Terroranschlag in Pakistan:Das Ziel der Täter ist der Staat

Terroranschlag in Pakistan: Auch am Tag nach dem Selbstmordattentat in Peschawar suchen Rettungskräfte in der zerstörten Moschee noch nach Opfern.

Auch am Tag nach dem Selbstmordattentat in Peschawar suchen Rettungskräfte in der zerstörten Moschee noch nach Opfern.

(Foto: Muhammad Zubair/DPA)

Das Selbstmordattentat auf eine Moschee in Peschawar hat mindestens 100 Gläubige in den Tod gerissen. Doch der eigentliche Adressat ist die ganze Region - und die Regierung in Islamabad. Denn die Terroristen haben große Pläne.

Von David Pfeifer, Bangkok

Man sieht noch, dass Peschawar schön sein könnte, wenn man durch die Stadt fährt. Auch wenn viele Häuser verfallen, die Armut der Menschen besonders im Winter offenkundig ist und die Region in Not. Nicht erst, seitdem sich am Montag ein Selbstmordattentäter in einer voll besetzten Moschee beim Nachmittagsgebet in die Luft gesprengt hat. Die Zahl der Toten hat sich bis Dienstag auf 100 erhört, mindestens 27 von ihnen waren Polizisten. Als Repräsentanten des Staates galt der Anschlag vor allem ihnen.

Das Attentat ereignete sich in der sogenannten Roten Zone, einem der bestgesicherten Viertel Peschawars, in dem die Büros der Polizei und der Terrorismusbekämpfung liegen. Es wird noch untersucht, ob der Attentäter Insider-Hilfe hatte. Die Botschaft hingegen war gleich klar: Diese Tat ist eine Kriegserklärung an die Regierung in Islamabad. Sarbakaf Mohmand, ein Kommandeur der Tehrik-i-Taliban in Pakistan (TTP), bekannte sich am Montag via Twitter zu dem Anschlag. Allerdings erklärte Stunden später der TTP-Sprecher Mohammad Khurasani laut Nachrichtenagentur AP, die pakistanischen Taliban würden "keine Anschläge auf Moscheen, Seminare und religiöse Stätten" ausführen.

"Die TTP wollen die Scharia in Pakistan einführen."

"Die Lage ist unübersichtlich, auch der IS oder das Haqqani-Netzwerk sind mittlerweile wieder sehr aktiv in Pakistan", sagte der Sicherheitsexperte Safdar Sial vom pakistanischen Institute for Peace Studies der Süddeutschen Zeitung bereits im Dezember. Peschawar liegt am Rande der pakistanischen Stammesgebiete, der früheren "Federally Administered Tribal Areas", kurz Fatas. Pakistan hat das an Afghanistan grenzende Sonderterritorium nach der Staatsgründung 1947 von den Briten übernommen, mittlerweile gehören die Fatas zum Bundesstaat Khyber Pakhtunkhwa und werden von Polizei und Militär kontrolliert.

Seit dem überhasteten Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan kommt es in der Region wieder häufiger zu Anschlägen - und deren Heftigkeit nimmt zu. Im März 2022 riss ein Selbstmordattentäter der Terrormiliz Islamischer Staat beim Freitagsgebet in einer schiitischen Moschee 58 Menschen mit in den Tod. Am 28. November kündigte die TTP offiziell den Frieden mit der Regierung in Islamabad auf.

Das kurzfristige Ziel beider Terrororganisationen ist es, die Fatas wieder zu einer eigenständigen Region zu machen, in der sie sich sammeln, neue Leute rekrutieren und ausbilden können. Langfristig wollen sie sich von dort ausbreiten und das Land weiter destabilisieren. "Die TTP wollen die Scharia in Pakistan einführen", sagt Safdar Sial. "Sie wissen, dass sie dieses Ziel nicht erreichen können, aber sie geben es aus, um nicht als schwach zu gelten."

An die Demokratie und eine menschengemachte Legislative glauben die TTP ebenso wenig wie ihre Taliban-Kollegen in Afghanistan. Demokratische Institutionen akzeptieren sie nicht, weil sie in ihren Augen unislamisch sind. Daher verhandelt auch nicht die Regierung mit den TTP, sondern das mächtige pakistanische Militär. Ein wichtiger Faktor für die Taliban, denn "wenn sie mit gewählten Staatsvertretern sprechen, schwächen sie sich bei ihrer Basis. Und auch gegenüber dem IS", erklärt Experte Sial.

Den jungen Männern in der Region fehlt es an alternativen Perspektiven

Dabei haben die Bewohner der Fatas kein großes Herz für die Terroristen. Weil die sich mit Erpressung, Kidnapping und Schutzgeld finanzieren, müssen die Menschen viele Checkpoints und Demütigungen ertragen. "Doch nun rächt sich, dass keine Regierung wirkliche Bemühungen angestrengt hat, eine dauerhafte Friedenslösung zu erreichen", sagt Safdar Sial. Statt den jungen Männern in der Region durch einen Strukturwandel neue Perspektiven zu bieten, wurde immer mit Härte oder Geld reagiert.

Terroranschlag in Pakistan: Menschen tragen am Dienstag den Sarg eines der getöteten Polizisten durch die Straßen von Peschawar.

Menschen tragen am Dienstag den Sarg eines der getöteten Polizisten durch die Straßen von Peschawar.

(Foto: Muhammad Sajjad/DPA)

Es war sicher kein Zufall, dass der Bombenanschlag Islamabad am Tag vor dem Besuch des Internationalen Währungsfonds traf. Pakistan steht vor der Pleite, erst vor wenigen Tagen wurden die Treibstoffpreise erhöht, was die Ärmsten der etwa 230 Millionen Einwohner am stärksten trifft. Ohne neue Finanzmittel ist die Regierung quasi handlungsunfähig. Daher wächst auch im benachbarten Indien die Furcht vor weiter zunehmenden Unruhen in Pakistan. Die indische Regierung wirft der pakistanischen seit Jahren vor, zu lasch mit Terroristen umzugehen - oder sie sogar zu fördern, um den verhassten Bruderstaat zu attackieren.

"Dies ist nicht weniger als ein Angriff auf Pakistan", sagte hingegen Shehbaz Sharif, der erst seit zehn Monaten Premierminister des Landes ist. "Ich habe keinen Zweifel daran, dass der Terrorismus unsere größte Herausforderung für die nationale Sicherheit ist." Darin immerhin sind sich die Regierungen in Neu-Delhi und Islamabad einig.

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