Süddeutsche Zeitung

Paketdienste:Ausgeliefert

Die Arbeitsbedingungen der vielen schlecht bezahlten Lieferanten sind unwürdig. Schuld daran ist eine neue Gratiskultur: Kunden, die im Internet einkaufen, wollen Zeit sparen, aber die Paketdienste nicht extra bezahlen. Das wird auch zum ökologischen Problem.

Von Alexander Hagelüken

Eltern können ihrem Nachwuchs womöglich bald nicht mehr weismachen, es sei das Christkind, das die Geschenke bringt. Denn die Kleinen sehen derzeit an der Haustür dauernd abgehetzte Typen in Uniform, die Pakete abgeben. In den Adventstagen wird jedem zweiten Haushalt jeden Tag ein Päckchen gebracht. Auch jenseits der besinnungslosen Zeit lassen sich die Bürger vom Abendessen bis zum Autoreifen immer mehr zustellen. Dieses scheinbare Lieferparadies produziert soziale Schäden, welche die Gesellschaft ignoriert.

Dass sich heute jeder Konsumwunsch mit ein paar Klicks erfüllen lässt, hat einen Preis. Den zahlen allerdings nicht die Kunden, denen der Einkauf im Laden lästig wurde, sondern die Paketboten. Auf Hunderttausende ist diese neue Dienstbotenklasse angeschwollen. Selbst ausgebildete Stammkräfte bekommen für ihre Schlepperei deutlich weniger als den deutschen Durchschnittslohn. Jede zweite Aushilfe erhält sogar unter 10,50 Euro die Stunde. Das Minijob- und Teilzeitunwesen, bei dem kaum etwas zu verdienen ist, blüht hier besonders.

Dafür sind nicht nur böse Zustelldienste verantwortlich, die Gewinne maximieren. Es sind die Kunden selbst, die selbstverständlich fordern, dass kostenlos geliefert wird. Diesen Gratisanspruch richten viele Konsumenten bereits gegen Musik, Filme oder Nachrichten im Netz. Er etabliert sich auch beim Zustellen, mit ähnlich dramatischen Folgen für jene, die von dieser Tätigkeit leben wollen.

Die Paket- oder Essenslieferdienste konkurrieren daher nicht über Qualität oder Service, sondern über den Preis. Also über möglichst geringe Bezahlung. Um die weiter zu drücken, lagern sie gern an Sub-Sub-Firmen aus, die ihren (Schein-) Selbstständigen so viele Lieferungen pro Tag vorschreiben, bis die unter den gesetzlichen Mindestlohn rutschen. Besonders günstig machen es Paketfirmen für ihre besten Kunden, Großversender wie Amazon - und die wiederum buhlen mit Gratisversand um uns, die Konsumenten. So schließt sich der Billigkreislauf, der auch ökologisch schadet, weil immer mehr Laster in die Städte drängen.

Die Boten alleine können ihre Rechte nicht durchsetzen. Die Politik muss ihnen helfen

Am Dienstag kam die Nachricht, dass Start-ups für Essenslieferungen besonders erfolgreich Geld von Investoren einsammeln. Kapitalgeber lieben offenbar Niedriglöhne. Aber deshalb muss es nicht die ganze Gesellschaft tun. Wie widersinnig der Gratiswahn ist, lässt sich daran sehen, dass kein Kunde auf die Idee käme, beim Bäcker einfach das Brot einzustecken. Warum sollen dann Songs im Netz oder Paketlieferungen kostenlos sein?

Zusteller würden würdiger entlohnt, wenn Konsumenten anerkennen, dass ihre Leistungen etwas wert sind. Sie ersparen einem die Zeit, selbst in den Laden zu gehen. Dafür können Kunden zahlen. Damit dieses Geld auch wirklich bei den Zustellern ankommt, brauchen diese allerdings Gewerkschaften, die höhere Löhne durchsetzen.

Weil die Arbeitnehmervertreter seit Längerem geschwächt sind, ist der Lieferboom ein Fall für die Politik. Sie sollte nicht nur die Subfirmen besser kontrollieren. Denkbar wäre, angemessene Löhne für die ganze Branche verbindlich zu machen. Ähnliches verordnete die Bundesregierung vor zehn Jahren bei Briefen, was dort Billiglohnwettbewerb verhinderte. Daran sollten sich die Politiker erinnern, bevor aus dem Christkind endgültig ein Heer ausgebeuteter Paketboten wird.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4258046
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.12.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.