Ostukraine:Kein bisschen Frieden

Ostukraine: In der Ostukraine steht eine Frau vor ihrem schwer beschädigten Haus. Fünf Jahre nach Kriegsbeginn sind die Aussichten auf Frieden dürftig.

In der Ostukraine steht eine Frau vor ihrem schwer beschädigten Haus. Fünf Jahre nach Kriegsbeginn sind die Aussichten auf Frieden dürftig.

(Foto: AP)

Gesprächen und Abmachungen mit Russland zum Trotz: Die Todeschronik des Krieges wird weitergeschrieben.

Von Florian Hassel, Kiew

Zählte nur der Kalender, gäbe es in der Ostukraine Frühling und Frieden. Seit dem 8. März gilt für die ukrainische Armee und von Moskau kontrollierte Einheiten ein "Frühlings-Waffenstillstand". Die Realität allerdings las sich am Dienstag so: Dutzende Feuergefechte mit Granatwerfern, Anti-Panzer-Granaten oder schwerem Maschinengewehren. Allein in den zwei Wochen zwischen 8. und 23. März starben offiziell sechs weitere ukrainische Soldaten, mutmaßlich kaum weniger auf russischer Seite. Die Todeschronik des Krieges in der Ostukraine, der den Vereinten Nationen zufolge bisher mindestens 13 000 Menschen das Leben und fast 30 000 ihre Gesundheit gekostet hat, wird im sechsten Jahr des Krieges weitergeschrieben.

Zwei Drittel der Ukrainer sehen die Beendigung des Krieges als dringendste Aufgabe. Doch Russlands Präsident Wladimir Putin denkt bisher nicht daran, etwas am Status quo in der Ostukraine zu ändern. Gespräche zwischen dem US-Sonderbevollmächtigten Kurt Volker und Putins Vertrautem Wladislaw Surkow kommen nicht voran. Und so wirken auch die Vorschläge der ukrainischen Präsidentschaftskandidaten eher hilflos: Satiriker Wolodymyr Selensky, der eine Beendigung des Krieges erst für einfach hielt, wenn man sich nur mit den Russen an einen Tisch setze, fordert nun mehr internationalen Druck und russische Reparationen. Ex-Premierministerin Julia Timoschenko, die mit Putin früher einmal Gasdeals aushandelte, will "die Mauer der Angst, der Missverständnisse und des Hasses, die künstlich zwischen der Ukraine und den besetzten Gebieten geschaffen wird", zerstören. Wie, das lässt sie ebenso offen wie die Antwort auf die Frage, wie sie Russland zu Reparationszahlungen zwingen wollte - zumal ein Abzug der Russen nicht in Sicht ist.

Es hapert an der Versorgung mit Strom oder Wasser, wenn Bomben Leitungen zerstören

Präsident Poroschenko will ebenfalls "die volle Wiederherstellung der territorialen Integrität" und schlägt eine starke Armee und volle Mitgliedschaft in Nato und EU vor, die er 2023 beantragen will. Tatsächlich aber liegen sowohl die Mitgliedschaft in der EU wie die in der Nato in weiter Ferne. Das ukrainische Parlament schaffte es nicht einmal, ein Gesetz zu beraten, das die Annäherung der Armee an Nato-Standards ermöglichen soll.

Zudem wurden korrupte Deals bekannt. Vertraute eines langjährigen Geschäftspartners von Poroschenko, bis vor kurzem Vize-Chef des Nationalen Sicherheitsrates, verkauften Waffenersatzteile aus Russland an die ukrainische Armee zu überhöhten Preisen. Ein deutscher Ukraine-Experte mit Zugang zu Berliner Regierungsinformationen sagte der SZ im Herbst 2017, Schätzungen zufolge werde bis zur Hälfte des ukrainischen Verteidigungshaushaltes "geklaut".

Nicht nur in der Armee herrschen desaströse Zustände. Eisenbahnlinien und Straßen sind in der Ostukraine vielerorts unterbrochen, ebenso hapert es an der Versorgung mit Strom oder Wasser, wenn Bomben wieder einmal Leitungen zerstören. Präsident und Premier riefen die Verwaltung des von Kiew kontrollierten Teils der Region Donezk am Dienstag in einem Alarmruf auf, eine Milliarde Grivna (knapp 33 Millionen Euro) bereitzustellen: Krankenhäuser und andere wichtige Einrichtungen könnten nicht einmal mehr den Strom bezahlen. Mehr als 40 000 Häuser wurden zerstört - Hilfe kommt oft eher von der Caritas oder dem Rotem Kreuz, den USA und der EU oder aus der Schweiz.

Die Menschen in den von Moskau kontrollierten Gebieten um Donezk und Lugansk sind offiziell immer noch ukrainische Staatsbürger - ihre Rente aber können sie nur in Gebieten empfangen, die von Kiew kontrolliert werden. Dafür müssen sie Stunden oder einen ganzen Tag an den wenigen Übergängen warten. Rentner, die bei einer Kontrolle nicht an der gemeldeten Adresse angetroffen werden, können die Rente verlieren, obwohl das Oberste Gericht der Ukraine diese Praxis für illegal erklärt hat.

Viele Flüchtlinge können nicht an Wahlen teilnehmen, wenn sie bei Bekannten unterschlüpfen und sich offiziell nicht ummelden. 2015 beschloss die Regierung zwei Gesetze zur Integration der schätzungsweise 800 000 Flüchtlinge: Doch einem Report des Warschauer Zentrums für Oststudien (OSW) zufolge wurde kein Gesetz finanziert und umgesetzt.

Auch in der Justiz und bei der Anti-Korruption-Bekämpfung stocken Reformen oder werden zurückgedreht. Das Wahlrecht, das reichen Geschäftsleuten faktisch den Kauf von Parlamentssitzen ermöglicht, ist immer noch nicht reformiert. Die Macht der Oligarchen, der reichsten ukrainischen Geschäftsleute wie Rinat Achmetow, Ihor Kolomoisky und anderer, ist in Wirtschaft, Medien und Politik ungebrochen. Bezeichnenderweise fehlen bei allen führenden Präsidentschaftskandidaten konkrete Vorschläge, wie dies zu ändern sei. Präsident Poroschenko ist selbst ein Oligarch, Ex-Premierministerin Timoschenko führt einen teuren Wahlkampf, Komiker Selensky wird zumindest massiv durch den Einsatz der landesweiten Medien von Oligarch Ihor Kolomoisky unterstützt.

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