Otto Schily wird 80:Exot mit Lust an der Einschüchterung

In Zeiten der Studentenrevolte trug Otto Schily Krawatte und Dreiteiler, dann verteidigte er RAF-Terroristen. Später gab er sich als Held der inneren Sicherheit. Der Jurist war einer der schillerndsten und widersprüchlichsten Politiker der Bundesrepublik. An diesem Freitag wird er 80 Jahre alt.

Hilmar Klute

Otto Schily sitzt entspannt in der Polstergruppe seiner Berliner Kanzlei und spricht von der größten Rolle, die er je gespielt habe: die des Herodes bei den Oberuferer Weihnachtsspielen. Diese "grässliche Gestalt" will er damals dermaßen dämonisch angelegt haben, dass es ihm gelungen sei, mehrere Kinder zum Verlassen des Theaters zu bringen.

Otto Schily während des Mahler Prozesses

Otto Schily (rechts) im Jahr 1973 mit seinem Mandanten Horst Mahler (Mitte) und seinem Anwalts-Kollegen Hans-Christian Ströbele am Kammergericht in Berlin-Moabit.

(Foto: dpa)

Schily lächelt bei dieser Erinnerung an seine Jugendtage. Dass der Jurist Schily das Wort "gelungen" in den Zusammenhang mit Furchteinflößung bringt, ist keine rhetorische Schusseligkeit. Es spiegelt Schilys Vergnügen an der Einschüchterung wider, eine Technik, die er in seinen späteren Rollen als Anwalt und Innenminister verfeinert hat.

Schilys Biograf Stefan Reinecke erzählt eine Anekdote, welche die Hybris des damaligen SPD-Bundestagsabgeordneten hübsch illustriert: In der Paris Bar in Berlin soll Schily 1996 einmal wenige Meter von Otto Rehhagel entfernt gestanden haben. Dem Kellner habe Schily seine Visitenkarte gegeben mit der Anordnung, diese dem damaligen FC-Bayern-Trainer zu überreichen. Als Rehhagel das Kärtchen teilnahmslos beiseite legte, soll Schily sich über diese "Missachtung des Parlaments" heftig echauffiert haben.

Missachtung des Parlaments, weil einer die aristokratenhafte Visitenkartenzuschanzerei eines einfachen Abgeordneten unbeeindruckend findet? Otto Schily verkörpert den Typus des politischen Großmanns, der in jeder Rolle das Repräsentative wittert, die Möglichkeit, durch ein Amt oder ein Mandat glanzvoll dazustehen.

Der wundersame Schily'sche Selbstwahrnehmungszauber

Im Fall Schilys ist dieser Glanz allerdings durch eine Reihe von Niederlagen und Misserfolgen getrübt. Seine Verantwortung - als Innenminister von 1998 bis 2005 - für die Mordserie der rechtsradikalen NSU hat er vor einigen Wochen, ja was: eingestanden?

Er habe nichts einzugestehen, korrigiert Schily, es habe ihn betroffen gemacht, möge es bitte heißen. Schließlich habe er ja auch nur nach den Informationen handeln können, die seine Beamten ihm vorlegen. Dass ein verantwortlicher Minister angesichts solcher eklatanten Versäumnisse lieber erschüttert als schuldbewusst reagiert, mag auch eine der wundersamen Techniken des Schily'schen Selbstwahrnehmungszaubers sein.

Wenn Otto Schily, der am 20. Juli 1932 in Bochum geboren wurde, von seinen Kindertagen erzählt, so kommen die Worte märchenhaft und träumerisch vor - der Kokon, den die Eltern um ihre Kinder gewebt haben, war gewirkt aus pädagogischer Strenge, anthroposophischer Menschenfreundlichkeit und dem Bewusstsein, in der eigenen hohen gesellschaftlichen Stellung - Schilys Vater stand als Direktor dem Hüttenwerk Bochumer Verein vor - zu sozialer Hilfsbereitschaft verpflichtet zu sein.

Der Vater antifaschistisch, wenngleich deutsch-national, die Mutter eine erklärte Hitlergegnerin: Das libertär-disziplinierte Elternhaus mag Otto Schilys Vorstellung von einer großbürgerlich-intellektuellen Existenz genährt haben.

Mit Uhrenkette und Krawatte in der APO

Das könnte auch die mitunter bizarre Exotik erklären, mit der Schily in seinen jeweiligen Milieus auftrat. Seine Dreiteiler mit Uhrenkette und Krawatte galten in den Zeiten der außerparlamentarischen Opposition eher nicht als revolutionärer Dresscode, und auch im Kreis der Berliner Boheme der frühen siebziger Jahre wirkte Schily als Snob, der sich gleichwohl bemühte, Anschluss an Künstler- und Intellektuellenkreise zu finden.

Über seine Freundschaft mit dem früh im Schnaps untergegangenen Dichter und Grafiker Günter Bruno Fuchs spricht er mit Respekt, und eine der sonderbaren Männchen-Zeichnungen von Fuchs steht in Plastik verpackt in einem Regal in Schilys Kanzlei.

Mitte der siebziger Jahre übernahm Otto Schily das Mandat für die Verteidigung von Gudrun Ensslin im sich über zwei Jahre hinziehenden Stammheim-Prozess, zuvor hatte er seinen Anwaltskollegen Horst Mahler, der sich unter dem Einfluss der RAF-Taten radikalisiert hatte, verteidigt. Schily hat seine Prozessauftritte penibel geplant; er war besser vorbereitet als der Staatsanwalt, stellte an die hundert Befangenheitsanträge, seine Plädoyers wechselten zwischen Aggression und Verbindlichkeit.

Schily wollte in diesem Prozess die große Linie ziehen vom Umgang der Deutschen mit ihrer NS-Vergangenheit über die Radikalisierung der Studenten bis hin zur Kritik an einer Justiz und Politik, die sich autoritär und gnadenlos gibt. Der Rechtsstaat werde mit Füßen getreten, schleuderte Schily damals in den Gerichtssaal.

Vielleicht war Schilys wahre Leibrolle die des Helden der inneren Sicherheit. Als Innenminister hat Schily vieles einkassiert, was er selbst einst repräsentierte: Er unterstützte den großen Lauschangriff und die Hausdurchsuchung bei der Zeitschrift Cicero. In den frühen Jahren der Grünen, die Schily 1980 mitgegründet hatte, entstand jenes Foto eines perfekt gekleideten Otto Schily, der von Polizisten weggetragen wird. Er sieht steif aus auf dem Bild.

Radikaler Otto-Katalog

Keine zwanzig Jahre später erklärte der inzwischen zur SPD übergetretene Innenminister Schily, dass Demonstranten, die einen solchen Einsatz provozierten, für diese polizeiliche Leistung selbst aufkommen müssten. Radikal schnürte Otto Schily nach den Anschlägen des 11. September sein mitunter als Otto-Katalog belächeltes Sicherheitspaket und verteidigte die Sicherheitsgesetze entschlossen - dabei genoss er immer das Vertrauen seines Vorgesetzten Kanzler Gerhard Schröder.

In der Rückschau wirkt es, als habe Schily sein Geschick im politischen Amt verlassen. Einiges steht in eklatantem Widerspruch zu Schilys Selbsteinschätzung, Deutschland sei durch sein ministerielles Wirken sicherer geworden: etwa das desaströse Scheitern des NPD-Verbots vor dem Bundesverfassungsgericht 2003 oder Schilys Schweigen im Fall des nach Afghanistan verschleppten Deutschen Khaled el-Masri.

Und letztlich die folgenreiche Fehleinschätzung des Nagelbombenattentats in Köln Mülheim 2004. Schily hatte einen terroristischen Hintergrund schnell ausgeschlossen; inzwischen weiß man, dass die NSU-Mörder aus Zwickau hinter dem Anschlag standen.

An diesem Freitag wird Otto Schily 80 Jahre alt. Er wird in Erinnerung bleiben als einer der schillerndsten und widersprüchlichsten Politiker der Bundesrepublik.

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