Pakistan: Festnahme:US-Agenten freuen sich über Top-Talib

Schlag gegen Taliban: Geheimdienstler der USA und Pakistans haben Mullah Baradar gefasst. Er soll ein Intimus von Osama bin Laden sein. Die Taliban weisen alles zurück.

Geheimdienste der USA und Pakistans sind sich sicher: Sie haben einen der Führer der radikalislamischen Taliban gefasst. Pakistanische und amerikanische Sicherheitskreise bestätigten die Festnahme des bislang wichtigsten afghanischen Taliban-Anführers.

Pakistan: Festnahme: Kampfeinsatz in Südafghanistan: Internationale und afghanische Verbände wollen die Rebellen mit einer Großoffensive unter Druck setzen.

Kampfeinsatz in Südafghanistan: Internationale und afghanische Verbände wollen die Rebellen mit einer Großoffensive unter Druck setzen.

(Foto: Foto: AP)

Mullah Abdul Ghani Baradar sei in einer gemeinsamen Aktion der beiden Geheimdienste in der südpakistanischen Hafenstadt Karachi gefangen genommen worden, sagten am Montag zwei US-Regierungsvertreter, die namentlich nicht genannt werden wollten. "In der Hierarchie der Führung der afghanischen Taliban ist er die Nummer zwei", sagt ein hochrangiger pakistanischer Offizier.

Hoffnung auf weitere Festnahmen

Mullah Baradar war Teil des Führungsrates der Taliban und galt als Stellvertreter von Taliban-Chef Mullah Omar. Die Organisation von Kampfeinsätzen lag in seinem Zuständigkeitsbereich. Wie die New York Times am Montag auf ihrer Internetseite berichtete, spürten die Agenten den Top-Talib Baradar vor einer Woche in Karachi auf.

US-Regierungsbeamte halten Baradar für die Nummer zwei hinter dem afghanischen Taliban-Chef Mullah Omar. Vor den Anschlägen vom 11. September 2001 sei er ein enger Vertrauter von Al-Qaida-Chef Osama bin Laden gewesen. Baradar, ein Afghane, befindet sich den Angaben zufolge momentan in pakistanischer Haft und wird unter Beteiligung von US-Agenten verhört. Von der Befragung würden sich die US-Behörden Hinweise erhoffen, die zu weiteren Festnahmen hochrangiger Taliban führen.

Der genaue Ablauf der Festnahme Baradars war unklar. Die Zeitung erfuhr nach eigenen Angaben bereits am vergangenen Donnerstag von der Festnahme Baradars. Das Weiße Haus habe allerdings darum gebeten, mit der Veröffentlichung zunächst zu warten, um weitere Aktionen der Geheimdienste nicht zu gefährden.

Widerspruch der Taliban

Die Taliban haben eine ganz andere Sichtweise. Sie weisen die Angaben komplett zurück. Ihr Version im Krieg der Worte: Kommandeur Baradar halte sich weiterhin in Afghanistan auf und organisiere hier die militärischen Einsätze der Aufständischen, erklärt Taliban-Sprecher Sabihulla Mudschahid: "Er wurde nicht gefangen genommen. Sie verbreiten das Gerücht nur, um von ihren Niederlagen in Mardscha abzulenken und die Öffentlichkeit in die Irre zu führen."

Der pakistanische Innenminister bezeichnete US-Berichte über die Festnahme als "Propaganda". "Wir überprüfen alle, die wir festnehmen. Wenn ein dickes Zielobjekt dabei ist, werde ich das der Nation mitteilen", sagte Malik , ohne die Festnahme zu bestätigen oder zu dementieren. Die USA und Pakistan teilten zwar Geheimdienstinformationen miteinander, gemeinsame Ermittlungen oder Razzien gebe es jedoch nicht. "Wir sind ein souveräner Staat und werden deshalb niemandem erlauben, hierher zu kommen und einen Einsatz durchzuführen", sagte Malik.

So ähnlich klang es, als Saddam Husseins Pressesprecher im Irakkrieg die angeblichen fürchterlichen Verluste der US-Truppen beschrieb.

Mullah Baradar führte den Militärrat der Taliban, die sogenannte Quetta-Schura. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes hatten sich hochrangige Taliban um den Gründer der Bewegung, Mullah Mohammmad Omar, nach Geheimdienstangaben in der südwestpakistanischen Stadt Quetta versammelt.

Pakistan hat bei Verhandlungen eine Schlüsselrolle

Von dort aus organisierten sie den Aufstand in Afghanistan, der zum Ziel hat, die ausländischen Truppen zu vertreiben und die Regierung von Präsident Hamid Karsai zu stürzen. Mitglieder des Führungsrates sollen in der Vergangenheit von Quetta in die Millionenmetropole Karachi gezogen sein. Bis zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001, die den US-Angriff auf Afghanistan auslösten, hat Pakistan die Taliban unterstützt. Seitdem ist der pakistanische Geheimdienst wiederholt beschuldigt worden, Taliban-Führer zu schützen. Ob dieser Verdacht mit der Verhaftung Baradars ausgeräumt werden kann, bleibt abzuwarten.

In Pakistan wurde spekuliert, die Festnahme könne auch damit zusammenhängen, dass die USA und ihre Nato-Verbündeten sich bereit erklärt hätten, mit gemäßigten Taliban zu verhandeln. Pakistan hat dabei eine Schlüsselrolle inne. Baradar gilt nicht als gemäßigt, so dass er wohl kaum zu solchen Gesprächen herangezogen worden wäre. Also könnte in pakistanischen Geheimdienstkreisen kein Interesse mehr bestanden haben, ihn noch länger zu decken.

Die Festnahme des Top-Talib kommt zu einem Zeitpunkt, da internationale und afghanische Verbände die radikalislamischen Rebellen mit einer Großoffensive im Süden Afghanistans unter Druck setzen. US-Analysten warnten allerdings davor, sich von der Verhaftung Baradars unmittelbare Vorteile bei der derzeitigen Großoffensive im Süden Afghanistans zu erhoffen.

"Es ist unwahrscheinlich, dass mit der Festnahme eines Einzelnen die Nabelschnur zwischen der Führungsspitze und den Kommandeuren an der Front durchtrennt würde. So sind die Taliban nicht organisiert", erklärte die US-Firma für globale Geheimdienststudien Stratfor.

Die Festnahme als taktischer Schachzug

Spekulationen gab es nicht nur über den Zeitpunkt der Bekanntgabe, sondern auch über den Zeitpunkt der Verhaftung selbst. "Wenn die pakistanischen Beamten ihn hätten festnehmen wollen, hätten sie das schon längst tun können", ist der afghanische Parlamentsabgeordnete Scher Mohammed Achud Sada überzeugt. "Warum also haben sie es gerade jetzt getan?" Wie der frühere Gouverneur der Provinz Helmand sehen auch andere Beobachter darin vor allem einen taktischen Schachzug des pakistanischen Geheimdienstes.

An dem in der Nacht zum Samstag begonnenen Einsatz Muschtarak (Gemeinsam) in der Unruheprovinz Helmand sind rund 15.000 Soldaten beteiligt. Ziel der größten Offensive seit dem Sturz des Taliban-Regimes ist es, die Rebellen aus der Region Mardscha, einem der größten Opium-Anbaugebiete der Welt, zu vertreiben.

Im Zuge der Militäroffensive kamen immer wieder Unbeteiligte ums Leben. So teilte die Internationale Schutztruppe Isaf in der Nacht zum Dienstag mit, Soldaten hätten versehentlich drei Zivilisten erschossen. Zwei der Opfer waren auf eine Gruppe von Soldaten zugelaufen und hatten mehrere Aufforderungen, anzuhalten, ignoriert, wie die Nato-Schutztruppe Isaf mitteilte. Daraufhin hätten die Soldaten das Feuer eröffnet. Ein dritter Zivilist wurde bei einem Schusswechsel zwischen Nato-Soldaten und Aufständischen von einem Querschläger getroffen.

Außerdem starben in der Provinz Kandahar nach Isaf-Angaben fünf Unbeteiligte bei einem Luftschlag, der nicht Teil der Operation in der Nachbarprovinz Helmand war. Am Sonntag waren zwölf Zivilisten getötet worden, als eine Rakete der Truppen ihr Ziel verfehlte.

Ein "tragischer Unfall"

Die Offensive macht nach offiziellen Angaben Fortschritte. Wie der britische Fernsehsender BBC unter Berufung auf afghanisches Militär am Montag berichtete, seien die Aufständischen aus den Regionen um Mardscha und Ali Nad vertrieben worden.

Die Isaf teilte mit, in Kandahar sei eine Patrouille mit afghanischen und ausländischen Soldaten fälschlicherweise davon ausgegangen, dass Verdächtige eine Sprengfalle versteckten. Die Isaf bedauerte den "tragischen Unfall" und bekundete den Familien der Opfer ihr Mitgefühl. Der Vorfall werde untersucht und die Familien entschädigt.

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