Ministertreffen auf Malta:Lawrow reist ab – und die OSZE gibt sich eine neue Führung

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Der frühere türkische Außenminister Feridun Sinirlioğlu übernimmt die Leitung der OSZE. Das Staatenbündnis ist durch Russlands Kriegsführung stark in Mitleidenschaft gezogen. (Foto: Alberto Pizzoli/AFP)

Nach langem Ringen machen die 57 Mitgliedstaaten des Staatenbündnisses, also auch Russland, einen Türken zum Generalsekretär. Dass auch eine Griechin einen Spitzenjob erhält, ist kein Zufall.

Von Matthias Kolb, Valletta

Seine Abreise vollzog sich auf erstaunlich unspektakuläre Art. Ohne einen Auftritt vor internationalen Medien verließ Russlands Außenminister Sergej Lawrow am frühen Donnerstagabend die Mittelmeerinsel Malta, wo sein Auftritt beim Ministertreffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Protest ausgelöst hatte. Beim Mittagessen habe sich Lawrow hingegen recht höflich präsentiert, hieß es aus diplomatischen Quellen.

Dass Russland die Mitgliedschaft in der OSZE weiter schätzt, ist unter Diplomaten am Wiener Sitz der Institution unstrittig. Da alle Entscheidungen einstimmig erfolgen müssen und jedes der 57 Mitglieder aus Europa, Nordamerika und Zentralasien ein Vetorecht besitzt, kann Moskau viel blockieren. So blieb Malta kaum Zeit, sich auf den OSZE-Vorsitz vorzubereiten, weil Russland Estland ablehnte. Zudem setzte es beim Treffen in Skopje Ende 2023 durch, dass die Amtszeiten der vier Spitzenfunktionäre nur um neun Monate verlängert wurden. Gerade die Arbeit der Menschenrechtsagentur ODIHR, die auch Wahlbeobachtungen durchführt, kritisiert der Kreml als „parteiisch“.

Die Funktionsfähigkeit ist bis Ende 2027 gesichert – trotz aller Schwierigkeiten

Seit Anfang September waren daher die wichtigsten Positionen in der OSZE nicht mehr besetzt, doch zum Ministertreffen hatte Malta ein Personalpaket geschnürt, dem in Valletta alle zustimmen konnten. „Es war wirklich keine leichte Aufgabe“, gab Außenminister Ian Borg zu. Im Sommer scheiterte der maltesische Vorschlag jedoch nicht an Russland, sondern an der Türkei. Sie beharrte darauf, dass ihr Kandidat Generalsekretär wird. Dies geschieht nun: Bis Ende 2027 wird der frühere Außenminister Feridun Sinirlioğlu die Organisation leiten. Er sagte in seiner ersten Pressekonferenz, dass die OSZE vor „komplexen Herausforderungen“ stehe, und nannte als einziges Beispiel den Krieg in der Ukraine. Er wolle Brücken bauen, um Kompromisse zu ermöglichen – und forderte auch die Freilassung der drei OSZE-Mitarbeiter, die in der Volksrepublik Donezk inhaftiert sind.

Korrekterweise ging man in Ankara davon aus, dass kein Nato-Partner den türkischen Kandidaten blockieren würde. Zudem hatte sich Sinirlioğlu gemeinsam mit der Griechin Maria Telalian beworben. Der Pakt der Nachbarn, deren Verhältnis historisch belastet und oft voller Spannungen war, galt als „Coup“. Telalian leitet nun das Menschenrechtsbüro ODIHR. Das Amt des Beauftragten für Medienfreiheit übernimmt der Norweger Jan Braathu, und Hoher Kommissar für nationale Minderheiten ist der Niederländer Christophe Kamp.

Diplomaten begrüßten nicht nur, dass die organisatorische Funktionsfähigkeit für drei Jahre gesichert ist. Das neue Spitzenpersonal habe nun ein Mandat für seine Arbeit und könne Prioritäten setzen. Bis zuletzt hielt sich die Hoffnung, in Valetta wieder einen normalen Haushalt zu beschließen. Russland hatte dies seit 2021 verhindert, weshalb die OSZE ihre Arbeit auf Basis eines veralteten Budgets organisieren muss und auch als Arbeitgeber unattraktiv wird. Geplant ist ein Haushalt von 138 Millionen Euro für 2024, doch dieser kam nicht zustande. Maltas Chefdiplomat Ian Borg sagte ganz offen: „In der OSZE sind sogar die kleinsten Entscheidungen mit Politik verknüpft.“ Das Veto kam offenbar von Aserbaidschan.

Zum Jahreswechsel übernimmt Finnland den Vorsitz und ist für das Tagesgeschäft zuständig. Eigentlich war geplant, den 50. Jahrestag der Konferenz zur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa am 1. August 1975 zu feiern, doch dies ist unmöglich, wenn mit Russland ein OSZE-Mitglied einen vollumfänglichen Krieg gegen das OSZE-Land Ukraine führt. Alle Prinzipien der Helsinki-Schlussakte, etwa die „Unverletzlichkeit der Grenzen“ oder die „Enthaltung von der Androhung oder Anwendung von Gewalt“, werden von Russland gebrochen.

Wer anschließend den Vorsitz führen wird, bleibt offen. Viele Länder freuten sich über die „starken Gerüchte“, dass die Schweiz 2026 diese Rolle übernimmt. Für 2027 hat sich Zypern beworben, und damit jenes Land, dem die Zustimmung für einen türkischen Generalsekretär am schwersten gefallen sein dürfte. Ob das EU-Mitglied im Gegenzug eine OSZE-Präsidentschaft erhält, wird sich zeigen.

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:Auf dem OSZE-Treffen ist Russlands Außenminister isoliert, aber auch ein unvermeidlicher Gast

Von Matthias Kolb

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