Oxfam-Chef zur Entwicklungshilfe:"Deutschland steht am Pranger"

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Minister Niebel reformiert die deutsche Entwicklungshilfe, doch das Vorhaben löse keine Probleme, kritisiert Oxfam-Chef Paul Bendix. Die Reform lenke nur von einem Skandal ab.

Florian Fuchs

Paul Bendix ist seit 2007 Geschäftsführer von Oxfam Deutschland, einer unabhängigen Hilfs- und Entwicklungsorganisation. Zuvor arbeitete er zehn Jahre beim Deutschen Entwicklungsdienst (DED), der nun mit der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und der Organisation Internationale Weiterbildung und Entwicklung (Inwent) zusammengelegt werden soll. Gleichzeitig mit der Verlautbarung dieser Reform kündigt die Bundesregierung an, ihre internationalen Zusagen für Entwicklungshilfe-Gelder nicht einhalten zu können. "Kommunikationstechnisch genial gemacht", schimpft Bendix.

"Niebel muss einen Erfolg landen, deshalb hat er sich nun eben das kleinere Problem gegriffen": Paul Bendix, Geschäftsführer Deutschland von Oxfam. (Foto: Oxfam)

sueddeutsche.de: Ist die Reform wirklich ein "epochaler Schritt", wie Minister Dirk Niebel sagt?

Paul Bendix: Das ist etwas übertrieben. Wenn eine relevante Reform stattfinden sollte, müsste man die GTZ- und KfW-Aktivitäten in einer gemeinsamen Organisation bündeln. Aber das hat ja schon Niebels Vorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) versucht und ist an politischen Interessen gescheitert. Die jetzt entworfene Reform ist nur eine Second-best-Lösung, die zwar als große Lösung angepriesen wird, aber das eigentliche Problem nicht löst.

sueddeutsche.de: Wieso nicht?

Bendix: Weil die problematische Aufspaltung der Entwicklungshilfe in finanzielle Zusammenarbeit und technische Zusammenarbeit nicht beendet wird. Die Bundesrepublik ist das einzige Land der Welt, das einen derart grundsätzlichen Unterschied macht. Finanzielle Zusammenarbeit, also vor allem Geld für Investitionen, liegt bei der KfW, technische Zusammenarbeit, also zum Beispiel Know-How-Transfer, bei der GTZ.

sueddeutsche.de: Und worin liegt da das Problem?

Bendix: Das versteht doch kein Entwicklungsland, dass man über die gleichen Entwicklungsfragen mit unterschiedlichen Leuten reden muss. Vor allem auch, weil ja beide Institutionen gar kein eigenes Geld haben. Das Geld hat das Entwicklungshilfeministerium. Das heißt, politisch verhandelt man mit dem Ministerium, da sitzt aber immer einer von KfW oder GTZ dabei. Das ist alles ein unhaltbarer Zustand, den die OECD seit Jahren Deutschland um die Ohren haut, ohne dass etwas geändert wird.

sueddeutsche.de: Aber wenigstens werden jetzt GTZ, DED und Inwent zusammengelegt.

Bendix: Die Bundesrepublik steht ja seit langer Zeit am Pranger. Wir haben in diesem Land ein fragmentiertes Feld von 30 Entwicklungshilfe-Institutionen insgesamt. Aber die zwei wichtigsten Institutionen, die führt man nicht zusammen. Die KfW und die GTZ sind mächtige Institutionen, Inwent und DED sind im Vergleich eher nachrangig. Meine Beobachtung ist, dass Niebel jetzt als Entwicklungsminister, aber auch als FDP-Regierungsmitglied einen Erfolg landen muss. Und deshalb hat er sich nun eben das kleinere Problem gegriffen für eine Reform. Aber selbst das ist ja noch nicht einmal umgesetzt, es gibt ja noch einen Finanzierungsvorbehalt und viele Probleme.

sueddeutsche.de: Welche Probleme?

Bendix: Es gibt entscheidende Unterschiede: Die GTZ ist eine gemeinnützige GmbH, also ein Unternehmen. Der DED dagegen entsendet Entwicklungshelfer nach dem Entwicklungshelfergesetz. Da zum Beispiel sieht man schon, wie unterschiedlich die Rechtsgrundlagen der einzelnen Institutionen sind. Das muss alles geregelt und miteinander vereinbart werden. Und Inwent ist noch einmal eine ganz andere Geschichte: Das ist eine Dialog- und Fortbildungs-Organisation, die lädt Menschen aus Entwicklungsländern ein und bildet sie aus.

sueddeutsche.de: Sie bezweifeln, dass man die Organisationen überhaupt sinnvoll zusammenlegen kann?

Bendix: Man kann sie sicherlich zusammenlegen. Aber es ist wahnsinnig kompliziert und das wird in der Öffentlichkeit überhaupt nicht dargestellt. Da wird so getan, als seien das drei Organisationen, da legt man das Personal zusammen, und dann hat man's. Aber das sind Systeme, die gar nicht so richtig zusammenpassen.

sueddeutsche.de: Aber zumindest löst man mit einer einzelnen Organisation Doppelstrukturen auf.

Bendix: Die fachliche Arbeit braucht doch die gleiche Infrastruktur, egal, wie viele Organisationen es gibt. In Pretoria habe ich mit der DED früher schon ein Büro mit der GTZ geteilt. Dazu braucht man nicht die Organisationen zusammenzulegen. Was durch die Reform jetzt nicht geschieht, ist, dass die sehr komfortablen KfW-Niederlassungen mit der GTZ zusammengelegt werden.

sueddeutsche.de: Sie glauben also nicht, dass es Einsparungen geben wird - ein Hauptziel der Reform?

Bendix: Ob unter dem Strich ein Pfennig eingespart wird, wage ich zu bezweifeln. Wenn, dann erst in vielen Jahren. Kurzfristig überhaupt nicht, wegen der ganzen Strukturmaßnahmen, die erforderlich sind. Das wird alles teuer. Was tatsächlich passieren wird: dass bei den drei Organisationen abgebaut wird und im Ministerium mehr Personal eingestellt wird. Aber damit macht man etwas rückgängig, was man früher bewusst so entschieden hat. Grundidee war: Das Ministerium lenkt politisch, die Organisationen führen durch. Was man früher in die eine Richtung geschoben hat, schiebt man jetzt wieder in die andere. Dahinter steht das Problem, dass Herr Niebel gerne sein Personal im Ministerium qualifizieren möchte, er kriegt aber keine neuen Stellen für sein Haus, weil kein Geld da ist. Also muss er jetzt die Zusammenlegungsrendite nutzen, wenn es denn eine geben wird: Bei GTZ, DED und Inwent wird abgebaut, um den Personalbestand im Ministerium vergrößern zu können.

sueddeutsche.de: Also würden Sie die Reform gleich bleiben lassen?

Bendix: Ich will nicht sagen, dass die jetzige Reform ganz irrelevant ist. Aber ich messe es an dem, was eigentlich erforderlich wäre. Und da ist klar: Wenn die Energie für diese Reform in den großen Wurf geflossen wäre, dann wäre es eine rentable Investition gewesen.

sueddeutsche.de: Die Bundesregierung räumte gleichzeitig mit dem Kabinettsbeschluss für die Reform ein, dass die Haushaltsmittel nicht reichen werden, um die Entwicklungshilfe wie international vereinbart bis 2015 auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern.

Bendix: Das ist ein Skandal, der überdeckt wird durch diesen Pseudoerfolg. Kommunikationstechnisch ist das genial gemacht von Niebel. Wenn das so geplant worden ist und die gesagt haben: "Wir haben eine interessante Nachricht, nämlich diesen angeblich epochalen Durchbruch, und damit verdecken wir, dass wir uns faktisch vom 0,7-Prozent-Ziel verabschieden", dann meine Hochachtung für die Kommunikationsleistung. Das ist ein absoluter Skandal, dass hier jetzt eine Zusage gekippt worden ist, die immer akzeptiert war. Die Abkehr vom 0,7-Prozent-Ziel ist für unabhängige nichtstaatliche Organisationen wie uns sehr deprimierend.

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