Pakistan: Minister getötet:Mord im Land der Reinen

Islamisten verteidigen Pakistans harsches Blasphemiegesetz mit Gewalt gegen Kritiker, nun töteten sie sogar Minister Shabhaz Bhatti. Wenige Tage vor dem Mord traf ihn SZ-Reporter

Matern in Islamabad.

Das pakistanische Ministerium für Minderheiten ist klein, unscheinbar und liegt im sechsten Stock eines Büroturms. Vor dem Eingang lässt es der Staat bislang nicht besser sichern als die örtliche McDonald's-Filiale. Der Wachmann gestattet dem Gast weiterzugehen, obwohl der Metall-Detektor eindringlich piepst. Das ist in Pakistan nicht ungewöhnlich. Vor vielen Gebäuden stehen uniformierte Männer mit gezückten Waffen, es gibt Kontrollen wie an Flughäfen, doch effizient sind sie selten. Selbst das Armee-Hauptquartier haben Extremisten bereits überfallen.

Pakistan: Minister getötet: Geschockt blicken zwei Angehörige von Shabhaz Bhatti in das Auto, in dem der pakistanische Minister für religiöse Minderheiten starb.

Geschockt blicken zwei Angehörige von Shabhaz Bhatti in das Auto, in dem der pakistanische Minister für religiöse Minderheiten starb.

(Foto: AFP)

Oben im Ministerium angekommen sieht der Besucher zunächst ein Porträt von Ali Jinnah. Daneben ist auf einem drei Meter langen Banner die Vision des pakistanischen Gründervaters gedruckt: Der Staat solle sich nicht in die religiösen Angelegenheiten der Bürger einmischen, sie sollten unabhängig von ihrer Religion nebeneinander leben können. Das sei der Weg zur Stabilität. Die hehren Wünsche Ali Jinnahs sind fast 64 Jahre alt, sie datieren aus den Anfängen der Islamischen Republik. Bis heute bleibt dieses Ideal nicht nur unerfüllt, es tritt genau das Gegenteil ein: Pakistan rutscht in die Anarchie ab.

Fast ein Dutzend Männer mit Maschinengewehren bewachten den Zugang zu Shabhaz Bhattis Büro, als der pakistanische Minister für Minderheiten die Süddeutsche Zeitung am vergangenen Montagnachmittag in Islamabad zum Gespräch empfing. Er ließ Tee und Kekse reichen, er wirkte ruhig und gelassen, sprach konzentriert und offen. Immer wieder schaute der Politiker auf die Nachrichten, die im Fernsehen liefen und die sich in Pakistan Tag für Tag ähneln: Sie handeln von Anschlägen, von der galoppierenden Inflation, der Wut über steigende Lebensmittel- und Benzinpreise. Darin kommen auch zivile Politiker vor, die sich lieber in eitlen Streitereien verbeißen statt gemeinsam die islamistische Bedrohung zu bekämpfen.

Bhatti, der einzige Christ in der pakistanischen Regierung, nahm sich ausgiebig Zeit, um über die desaströse Lage des Landes zu sprechen. Es werde Zeit brauchen, vielleicht sogar eine ganze Generation lang dauern, bis sich die "Geisteshaltung" seiner Landsleute ändern werde, bis Morde, Anschläge und Denkverbote beim Thema Religion aus der Gesellschaft verschwunden sein könnten. "Zumindest hoffe ich, dass all dies verschwinden wird", sagte er. Seine Worte klingen zwei Tage später wie das Vermächtnis eines aufrechten Mannes.

Am Mittwoch erschossen Extremisten den Minister, als er aus seinem Haus in Islamabad trat. Mindestens zehn Kugeln sollen die zwei Attentäter abgefeuert haben. Sie versicherten sich nach ersten Angaben von Ermittlern noch, ob Bhatti tatsächlich tot war. Die Fahrt ins Krankenhaus kam für ihn zu spät. Die Ärzte konnten nur noch seinen Tod feststellen. Shabhaz Bhatti wurde 42 Jahren alt. Er ist im Kampf für ein offeneres Pakistan gestorben.

Der "schwarze" Gesetzesartikel

Am Tatort soll ein Bekennerschreiben gefunden worden sein: Darin habe eine Splittergruppe der Taliban gedroht, jeder, der sich für Änderungen am Blasphemie-Gesetz stark mache, werde sterben, hieß es in pakistanischen Medien. Genau darin sah Bhatti sein politisches Lebenswerk. "Ich möchte, dass sich in diesem Land alle Parteien, religiösen Gruppierungen und zivile Organisationen zusammensetzen und gemeinsam über dieses Gesetz reden", hatte er am Montag gesagt.

Dieses Gesetz war schon im Januar dem Gouverneur der Provinz Punjab, Salman Taseer, zum Verhängnis geworden. Dessen Leibwächter hatte die Waffe gegen den Politiker erhoben und ihn auf einem Markt in Islamabad kaltblütig ermordet. Der liberale Lebemann Taseer hatte immer wieder eine Reform des seiner Ansicht nach "schwarzen" Artikels 295-C gefordert. In diesem Teil des pakistanischen Strafgesetzbuches steht: Wer sich abfällig über den Propheten Mohammed äußert, soll mit dem Tod bestraft werden. Inzwischen reicht es im "Land der Reinen" aber schon, eine Diskussion über die drastische Auslegung des Gesetzes zu verlangen, um sein Leben zu gefährden. Oder, wie Bhatti es getan hat, über zweifelhafte Verfahren zu sprechen, die basierend auf Gerüchten und nachlässigen Ermittlungen, zu eindeutigen Urteilen kommen.

Einen solchen Fall gab es anscheinend im Dorf Ittanwali in der Nähe der ostpakistanischen Metropole Lahore. Hier hatte der Imam Qari Muhammad Salam eine Anzeige gegen die Christin Asia Bibi auf den Weg gebracht. "Sie darf nicht begnadigt werden, sie muss mit aller Härte bestraft und gehängt werden", sagte er vor einigen Tagen. Bei der Feldarbeit hatte sich die Tagelöhnerin Bibi mit zwei muslimischen Kolleginnen angelegt. Sie gingen zum Imam und behaupteten, Bibi habe den Propheten und den Islam beleidigt. Die Beschuldigte sagte später, das stimme nicht. Doch der Geistliche sagte, sie habe ihre Schuld in Anwesenheit des ganzen Dorfes gestanden. Somit habe es kein anderes Strafmaß für sie geben können. Ein Gericht verurteilte Asia Bibi Ende vergangenen Jahres zum Tode.

Bhatti hatte sich für sie und ihre Familie eingesetzt. Ihr Mann und die Kinder leben im Untergrund. Der Minister für Minderheiten half dabei, sie aus der Öffentlichkeit verschwinden zu lassen. Es werde "alles für ihre Sicherheit getan", sagte er vor seinem Tod. Die Familie bekommt von Islamisten noch immer Todesdrohungen. Auch das Gefängnis, in dem Asia Bibi einsitzt, wollten die Extremisten attackieren, erzählte der Minister.

Die Selbstjustiz erntet Zustimmung

Der Fall sorgt weltweit für Aufregung. Papst Benedikt XIV. und westliche Politiker fordern Bibis Freilassung. Aus Sicht ihres Anwalts Rai Muhammad Ajmal ist diese Einmischung "wenig hilfreich", sie mehre nur die Wut in Pakistan. Im schriftlichen Urteil gegen Asia Bibi heißt es, sie habe sich zu ihrer Schuld bekannt. Das weist der Anwalt vehement zurück.

Ajmal hat am Blasphemie-Gesetz nichts auszusetzen, aber der Fall Bibi zeige, wie trotz unbewiesener Anschuldigungen und widersprüchlicher Aussagen Menschen verurteilt würden. Zudem habe es zahlreiche Verfahrensfehler gegeben. "Eine faire Verhandlung ist in Pakistan in dieser Angelegenheit nicht möglich", sagt Ajmal. Die Menschen in seinem Land urteilten in solchen Fällen vorschnell und "nicht mit ihrem Verstand, sondern ihren Herzen". Die Gerichte seien extremem Druck ausgesetzt. Dennoch macht sich Ajmal Mut: Asia Bibi werde freikommen. Er rechnet sich gute Chancen für die Revision aus. Die nächste Runde vor Gericht könnte allerdings noch Jahre dauern - im Moment verhandelt die für Bibis Fall zuständige Instanz Urteile aus dem Jahr 2006. Falls die Richter erneut gegen sie entscheiden werden, bliebe noch der Gang zum Obersten Gericht Pakistans.

In der Islamischen Republik sind nach Regierungsangaben 1300 Fälle von Blasphemie registriert worden, seit Militärdiktator Zia ul-Haq das Gesetz 1984 verschärfte. Noch nie ist jemand nach Ausschöpfung des Rechtsweges hingerichtet worden. Wohl aber gab es bereits vor Taseer und Bhatti Dutzende Fälle von Selbstjustiz. Die genaue Zahl gilt als ungewiss. Es geht nicht ausschließlich um Rache an religiösen Minderheiten. Im Fall eines muslimischen Angeklagten, der offenbar psychisch gestört ist und sich öffentlich als Prophet bezeichnet hat, sei der wahre Hintergrund der Anzeige ein "persönlicher Rachefeldzug des Anklägers" gewesen, sagt sein Anwalt Ansar Nawaz Mirza. Genau darum ging es dem Minister Bhatti: Den Missbrauch des Gesetzes einzudämmen.

Aber schon der Mord an Taseer zeigt, wie viel Zustimmung die Selbstjustiz im Fall des Blasphemie-Gesetzes erntet. In der Express Tribune, einer der liberalsten Zeitungen Pakistans, hielten bei einer Online-Umfrage mehr als drei Viertel der Leser den Mord am Gouverneur für angemessen. "Wir waren über das Ergebnis geschockt"", sagt ein Journalist des Blattes. Taseers Mörder gab nach seiner Festnahme zu Protokoll, er habe die Worte des Politikers als Angriff auf seine religiösen Gefühle empfunden. Auf dem Weg zum Gericht bejubelten ihn zahlreiche Anwälte und bewarfen ihn mit Blumen. Etliche Juristen bewarben sich darum, ihn verteidigen zu dürfen.

Auch der Anwalt am Distriktgericht von Nankana Sahib, Syed Ahtsham Shah Gallanii, hätte gern seinen "muslimischen Bruder", wie er Taseers Mörder nennt, vor Gericht vertreten. Allerdings will er auch für diesen keinen Freispruch erwirken: Der Mann habe Unrecht begangen und solle dafür verurteilt werden. Eigentlich sei Selbstjustiz kein angemessenes Mittel, aber im Fall Taseer sei dies "in Ordnung" gewesen, findet Gallanii. Zwar sollten Menschen eher nach dem Paragraphen 295-C und durch einen Richterspruch bestraft werden, aber "in Pakistan gibt es keine faire Justiz", sagt der Anwalt. Mächtige Männer wie Taseer kämen sonst ungeschoren davon. Er habe seine gerechte Strafe erhalten. Genau solche Ausführungen waren es wohl, die Bhatti meinte, wenn er davon sprach, sein Land brauche einen umfassenden Mentalitätswechsel.

Bhatti wirkte am Montag noch alles andere als eingeschüchtert - obwohl er immer wieder Anrufe erhalten hatte, in denen ihm Männer sagten, er werde hingerichtet. Die Situation sei zwar für seine Familie nicht einfach gewesen, aber er werde sich von Terroristen nicht die Art zu leben diktieren lassen, sagte der Politiker. Kurz vor der Verabschiedung am Montag sagte Shabhaz Bhatti diesen Satz: "Nach dem Mord an Taseer bin ich auf der Liste der Terroristen jetzt die Nummer eins."

Keine 48 Stunden später haben sich seine Worte als grausame Wahrheit erwiesen.

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