Politik gegen Militär, Militär gegen Politik. Dieser Zweikampf bestimmt häufig das Geschehen in Pakistan. Deutlich mächtiger sind dabei die Uniformierten. Sie legen die Regeln fest, lassen Politiker zwar in gewissen Grenzen regieren, stürzen diese aber, wenn sie zu mächtig werden. Ein Wissenschaftler prägte dafür einmal den Begriff "Kasernenhofdemokratie".
Die bewegte Geschichte dieses Duells im nuklear hochgerüsteten Pakistan ist seit Dienstag um ein Kapitel reicher. Paramilitärische Einheiten verhafteten Ex-Premierminister Imran Khan nach einem Gerichtstermin in der Hauptstadt Islamabad. Dem Land stehen nun wieder mal unruhige Zeiten bevor: Der 70-jährige Khan genießt im Volk nach wie vor Sympathien, auch wenn ihn das Parlament im vergangenen Jahr des Amtes enthoben hat. Bei regionalen Wahlen schnitt seine Partei PTI seitdem dennoch ordentlich ab.
Khan versuchte denn auch, Neuwahlen zu erzwingen und den Druck der Straße zu erhöhen, um sich mithilfe von Demonstrationen wieder zurück an die Macht zu bringen. Allerdings sah er sich einer Reihe von Korruptionsanschuldigungen ausgesetzt. Daher musste er am Dienstag auch vor Gericht erscheinen.
Khan profiliert sich im Land mit Anti-Amerikanismus
Khan war früher Kapitän der pakistanischen Cricket-Nationalmannschaft und versetzte das ganze Land 1992 in Ekstase, als er das Team zum Weltmeistertitel führte. Seine Beliebtheit nutzte er später für seine politische Karriere, in der er den Widerstand gegen das Militär und eine anti-amerikanische Grundhaltung zu seinem Merkmal machte. Aufgrund seiner vermeintlichen ideologischen Nähe zu Extremisten gibt es Gegner, die ihm den Spitznamen "Taliban Khan" gegeben haben.
Mit populistischen Parolen gelang ihm nach einigen gescheiterten Anläufen im Jahr 2018 der Sprung an die Spitze der Regierung: Khan gewann mit seiner Partei die Parlamentswahlen und wurde Premierminister, nachdem er sich vom Gegner zum "Poster Boy" des Militärs gewandelt hatte. Damit durchbrach Khan einen jahrzehntelangen Zyklus zweier politischer Dynastien in Pakistan: Die Familien Sharif und Bhutto wechselten sich, häufig unterbrochen durch militärische Coups, an der Regierungsspitze der muslimischen Nation ab. Seit Khans Sturz regieren die Sharif- und die Bhutto-Partei, die sich oft schon feindlich gegenüberstanden, gemeinsam in einer Koalition in Islamabad.
Mehrheiten und Bündnisse können in Pakistan manchmal extrem schnell wechseln. In diesem Jahr stehen turnusgemäß Wahlen im Herbst an, wann diese genau stattfinden werden, ist noch nicht festgelegt.
Die Justiz als Waffe
Die Verhaftung Khans könnte nun auch zu gewalttätigen Protesten seiner Anhänger führen. Bereits am Dienstag kam es vor dem Gerichtsgelände in Islamabad zu Zusammenstößen zwischen Anhängern des Politikers und der Polizei. Einige Versuche, ihn in seinem Haus in Lahore festzunehmen, hatten Khans Anhänger in den vergangenen Monaten einige Male vereitelt. Einen Mordanschlag bei einem politischen Auftritt im November hatte Khan überlebt.
Wie gegen zahlreiche gescheiterte Premierminister vor ihm in Pakistan, liefen auch gegen Khan nach dem Ende seiner Amtszeit Gerichtsprozesse, in denen es in aller Regel um Korruption und Machtmissbrauch geht. Meist sind die Anschuldigungen nicht aus der Luft gegriffen, werden aber vom Militär oder dem aktuellen politischen Gegner instrumentalisiert. "Die Anschuldigungen gegen Khans Vorgänger waren deutlich gravierender", sagte ein pakistanischer Analyst in Islamabad der SZ am Dienstag. Das Militär habe sich offenbar bedroht gefühlt durch Khans Popularität, und er habe die Kritik gegen die Armee auf die Spitze getrieben.
Die Polizei teilte in einer Stellungnahme mit, Khan sei wegen eines dubiosen Immobiliendeals verhaftet worden, aber seine Anhänger tun dies als konstruierte Vorwürfe ab. "Es ist noch unklar, ob seine Verhaftung ihn beliebter machen oder ihn zähmen wird", sagte der Analyst, der namentlich nicht genannt werden wollte.
Die hohen Zustimmungswerte für Khan resultieren auch daraus, dass die Regierung keinen Weg findet, die wirtschaftlichen Probleme des Landes zu lösen. Eine Inflationsrate von mehr als 30 Prozent und die schwache pakistanische Rupie setzen der Mehrheit der etwa 230 Millionen Menschen in Pakistan zu, auch sind noch immer die Folgen der verheerenden Flut im vergangenen Jahr spürbar.
Dem Land drohe der Zahlungsausfall, warnten internationale Finanzanalysten zu Beginn der Woche, falls der Internationale Währungsfonds (IMF) nicht bereit sei zu helfen. Ein weiteres Problem: Die pakistanischen Taliban haben eine Waffenruhe mit der Regierung aufgekündigt, die Zahl der Anschläge nimmt wieder zu.