Süddeutsche Zeitung

Asia Bibi:Pakistan wird von Hetzern erpresst

Solange Extremisten, die offen zum Mord aufrufen, hoffähig gemacht werden, ermuntert dies zu immer dreisteren Angriffen auf Rechtsstaat, Toleranz und Gedankenfreiheit. Ohne dies kann aber keine Gesellschaft frei atmen.

Kommentar von Arne Perras

Menschen schöpfen aus dem Glauben an Gott nur Gutes. Dieser Gedanke ist weit verbreitet, vor allem unter Gläubigen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Wenn sich politische Gruppen einer Religion bemächtigen, predigen sie nicht selten Hass. Wer den Glauben für seine Zwecke kapert, gewinnt eine Waffe. Das geschieht gerade in Pakistan, wo Extremisten danach schreien, dass eine wehrlose und unschuldige Frau sterben soll, weil sie angeblich Gott gelästert hat.

Die Christin Asia Bibi hat zwar die Todeszelle verlassen, aber sie schwebt immer noch in Lebensgefahr. Muslimische Fanatiker wollen sie an den Galgen bringen, sie werfen ihr vor, sie habe den Propheten beleidigt. Dafür gibt es keine Beweise. Und selbst wenn es sie gäbe: Ein Gesetz, das blasphemische Äußerungen unter Todesstrafe stellt, ist nicht zu akzeptieren. Kein Wort kann so verderblich sein, dass ein Mensch dafür sein Leben lassen sollte.

Pakistans Blasphemie-Gesetz fördert Unterdrückung, nicht Gerechtigkeit. Der drakonische Paragraf stammt aus den 80er-Jahren, als Diktator Zia ul-Haq seine Herrschaft durch den Islam zu untermauern suchte. Es war die Zeit der Ost-West-Konfrontation, ul-Haq ein Verbündeter Washingtons. Amerika finanzierte die Mudschahedin, um das kommunistische Moskau in Afghanistan zu schlagen.

Nun werden Pakistan und der Westen die Geister nicht mehr los. Einst verbündete Gotteskrieger verwandelten sich durch die Anschläge vom 11. September in Erzfeinde des Westens. Der Islamismus ist tief verwurzelt in Pakistan, dessen Generäle über Atomwaffen verfügen. Die Religion dient ihnen immer noch als effizientes Werkzeug, um Gefolgschaft zu mobilisieren.

Wer sich gegen den blinden Fanatismus stemmt, lebt in Pakistan gefährlich. Man denke an die obersten Richter, die das Todesurteil gegen Bibi aufhoben, weil Beweise fehlten. Diese tapferen Juristen sind nun selbst Gejagte, weil das Wort religiöser Hetzer mehr wiegt als ein Urteil des höchsten Gerichts. Wenn es noch eines Belegs bedurfte, dass der Fanatismus das Fundament dieses Staates zersetzt, haben ihn die Proteste gegen Bibi geliefert.

Asia Bibi hat in Pakistan keine Zukunft

Solange Pakistan dieser Frau den Weg ins Ausland verweigert, zeigt die Regierung, dass sie sich von Hetzern erpressen lässt. Und solange Extremisten, die offen zum Mord aufrufen, durch Verhandlungen mit Ministern hoffähig gemacht werden, ermuntert dies zu immer dreisteren Angriffen auf Rechtsstaat, Toleranz und Gedankenfreiheit, ohne die keine Gesellschaft frei atmen kann.

Es gibt Jagden auf Andersgläubige auch anderswo, nicht nur Christen leiden, es trifft auch Muslime, Hindus, Buddhisten. Alarmierend ist die destruktive Dynamik, die immer dann entsteht, wenn sich intolerante Mehrheiten dazu aufstacheln lassen, Minderheiten zu verfolgen. Davon profitieren jene, die sich zu Wächtern einer angeblich göttlichen Ordnung erheben, tatsächlich aber sehr irdischen Machtinstinkten folgen.

Bibi hat in Pakistan keine Zukunft. Westliche Staaten sollten sie aufnehmen, denn es steht außer Zweifel, dass die fünffache Mutter und ihre Familie religiöser Verfolgung ausgesetzt sind. Doch es ist nicht sicher, ob Pakistan sie gehen lässt, so viel Kraft haben die Aufwiegler, die sich als Hüter des Glaubens aufspielen.

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SZ vom 13.11.2018/dit
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