Pakistan nach dem Tod von Osama bin Laden:Der Freund der USA, ein Terrorhelfer?

Er lebte in einer Villa mit hohen Zäunen und Stacheldraht - trotzdem will Pakistan nichts von Bin Ladens Versteck gewusst haben. Präsident Zardari weist alle Vorwürfe zurück und sieht sein Land als "größtes Opfer des Terrorismus". Die USA fordern nun Taten von ihrem vermeintlichen Partner - das gegenseitige Misstrauen wächst.

Michael König

Er wollte nicht sprechen, zumindest nicht jetzt. Nach einem Treffen mit seinen Sicherheitsberatern verweigerte Pakistans Präsident Asif Ali Zardari zunächst jeden Kommentar zu dem Einsatz, der Stunden zuvor in der Stadt Abbottabad stattgefunden hatte: Ein Team der US-Navy-Seals hatte Osama bin Laden gefunden und getötet.

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Hat Pakistan Osama Bin Laden gedeckt, der sich mitten in Abbottabad versteckt hielt? Pakistans Präsident Asif Ali Zardari rechtfertigt sich in einem Gastbeitrag für die Washington Post.

(Foto: AFP)

Knapp zehn Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hatte sich der Al-Qaida-Chef nicht in einer Höhle verschanzt, sondern lebte mitten in Pakistan, eine Autostunde von der Hauptstadt Islamabad entfernt, in einem zur Festung ausgebauten Haus. Fünf bis sechs Jahre habe er auf dem Anwesen verbracht, sagte US-Präsidentenberater John Brennan.

Wie sollte Zardari das bloß den Verbündeten erklären?

Er schrieb einen Brief, 3711 Zeichen lang, und schickte ihn an die amerikanische Tageszeitung Washington Post, die ihn als Gastbeitrag abdruckte. Der Titel: "Pakistan did his part" - Pakistan hat seinen Teil beigetragen.

In betont zurückhaltenden Worten rechtfertigt sich Zardari: "Er war an keinem Ort, an dem wir ihn erwartet hatten. Aber jetzt ist er weg." Eine Dekade der "Kooperation und Partnerschaft" zwischen den USA und Pakistan habe zur "Eliminierung" Bin Ladens geführt. Mutmaßungen in US-Medien, Pakistan gewähre Terroristen Schutz, nannte er "gegenstandslose Spekulationen".

Die US-Regierung ist sich da nicht so sicher. Der Schlag gegen Bin Laden erfolgte ohne Vorwarnung an die Pakistaner, was Zardari in seinem Gastbeitrag auch einräumt. Der umstrittene pakistanische Geheimdienst ISI (Inter-Services Intelligence) hatte zunächst behauptet, er sei an der Aktion beteiligt gewesen.

Amerikanisches Misstrauen

Präsident Barack Obama und Außenministerin Hillary Clinton betonten zwar unmittelbar nach der Verkündung des Triumphs, wie wichtig die Partnerschaft mit Islamabad sei. Statements aus der zweiten Reihe beweisen jedoch: Das Misstrauen der Amerikaner gegenüber der Atommacht Pakistan wächst.

Mit Blick auf die Lage des Anwesens, in dem sich Bin Laden aufhielt, sagte Obamas Anti-Terror-Berater Brennan: Es sei "unvorstellbar", dass der Terrorist kein "Unterstützersystem" in Pakistan gehabt habe. "Wir prüfen nun, wie er so lange versteckt bleiben konnte", sagte Brennan.

US-Medien berichten in einer Mischung aus Verwunderung und Empörung über Bin Ladens Villa, die nur wenige hundert Meter von einer pakistanischen Militärakademie entfernt liegt. Das Anwesen sei zigfach größer als umstehende Häuser und mit hohen Mauern und Stacheldraht gesichert, heißt es in Berichten. Zudem hätten sich die Bewohner verdächtig verhalten, indem sie ihren Müll im Garten verbrannten. In der Nachbarschaft sollen hochrangige pakistanische Militärs wohnen, die in Abbatobad ihre Altersruhe genießen.

"Wir waren geschockt, als wir dieses außerordentliche Anwesen sahen ", zitiert der Londoner Guardian einen US-Beamten. Hätte der meistgesuchte Terrorist in dieser Umgebung wirklich unerkannt bleiben können, ohne die Hilfe des Geheimdienstes? Und deckt Pakistan womöglich auch andere Al-Qaida-Terroristen wie den vermeintlichen Bin-Laden-Nachfolger Ayman al-Zawahiri oder den Talibanführer Mullah Omar?

"Größtes Opfer des Terrorismus"

Nein, behauptet Präsident Zardari in der Washington Post. Sein Land sei das womöglich größte Opfer des Terrorismus und ein Hauptziel von al-Qaida, deshalb habe Pakistan keinen Grund gehabt, Bin Laden zu schützen. "Der amerikanische Krieg gegen den Terror ist genauso sehr ein pakistanischer Krieg", schreibt Zardari. Er habe außerdem einen persönlichen Grund gehabt, gegen den Terroristen vorzugehen. Schließlich habe al-Qaida seine Frau, die damalige Präsident Benazir Bhutto, getötet - was das Terrornetzwerk jedoch nie zugegeben hat.

Die Zweifel an der Zuverlässigkeit Pakistans wird Zardari damit kaum beseitigen können - zumal stetig neue Gerüchte aufkommen: So will die in Dubai ansässige englischsprachige Tageszeitung Gulf News erfahren haben, dass Bin Ladens Anwesen einst vom pakistanischen Geheimdienst ISI als konspirativer Treffpunkt genutzt worden ist. Die Zeitung zitiert einen "älteren Geheimdienstagenten" des ISI mit den Worten: "Es wurde eine Zeit lang als sicheres Haus benutzt, zuletzt aber nicht mehr, weil diese Orte ständig wechseln."

Obwohl es dafür keine Bestätigung gibt, dürfte der Bericht für die Amerikaner ein Grund mehr sein, den pakistanischen Geheimdienst kritisch zu hinterfragen. "Die USA werden jetzt ihr Verhältnis zu Pakistan überprüfen müssen", schreibt die konservative Londoner Zeitung The Times. "Islamabad hat sich bestenfalls der Duldung schuldig gemacht, schlimmstenfalls war es Komplizenschaft. Es wäre unklug, dieser unfähigen Regierung zu trauen."

Schon die Enthüllung geheimer US-Dokumente durch das Enthüllungsportal Wikileaks im Juli 2010 hatte gezeigt, wie misstrauisch die Amerikaner ihrem vermeintlichen Partner gegenüberstehen. Berichte des US-Militärs aus den Jahren 2004 bis 2007 hätten gezeigt, dass der pakistanische Geheimdienst den Taliban Unterschlupf gewährt habe.

Von einer direkten Verbindung zu al-Qaida war darin nicht die Rede, doch Experten wie der Hamburger Politologe und Historiker Bernd Greiner sind überzeugt, die Pakistaner hätten zumindest geduldet, "dass die Taliban mit al-Qaida verbandelt waren".

Pakistans Verwundbarkeit

Der pakistanische Journalist Ahmed Rashid, der Standardwerke über die Taliban und ihre Beziehungen zu al-Qaida verfasst hat, betont einen anderen Punkt: Die engen Verbindungen Pakistans zu al-Qaida machen das Land "extrem verwundbar" - Experten fürchten immer wieder, die Atomsprengköpfe des Landes könnten in die Hände von Terroristen geraten, wenn sich die Lage destabilisiert.

Rashid sagt in einem Artikel für die Frankfurter Rundschau voraus, dass das Netzwerk al-Qaida und seine verbündeten pakistanischen Gruppen fest entschlossen seien, "im Gedenken an Osama bin Laden eine Serie von Bombenanschlägen zu verüben". Dies werde die Spannungen in Pakistan weiter erhöhen - dabei ist das Land ohnehin schon von Energie-Engpässen und einer Wirtschaftskrise geplagt.

Präsident Zardari muss nach der Entdeckung Bin Ladens in Abbottabad nun fürchten, dass die Amerikaner den Druck auf Pakistan erhöhen. Washington hat nun ein gewichtiges Argument mehr, seine Drohnen in Pakistan fliegen zu lassen.

Die New York Times berichtet unter Berufung auf US-Militärbeamte, Washington wolle "den Moment ausnutzen, um Pakistan anzutreiben, aggressivere Maßnahmen gegen militante Gruppen zu ergreifen".

Obamas Berater Brennan drückte sich berufsgemäß diplomatischer aus: "Wir arbeiten jetzt sehr eng zusammen und halten uns die Möglichkeit offen, Spuren zu verfolgen, wo auch immer wir welche finden."

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