Südasien:Wie der Anschlag auf Imran Khan die Proteste in Pakistan anheizt

Südasien: Imran Khan, Ikone der Protestbewegung in Pakistan.

Imran Khan, Ikone der Protestbewegung in Pakistan.

(Foto: Akhtar Soomro/Reuters)

Am Tag nach den Schüssen auf den populären Ex-Premier nehmen die Proteste zu, Khan selbst wirft Regierung und Militär eine Verschwörung vor. Ist das Chaos noch einzudämmen?

Von Arne Perras

Natürlich warteten alle auf Imran Khan, den Patienten. Am Freitag hatte er angekündigt, sich aus dem Klinikbett zu erheben, um seiner verwirrten Nation zu erklären, was da passiert ist. Am Tag zuvor hatte der 70-jährige Ex-Premier einen Anschlag überlebt, bei dem ein Mann starb und mindestens vierzehn Menschen verletzt wurden.

Seither ist Pakistan aufgewühlt wie lange nicht mehr. Und Khan tut an diesem Tag nichts, um den Zustand abzumildern, im Gegenteil.

Er beginnt seinen Auftritt im Fernsehen viel später als angekündigt, und zunächst lässt er einen Arzt die Röntgenbilder seines Beines nach der Schussverletzung zeigen. Der Knochen ist gebrochen, dazu zwei Kugelfragmente, von Querschlägern, die ihn trafen. Nur falls noch jemand Zweifel hatte. Khan sitzt im Rollstuhl, er trägt ein blaues Gewand, das rechte Bein dick eingebunden und hochgelegt. Er spricht jetzt über das vergangene halbe Jahr, als er die Macht verlor, er wiederholt den Vorwurf, dass die USA Druck gemacht hätten, ihn aus dem Amt zu jagen. Manche hätten geglaubt, dass er und seine Partei damit erledigt wären, aber da sei ja noch das Volk, sagt Khan.

Er baut damit gleich wieder eine große Kluft auf, zwischen sich und dem Volk auf der einen Seite, und dem sogenannten Establishment auf der anderen, womit in Pakistan gewöhnlich das Militär und die mit ihm verbündeten etablierten politischen Zirkel umschrieben werden. Da ist sie wieder, die große Polarisierung, Khan bedient dieses Bild gerne.

Und schließlich kommt er zur Sache: Innenminister Rana Sanaullah, Premierminister Shehbaz Sharif und General Faisal Naseer hätten sich verschworen, um ihn zu töten, so lautet sein Vorwurf. Faisal ist ein führender Mann im Geheimdienst. Die Regierung und das Militär weisen die Anschuldigungen später vehement zurück, die Armee formuliert noch eine Drohung dazu: "Niemandem wird es erlaubt, straflos die Institution oder ihre Soldaten zu diffamieren", heißt es in einer Erklärung.

Nun dürfte es immer schwieriger werden, noch Brücken zu bauen zwischen dem Lager Khans und seinen Gegnern. Khan kündigt schon mal Zustände wie in Sri Lanka an. "Es wird Chaos geben", sagt der Oppositionsführer. Auch das klingt wie eine Drohung.

Was Khan erzählt, passt nicht zu anderen Informationen über den Angriff

Im Laufe des Tages, vor Khans Rede, hatten die Proteste seiner Anhänger erheblich an Fahrt aufgenommen. Vor dem Gouverneurssitz in Lahore entzündeten Demonstranten Reifen, Videos zeigten dicke Rauchschwaden durch die Straßen wehen. In Karachi feuerte die Polizei Tränengas in die Mengen. Es flogen Steine auf Sicherheitskräfte. Schließlich gab es auch Zusammenstöße in Islamabad.

Besonders verblüffend waren Szenen am Vorabend in der Stadt Peshawar, die durch Videos dokumentiert sind. Eine zornige Menge versammelte sich dort vor dem Anwesen des regionalen Militärkommandeurs. Es gab sogar Aufnahmen eines aufgeregten, weiß gekleideten Mannes, der, angefeuert von der Menge, auf ein gepanzertes Fahrzeug kletterte und darauf herumhopste, als wollte er es mit der bloßen Kraft seiner Beine zerstampfen.

Barfüßige Wut in Sandalen, gerichtet gegen grün lackierten Stahl. Man mag darin schon ein Sinnbild sehen für die Macht- und Kräfteverhältnisse im Staat Pakistan. Aber andererseits: Dass sich der zivile Unmut gegen das Militär derart offen Bahn brach, hat man so noch nicht gesehen in diesem Land. Gut möglich, dass das mächtige pakistanische Militär, das nicht nur viele politische Fäden zieht, sondern auch über ein beträchtliches Nukleararsenal wacht, nun doch - im Stillen - ein wenig ins Grübeln gerät.

Wem diese Unruhe nützt? Das Militär kann Chaos einerseits ausnutzen, um die eigene Rolle als Ordnungsmacht zu betonen. Aber zu viel Chaos, das bedeutet auch schwer kalkulierbare Risiken für die Generäle. Vor allem, weil Khan ein so populärer Mann ist, der wie kein anderer die Massen mobilisieren kann.

Viel Nervosität macht sich breit, wie aus Quellen in Pakistan zu hören war. Und es gibt auch weiter reichlich Spekulationen über die Hintergründe des Anschlags, weil das, was Khan erzählt, nicht recht passen will zu anderen Informationen über den Angriff; etwa ein viel beachtetes Video, das den mutmaßlichen Attentäter bei einer Polizeiaussage zeigen soll. Der Mann sagt darin, er habe ganz alleine gehandelt. Khans Version aber klingt ganz anders, er redet von Verschwörung und mehreren Hintermännern, die ihn und seine Partei niederringen wollten.

Uzair Younus, Pakistanexperte am Think Tank Atlantic Council in Washington, schreibt in der Zeitung Dawn, dass Khan, "vom Tode gestreift" nun noch stärker daran glauben dürfte, dass er auf dieser Welt ein Mann mit einem speziellen Auftrag ist. Er sieht sich als der Retter, um "die korrupten Mafiabanden zu besiegen, die sein geliebtes Land um alles Potential und alle Reichtümer gebracht haben, die es zu bieten hatte".

Nach dieser Lesart stilisiert der frühere Cricket-Kapitän Khan die politische Auseinandersetzung in Pakistan zum Kampf zwischen Gut und Böse. Damit gelingt es ihm ganz offenbar, seine Popularität erneut zu steigern, die er als Regierungschef, in der Mühsal der Ebene, zuletzt immer mehr eingebüßt hatte.

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