Sicherheit in Europa:OSZE ohne Führung

Lesezeit: 3 Min.

Helga Schmid war bislang Generalsekretärin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). (Foto: Lisa Leutner/DPA)

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa braucht eine neue Spitze, doch die Besetzung scheitert an Russlands Veto. Die scheidende Generalsekretärin betont, dass die Arbeit trotzdem weitergeht. Das könnte auch der Ukraine nützen.

Von Cathrin Kahlweit, Matthias Kolb, München/Wien

Trotz monatelanger Bemühungen durch das Vorsitzland Malta steht die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ohne Führungspersonal da. Am Mittwoch um null Uhr endeten die Amtszeiten von Generalsekretärin Helga Schmid, einer deutschen Topdiplomatin, und drei weiteren Spitzenfunktionären, ohne dass Nachfolger gefunden werden konnten.

Zu den 57 Mitgliedern der Organisation gehören neben den EU-Ländern, Großbritannien, Kanada und den USA auch die Staaten Zentralasiens, Belarus sowie die Ukraine und auch Russland – also jenes Land, das seit Februar 2022 einen brutalen Krieg gegen ein anderes OSZE-Mitglied führt. Über Personalfragen muss in der OSZE wie über alles andere einstimmig entschieden werden: Ein einziges Veto aus einer Hauptstadt bringt alles zu Fall. Das setzt vor allem Russland gern ein, doch zuletzt blockierten auch Griechenland und die Türkei. Der Grund: Ihre Bewerber werden nicht berücksichtigt.

Seit 2022 ist die Organisation durch Moskau immer wieder politisch blockiert

In diplomatischen Kreisen in Wien stellt man sich nun auf eine Übergangsphase ein, bis auf dem Treffen der Außenminister Anfang Dezember ein Viererpaket beschlossen werden kann.

Neben dem Generalsekretär geht es um den Beauftragten für Medienfreiheit (bisher die Portugiesin Teresa Ribeiro), den Hohen Kommissar für nationale Minderheiten (zuletzt Kairat Abdrachmanow aus Kasachstan) sowie die Leitung des Menschenrechtsbüros ODIHR (Matteo Mecacci aus Italien), das auch für Wahlbeobachtung zuständig ist.

Seit Längerem werden in der OSZE diese vier Posten mit je dreijähriger Amtszeit als Paket besetzt. So entsteht nicht nur regionale Ausgewogenheit; es ließ sich bisher auch von Regierungen Kompromissbereitschaft einfordern, um eine akzeptable Lösung zu finden.

Allerdings ist die OSZE seit 2022 durch Moskau oft politisch blockiert. 2023 ließ Wladimir Putin nur eine Verlängerung der Top-Jobs um neun Monate zu, und für das Nato-Mitglied Estland sprang das neutrale Malta ein. Nach SZ-Informationen hat Malta den albanischen Außenminister Igli Hasani als Generalsekretär vorgeschlagen; die Kandidaten für die anderen Posten kamen aus Norwegen, Georgien und den Niederlanden. Darüber hatte zuerst die Deutsche Presse-Agentur berichtet.

Im Gespräch mit internationalen Medien in Wien zeigte sich Helga Schmid, die scheidende Generalsekretärin, wenig besorgt. Die Funktionsfähigkeit der OSZE sei gesichert, alle Institutionen würden durch Stellvertreter geleitet. Die 63-Jährige trat ihr Amt 2020 an, also im letzten Jahr, in dem die OSZE einen regulären Haushalt hatte. Seither können viele Projekte nur „extrabudgetär“ finanziert werden, also durch Spenden von OSZE-Mitgliedern und Partnern wie Japan.

Die OSZE könnte in der Ukraine Waffenstillstände überwachen

Über ein Hilfsprogramm für die Ukraine befinden sich 75 Mitarbeiter dort, die sich etwa mit Menschenhandel befassen, was Schmid besonders stolz macht. Sie erinnerte daran, dass nach dem vollumfänglichen Krieg Russlands gegen die Ukraine „manche schlauen Experten das Ende der OSZE prognostiziert“ hätten, doch dies sei nicht eingetreten: „Ich bin überzeugt, dass die Organisation wichtiger denn je ist für die Stabilität im OSZE-Raum und darüber hinaus.“

Weiter beginne jeden Donnerstag die Sitzung des Ständigen Ausschusses der Botschafter mit dem Tagesordnungspunkt „Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine“. In den Sitzungen müssten sich Moskaus Vertreter die Kritik der „großen Mehrheit der Mitgliedstaaten“ anhören, und oft werde „mehr als robust“ diskutiert. Das heißt, wie Diplomaten der SZ bestätigen: Regelmäßig fliegen die Fetzen.

Schmid ist überzeugt, dass die Organisation nach dem Ende von Konflikten in der Ukraine und anderswo Waffenstillstände überwachen könnte. „Wenn der Tag kommt – und der wird kommen – dann haben wir die Expertise“, sagt sie. Nichts hält sie vom Vorschlag, Russland aus der OSZE auszuschließen. Dies hatte 2022 die Ukraine gefordert, Balten und Polen zeigten dafür Sympathien.

Schmid begründet dies auch mit der Entstehungsgeschichte der Organisation, die in den Kalten Krieg zurückreicht. Die OSZE sei 1975 in Helsinki gegründet worden, „um eine weitere Eskalation zu verhindern und Gesprächskanäle offenzuhalten“. Es sei wertvoll, dass täglich Diplomaten aus 57 Ländern in Wien zusammenkommen – auch aus Russland und der Ukraine.

Wie es von 2026 an weitergeht, ist offen

Erleichtert ist sie auch, dass die zwölf OSZE-Feldmissionen stets verlängert werden: auf dem Westbalkan, in der Republik Moldau und in Zentralasien. In dieser Region förderte Schmid den Austausch der fünf Regierungen – etwa bei der Umwelt- und Klimapolitik, wo grenzübergreifende Zusammenarbeit viel bringt. Klimawandel als Sicherheitsrisiko und Geschlechtergerechtigkeit, mit diesen Themen beschäftigt sich die OSZE vor allem dank Helga Schmid. Aber auch die Bekämpfung von Menschenhandel und der Schutz von Journalisten hatten Priorität.

Die meisten Diplomaten in Wien sind momentan entspannt, weil klar ist, dass Finnland 2025 den OSZE-Vorsitz übernimmt. Das garantiert den Ablauf des Tagesgeschäfts. Wie es 2026 und danach weitergeht, ist offen. Im Juli wurde über ein Paket aus der Schweiz (neutral), Kasachstan (frühere Sowjetrepublik) und Norwegen (Nato-Mitglied) spekuliert. Insider rechnen nicht damit, dass Moskau mitmacht: „Die wollen jedes Jahr umworben werden.“

Helga Schmid, die erste Frau an der OSZE-Spitze, wird dies aus der Ferne verfolgen. Sie wurde von der Bundesregierung als Präsidentin der 80. UN-Generalversammlung nominiert, die im September 2025 beginnt. Da sie bislang die einzige Kandidatin ist, gilt ihre Wahl als sicher.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Vereinte Nationen
:Deutsche für Spitzenjob nominiert

Die Diplomatin Helga Schmid soll nach dem Willen der Bundesregierung 2025 als Präsidentin die UN-Generalversammlung leiten. Derzeit ist sie noch Generalsekretärin der OSZE in Wien.

Von Matthias Kolb, Paul-Anton Krüger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: