis an der eigenen Familie, nicht am Allgemeinwohl: Phasen an der Macht nutzen sie dazu, ihre Stellung zu sichern. In seiner brillanten Satire "So wirst du stinkreich im boomenden Asien" fasst es der pakistanische Autor Mohsin Hamid so zusammen: Statt auf harte, ehrliche Arbeit zu setzen, sei es "ein weit vernünftigerer Ansatz, die Staatsgewalt zum persönlichen Nutzen einzuspannen". Die meisten Politiker Pakistans haben diesen Leitsatz verinnerlicht.

Im institutionellen Ringen zwischen Justiz, Politik und Militär haben sich auch die Richter in den vergangenen Jahren immer wieder in das politische Tagesgeschäft eingemischt. Das Oberste Gericht stützt sich in seinem Urteil gegen Sharif nun auf eine Ermittlungskommission, in der zwei der sechs Mitglieder Vertreter der Militär-Geheimdienste waren. Die Richter bestrafen in Sharif zwar nicht den Falschen, dennoch ist das Urteil bei Weitem kein Sieg einer wachsamen Justiz: Es beruft sich auf einen Paragrafen der Verfassung, der "unehrliche" Politiker aus dem Amt fegen kann. Die Gesetzespassage stammt aus der Phase einer düsteren Militärdiktatur und gehört eigentlich abgeschafft.

In der Vergangenheit haben die Generäle immer wieder in Pakistan geputscht,wenn ihnen das Treiben der zivilen Führung missfiel. Aber ihre Macht ist nun so umfassend, dass sie keinen Coup brauchen. Sie bestimmen die Außen- und Sicherheitspolitik, sie nutzen das Versagen der politischen Klasse des Landes, um von eigenen Versäumnissen abzulenken. Pakistans Militär muss sich in einer vom Kampf gegen den Terrorismus gebeutelten Nation nicht mehr im Regierungsalltag die Finger schmutzig machen. Am 70. Geburtstag der pakistanischen Nation steht die Armee im Zenit ihrer Macht, die Politik hingegen strauchelt.

© SZ vom 02.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: