Pakistan:Die kurze Tapferkeit der Regierung

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In Pakistan zählt der Zorn von muslimischen Fanatikern mehr als das oberste Gericht: Die freigesprochene Asia Bibi bleibt in Haft, das Schicksal der Christin ist erneut völlig ungewiss.

Von Arne Perras, Singapur

Asia Bibi war ihrer Rettung schon so nahe, am Mittwoch, als das pakistanische Verfassungsgericht ein denkwürdiges Urteil sprach: Freiheit für Asia Bibi, die 51-jährige Christin aus dem Dorf Ittan Wali, so lautete die Entscheidung der obersten Justiz. Die Mutter von fünf Kindern hatte acht Jahre lang zu Unrecht in der Todeszelle gelitten. Wegen angeblicher Gotteslästerung sollte sie als erste Frau des Landes an den Galgen. Doch dann stellte das Verfassungsgericht fest, dass die früheren Verfahren voller Fehler waren und dass die Richter Manipulationen und den Mangel an stichhaltigen Belegen ignoriert hatten. So hatte zum Beispiel ein wütender Mob der Christin unter Androhung des Todes ein Geständnis abgepresst, das natürlich keines war.

Doch so nahe Bibi ihrer Freiheit am Mittwoch bereits gekommen war, vier Tage später sieht die Lage wieder sehr viel düsterer aus: Die Frau ist noch immer nicht in Sicherheit, sie ist nicht einmal frei, wie es das oberste Gericht angeordnet hatte. Ihr Schicksal ist nun völlig offen, weil hetzende Extremisten in Pakistan nach tagelangen Protesten erreicht haben, dass sich der Staat auf äußerst fragwürdige Verhandlungen über die Zukunft von Asia Bibi eingelassen hat.

Ein Deal mit jenen Kräften, welche die Frau auch ohne Todesurteil am Galgen wollten. Samt den Richtern

Diese Wendung vom Wochenende schockiert nicht nur liberale Kreise in Pakistan, sie löst weltweit Entsetzen aus. Denn die Regierung des Premiers Imran Khan demonstriert damit, wie weit die tapferen Worte des Regierungschefs und die Taten seines Kabinetts dann doch auseinanderliegen. Um die wütenden Straßenproteste, mit denen Fanatiker die großen Städte lahmzulegen drohten, zu beenden, hatte sich die Regierung auf Verhandlungen eingelassen. Sie sprach also mit jenen Kräften, die zuvor offen dazu aufgerufen hatten, Bibi trotz Aufhebung des Todesurteils an den Galgen zu bringen. Auch die drei Richter, welche die Christin in die Freiheit entlassen wollten, sollten getötet werden, so forderten es die Eiferer.

Warten seit acht Jahren auf ihre Mutter: Asia Bibis Töchter 2010 nach dem Todesurteil. (Foto: Adrees Latif/Reuters)

Die Gespräche führten schließlich zu einem Deal, der so gut wie allem widerspricht, was Premier Khan noch wenige Stunden zuvor eingefordert hatte. Die Entscheidung der obersten Richter sei zu respektieren, sie stehe im Einklang mit der Verfassung, versicherte Khan. Und die Demonstranten sollten zur Ruhe kommen und keinesfalls den Staat angreifen, warnte er. Außerdem wies er darauf hin, dass die Demonstranten mit ihrer Hetze dem Islam keinen Dienst erwiesen.

Diese Fernsehansprache, die landesweit übertragen wurde, stieß auf breite Anerkennung bei Anhängern des Rechtsstaates. Doch am Freitagabend knickte die Regierung Khan dann doch noch ein. Informationsminister Fawad Chaudhry verteidigte den fragwürdigen Deal mit den Extremisten, er sei nötig gewesen, um Gewalt zu verhindern. "Wir haben verhandelt, und in Verhandlungen gibt man und nimmt man."

Auch ihr Mann und die Töchter müssen sich jetzt verstecken. Der Anwalt ist geflohen

Die vorläufige Ruhe der Demonstranten hat sich die Regierung demnach mit zwei Schritten erkauft: Zum einen hat sie zugesichert, Bibi vorerst die Ausreise nicht zu gestatten. Zum anderen lässt der Staat eine Petition zu, eine Art Berufung, die das Verfassungsgericht auffordert, die Aufhebung des Todesurteils nochmals zu überprüfen. Juristisch gesehen ist dieser Schritt einigermaßen abenteuerlich, denn die Richter hatten das letzte Wort ja schon als oberste Instanz gesprochen.

Auf dessen Aufhebung reagierten fanatische Muslime in ganz Pakistan mit wütendem Protest, hier Peschawar. (Foto: Abdul Majeed/AFP)

Dass man sie nun mit Billigung der Regierung dazu nötigt, sich alles erneut anzuschauen, dürfte das Vertrauen der obersten Justiz in den Schutz der Regierung nicht eben stärken. Denn hinter der Petition stehen ausgerechnet jene Leute, die wenige Stunden zuvor offen zum Mord an den drei Richtern aufriefen, die das Todesurteil gegen Bibi aufgehoben hatten.

"Eine weitere Kapitulation", titelte die Zeitung Dawn einen Kommentar mit Blick auf die Regierung und stellte fest, dass nun auch Premier Khan, wie schon andere zuvor, den Konflikt mit den Extremisten scheute, jenen gewalttätigen Kräften, die weder Verfassung achteten noch an die Demokratie glaubten. Minister Chaudhry sprach hingegen von der Notwendigkeit des "Feuerlöschens". Seine Regierung sei immer noch entschlossen, nach einem Heilmittel zu suchen, das den Extremismus permanent beenden könnte. Aber nun habe es erst einmal schnell gehen müssen, um Gewalt auf der Straße zu verhindern, so versuchte er, den Kurs der Regierung zu rechtfertigen.

Gleichzeitig versicherte der Minister, dass der Staat alles tue, um Bibis Sicherheit zu gewährleisten. Angeblich befindet sich die Freigesprochene immer noch auf dem Gelände des Gefängnisses von Multan. Eine gut unterrichtete Quelle sagte der Süddeutschen Zeitung, dass sich die Frau "zu ihrem Schutz in Polizeigewahrsam befinde".

Bibis Ehemann Ashiq Masih zeigte sich entsetzt über das, was die Regierung mit den Extremisten ausgehandelt hat: "Diese Übereinkunft hätte es nie geben dürfen", sagt er der Deutschen Welle. Nun bangt er weiter um das Leben seiner Frau: "Wir waren so froh, sie bald treffen zu können. Meine Töchter haben sich so danach gesehnt, sie frei zu sehen", nun müsse sie bis zu einer weiteren Entscheidung im Gefängnis bleiben. "Die Situation ist sehr gefährlich für uns", sagt der Familienvater. Der Anwalt Bibis ist bereits ins Ausland geflohen, Ehemann Masih und die Kinder müssten sich verstecken und oft den Ort wechseln. Sie können sich nirgendwo sicher fühlen, solange Hetzer die Wut auf die Familie und ihre Verwandten schürten.

© SZ vom 05.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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