Pakistan:Geiselnahme in Belutschistan gewaltsam beendet

Lesezeit: 3 Min.

Pakistanische Sicherheitskräfte bewachen nach dem Überfall auf den „Jaffar Expresszug“ in der abgelegenen Bergregion Balutschistan den Bahnhof von Mach. (Foto: Banaras Khan/AFP)

In der pakistanischen Provinz Belutschistan stürmt die Armee den von Terroristen gekaperten „Jaffar-Expresszug“ und erschießt alle Geiselnehmer. Was wollte die „Baloch Liberation Army“ erreichen?

Von David Pfeifer, Delhi

Es ist ein Konflikt, in dem es keine Sieger geben kann. Am Dienstag hatten Milizen der „Baloch Liberation Army“ (BLA) in der pakistanischen Provinz Balutschistan einen Zug mit etwa 440 Passagieren in ihre Gewalt gebracht, viele davon waren Soldaten auf dem Weg in den Urlaub. Bis Mittwochabend töteten die Geiselnehmer nach eigenen Angaben 50 Passagiere. Die Armee stürmte den Zug vor Ablauf eines Ultimatums in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, alle 33 Geiselnehmer wurden erschossen, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Ruhe wird dadurch aber nicht einkehren in Belutschistan.

Die BLA hatte die Gleise vor einem Tunnel gesprengt und anschließend den Jaffar-Expresszug gestürmt, der auf dem Weg von Quetta nach Peschawar war. Pakistanischen Medien zufolge töteten die Separatisten der verbotenen Belutschistan-Befreiungsarmee bei dem Überfall 20 Soldaten und brachten 214 Geiseln in ihre Gewalt. Der Sender BBC berichtete unter Bezugnahme auf einen Mitarbeiter der Eisenbahn, dass während des Überfalls eine Gruppe von 80 Passagieren, unter ihnen elf Kinder, aus dem hinteren Teil des Zuges fliehen konnten. Es gibt allerdings auch Berichte, denen zufolge ein Teil der Terroristen mit etlichen Geiseln in die umliegenden Berge geflohen seien.

Am Mittwoch kreisten Helikopter über dem Gebiet, Soldaten stürmten einen Teil des Zuges, doch die Attentäter hatten sich mit Sprengstoffwesten zwischen den Passagieren platziert. Sie drohten damit, dass alle Geiseln „neutralisiert und der Zug komplett zerstört“ werde, wenn nicht inhaftierte Mitglieder der Unabhängigkeitsbewegung innerhalb 48 Stunden freigelassen würden. Der pakistanische Innenminister Mohsin Naqvi sagte zu Nachrichtenagenturen: „Die Bestien, die auf unschuldige Passagiere schießen, verdienen keine Zugeständnisse.“

Soldaten helfen Passagieren, die von der BLA festgehalten worden waren, aus dem Zug. (Foto: Banaras Khan/AFP)

21 der Geiseln starben, als der Zug schließlich gestürmt wurde. „Heute haben wir eine große Zahl von Menschen befreit, darunter auch Frauen und Kinder“, sagte der Militärsprecher Ahmed Sharif Chaudhry anschließend der Nachrichtenagentur Reuters. „Die letzte Operation wurde mit großer Sorgfalt durchgeführt.“ Laut Armeeangaben schalteten die Spezialkräfte zunächst die Selbstmordattentäter aus, bevor die Truppen von Wagen zu Wagen gingen, um die restlichen Kämpfer zu töten.

Eine Regierung nach der anderen hat die Provinz Belutschistan ausgebeutet

Die BLA gilt in Pakistan als Terrorgruppe und wird auch in vielen westlichen Ländern so eingeschätzt. Belutschistan ist ein bergiges, teilweise schwer zugängliches Gebiet, das an Iran und Afghanistan grenzt. Der Unabhängigkeitskampf in der Region sorgt seit Jahrzehnten für Unruhe. Belutschistan ist die größte und rohstoffreichste Provinz Pakistans, aber auch die am wenigsten entwickelte. Eine Regierung nach der anderen hat das Gebiet ausgebeutet, gleichzeitig aber nichts investiert, was die Lebensbedingungen der Einheimischen verbessert hätte.

Die BLA wächst, betreibt mittlerweile Checkpoints und blockiert Schnellstraßen – im Grunde moderne Wegelagerei. Militäreinrichtungen und Polizeistationen als Repräsentanten der Regierung in Islamabad sind häufig Ziele von Anschlägen der BLA. Aber auch Bahnstrecken oder Schnellstraßen wurden immer wieder attackiert. Erst im vergangenen November hat sich die BLA zu einem Anschlag auf den Hauptbahnhof von Quetta bekannt, bei dem 26 Menschen getötet wurden, 14 davon Soldaten.

Die Heftigkeit der Auseinandersetzungen hat zugenommen, seitdem Peking in Pakistan den Chinesisch-Pakistanischen Wirtschaftskorridor (CPEC) ausbaut, einen gigantischen Transportweg, der vom Himalaja bis runter nach Gwadar führt. Peking hat das Fischerdorf seit 2015 zu einem Tiefwasserhafen für Containerschiffe ausgebaut, um sich im Rahmen der „maritimen Seidenstraße“ einen großen Teil der Strecke für Warenlieferungen nach Europa zu sparen.

Auch chinesische Bauprojekte greift die BLA immer wieder an

Mehr als 50 Milliarden Euro an Investments sind seit 2015 aus Peking nach Pakistan geflossen. In Islamabad profitiert man davon. Der Korridor aber führt durch Belutschistan. Daher sind immer wieder chinesische Bauprojekte Ziele der BLA, und im vergangenen Oktober wurde am Flughafen von Karatschi ein Selbstmordattentat verübt, bei dem viele chinesische Arbeiter ums Leben kamen.

Die Sicherheitslage in Pakistan verschlechtert sich seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan dramatisch. In Khyber Pakhtunkhwa, der Provinz um Peschawar, wohin der Jaffar-Expresszug unterwegs war, sind die Paschtunen ansässig, der Volksstamm, aus dem sich die Taliban in Afghanistan und Pakistan gebildet haben.

Die pakistanischen Taliban drängen mit Gewalt zurück in ihre angestammten Gebiete und setzen die ohnehin schwache Regierung in Islamabad mit permanenten Terroranschlägen unter Druck. Um der Verfolgung zu entgehen, ziehen sie sich immer wieder ins Nachbarland zurück. Und die pakistanische Armee hat im vergangenen Jahr sogar Luftangriffe bis nach Afghanistan geflogen, um nicht nur sie, sondern auch Camps der BLA und mit ihr verbundene Organisationen zu treffen. Das führte zu diplomatischen Verstimmungen.

Am Dienstag jedenfalls hatte die Regierung von Belutschistan weitere Züge in die Gegend geschickt, um die freigekommenen Geiseln abzuholen. Das kann eine Weile dauern, weil das Gelände schwierig ist und die Gleise zerstört sind. Angehörige der Fahrgäste sammelten sich in Quetta und Peschawar an den Bahnhöfen. Nicht für alle gab es gute Nachrichten.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde aktualisiert.

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