Pakistan:Macht in Uniform

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Nichts geht ohne Kontrolle: Für die Wahl in Pakistan sind 350 000 Sicherheitskräfte abgestellt worden. (Foto: K.M. Chaudary/AP)

Ein Atomstaat vor der Parlamentswahl: Außer den großen politischen Dynastien redet auch das Militär noch immer gehörig mit. Daran, dass die Wahl frei ist, zweifeln viele.

Von Tobias Matern, München

Pakistans Demokratie ist im Dauerstress. Die Regierung der muslimischen Nation steht fast immer auf der Kippe und kämpft permanent mit den anderen zentralen Institutionen des Landes - Armee und Justiz.

Das Militär zieht die Strippen, wie immer in der gut 70-jährigen Geschichte des Landes. Etwa die Hälfte der Zeit regierte ein Vertreter der Armee die muslimische Nation, die andere Hälfte dominierten sie zumindest die Außen- und Sicherheitspolitik. Und die Richter fällen Urteile, die dem mächtigen Sicherheits-Establishment in die Hände spielen.

106 Millionen Wähler sind an diesem Mittwoch aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Der Wahlkampf war geprägt von Einschüchterungen gegen Parteiaktivisten, Anschlägen, die unter anderem der Islamische Staat (IS) für sich reklamiert hat. Und auch die Medien wurden eingeschränkt oder bedroht.

Zudem überschattet der Vorwurf, die Armee beeinflusse die Wahl, den Urnengang. Die pakistanische Menschenrechtskommission teilt mit, sie sei "zutiefst besorgt über die unverhohlenen, aggressiven und ungenierten Versuche, das Ergebnis der anstehenden Wahlen zu manipulieren" - und verweist auf die Macht der Uniformierten. Neu ist: Die Missstände werden benannt, die Zivilgesellschaft lässt sich nicht einschüchtern.

350 000 Sicherheitskräfte werden für die Wahl abgestellt, die Menschenrechtskommission befürchtet, dass sie nicht nur zum Schutz, sondern auch zur Beeinflussung der Wähler eingesetzt werden. Dabei steht für das wirtschaftlich geschundene Pakistan einiges auf dem Spiel: Es ist erst das zweite Mal in der Geschichte der Atommacht, dass eine zivile Regierung eine ganze Amtszeit überstanden hat - wenn auch mit Schrammen. Mit Genugtuung haben die Generäle verfolgt, wie der Premierminister Nawaz Sharif von der Muslimliga (PML-N) über die durch die Panama Papers aufgedeckten Finanzgebaren seiner Familie seinen Job verloren hat.

Nach seiner kurzzeitigen Flucht ins Londoner Exil ist Sharif unmittelbar vor der Wahl mit Tochter Maryam nach Pakistan zurückgekehrt. Beide wurden verhaftet und sitzen nun im Gefängnis. Aber der Sharif-Clan gibt sich nicht geschlagen: Shehbaz Sharif, der Bruder von Nawaz, möchte den Wahlsieg einfahren. Die Familie will die Abstimmung zu einem Volksentscheid machen, um im Ringen mit dem Militär die Mehrheit des Volkes hinter sich zu bringen. Die von Nawaz in Kauf genommene Festnahme hat unter den Parteigängern eine zusätzliche Motivation entfacht.

Die Probleme geraten da leicht in den Hintergrund. Dabei bräuchte Pakistan dringend einen wirtschaftlichen Schub und müsste seine finanzielle Abhängigkeit vom neuen Freund China drosseln. Und Millionen junger Pakistaner dürsten nach einer Perspektive, nach Jobs. Ihre Wünsche aufzugreifen, wäre das beste Mittel gegen die Radikalisierung. Der Westen ist auf Stabilität in Islamabad angewiesen, denn Pakistan ist im Ringen um Frieden in Afghanistan ein zentraler Akteur, weil das Establishment offenbar nach wie vor Kontakte zu den Taliban unterhält.

Nicht nur die Sharifs kämpfen ums Überleben, auch der zweite große Clan: die Familie Bhutto

Aber die großen politischen Dynastien des Landes sind mehr mit sich beschäftigt als mit politischen Konzepten. Nicht nur die Sharifs kämpfen ums Überleben, auch der zweite große Clan, die Bhuttos, sind auf ein starkes Wählervotum angewiesen. Der 29-jährige Bilawal Bhutto Zardari tritt als Spitzenkandidat für die Pakistanische Volkspartei (PPP) an. Seine Mutter, Ex- Premierministerin Benazir Bhutto, wurde 2007 ermordet, der Großvater vom Militär hingerichtet. Für Bilawals Vater Asif Ali Zardari, Ex-Präsident Pakistans, geht es darum, seine eigene Haut zu retten - gegen ihn laufen Ermittlungen wegen Geldwäsche. Ein starkes Wahlergebnis könnte ihn vor der Justiz schützen. So treten die Interessen Einzelner über das Allgemeinwohl. Als dritte Kraft bietet sich der frühere Kricket-Star Imran Khan an - er verspricht eine saubere Regierungsführung und den Kampf gegen die Korruption. Aber die Euphorie, die er bei der Wahl vor fünf Jahren entfachen konnte, fällt dieses Mal verhaltener aus. Khan wettert zwar gegen die USA, damit lassen sich immer Punkte sammeln. Aber in Islamabad wird vermutet, er könnte auch mit religiösen Hardlinern kooperieren, um eine Mehrheit zu erreichen. Und ihm wird unterstellt, er sei der neue "Posterjunge" des Militärs, solle also das zivile Antlitz einer Regierung mimen, die von den Generälen geduldet wird.

Khan wehrt sich gegen diese Darstellung, zerstreuen konnte er sie aber vor allem deshalb nicht, weil er im Gespräch mit der BBC den pakistanischen Armeechef Bajwa als "pro-demokratischsten Mann, den wir je gesehen haben", bezeichnet hat.

Die zentrale Frage für viele Pakistaner ist: Wie frei sind diese Wahlen, greift das Militär ein, um das Ergebnis zu beeinflussen? Wenn die Abstimmung fair verlaufe, habe die Partei des geschassten Premiers Sharif gute Chancen auf eine Mehrheit im Parlament, sagt Fida Hussain, Analyst in Islamabad. Auch dass Tausende PML-N-Mitarbeiter mit Strafverfahren überzogen werden, könnte die Reihen bei der Regierungspartei schließen.

Doch die größte Konstante ist die Ungewissheit: Pakistans Politik und Justiz liegen über Kreuz, statt eine Allianz gegen das Militär zu formen. Dass die Richter gegen eine politische Klasse vorgeht, die sich in die eigene Tasche wirtschaftet, ist zwar ein wichtiger Schritt hin zu einem sauberen Staat. Allerdings sind auch die Richter offenbar dem Militär zugeneigt. Die Haftstrafe gegen Sharif basiert auf einem dehnbaren Gesetz, mit dessen Hilfe "unehrliche" Politiker aus dem Amt gejagt werden können. Erlassen hat es ein Militärdiktator in einer besonderen dunklen Phase des Landes. "Viele Wähler sind demoralisiert", sagt Analyst Hussain. Sie glaubten, das militärische Establishment werde die Wahl sowieso beeinflussen.

© SZ vom 24.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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