Ostsee-Pipeline:Wer am Ende in die Röhre gucken könnte

Warum wird die Pipeline gebaut? Ist sie noch zu stoppen? Welche Interessen verfolgen die Beteiligten? Wichtige Fragen und Antworten zu Nord Stream 2.

Von Michael Bauchmüller, Silke Bigalke, Daniel Brössler, Valentin Dornis

Ostsee-Pipeline: Ein Mitarbeiter prüft tonnenschwere Rohre für die Ostsee-Erdgas-Pipeline Nord Stream 2.

Ein Mitarbeiter prüft tonnenschwere Rohre für die Ostsee-Erdgas-Pipeline Nord Stream 2.

(Foto: Jens Büttner/dpa)

Was ist Nord Stream 2 überhaupt?

In der Ostsee liegt bereits ein großes Rohrsystem, durch das Gas von Russland in die EU befördert wird: Nord Stream 1. Die Pipeline wurde 2011 in Betrieb genommen, hat aber ihre Kapazitätsgrenze erreicht. Das soll Nord Stream 2 ändern. Die Röhre verläuft größtenteils unter Wasser durch die Ostsee, beginnt an der russischen Küste und soll in der Nähe von Greifswald ankommen. Mit 1230 Kilometern ist sie eine der längsten Offshore-Pipelines der Welt, derzeit fehlen noch etwa 300 Kilometer bis zur Fertigstellung.

Wen sollen die US-Sanktionen treffen?

Die Sanktionen zielen auf die Betreiberfirmen der hoch spezialisierten Schiffe ab, mit denen die Rohre verlegt werden. Der US-Außenminister soll dem Kongress innerhalb von 60 Tagen berichten, welche Schiffe eingesetzt werden und welchen Firmen sie gehören. Gegen Manager und Hauptaktionäre dieser Firmen sollen Einreiseverbote in die USA verhängt werden. Bestehende Visa würden widerrufen, und Transaktionen der Betroffenen, die sich auf ihre Geschäfte oder ihren Besitz in den USA beziehen, könnten blockiert werden.

Welche Interessen haben die USA?

Die USA fürchten, dass sich Europa und insbesondere Deutschland mit Nord Stream 2 von Russland abhängig machen, wirtschaftlich und politisch. Mit dem Projekt könnte Russland seine Energielieferungen noch stärker als Druckmittel nutzen. Doch die Interessen der USA sind auch wirtschaftlicher Natur: War das Land früher ein Importeur fossiler Brennstoffe, hat es sich in den vergangenen Jahren zu einem großen Produzenten und Exporteur gewandelt. Besonders mithilfe der sogenannten Fracking-Methode können die USA deutlich mehr Gas fördern - und wollen dieses auch nach Europa verkaufen.

Welche Firmen würden durch die Sanktionen Schaden erleiden?

Vordergründig ist der russische Gaskonzern Gazprom der Eigentümer von Nord Stream 2. Dahinter allerdings stehen auch Investoren aus der EU. Neben den beiden deutschen Konzernen Uniper und Wintershall Dea sind das die französische Engie, Österreichs OMV und die britisch-niederländische Shell-Gruppe. Sie tragen 50 Prozent der Finanzierung des Projekts. Dessen Kosten werden auf 9,5 Milliarden Euro geschätzt. Erträge allerdings sehen sie erst, wenn Gas fließt.

Warum kommen die Sanktionen erst jetzt - das Projekt ist ja fast fertig?

Bislang konnten sich Kongress und Weißes Haus auf die dänische Regierung verlassen. Denn die Pipeline muss auch dänische Gewässer durchqueren - und die Genehmigungsbehörden stellten sich quer. Ende Oktober aber erteilte Dänemark doch die Genehmigung. Damit fiel die letzte Hürde für das Projekt innerhalb der EU. Das dürfte auch der Auslöser für die Sanktionen sein.

Ist Nord Stream 2 noch zu stoppen?

Die Sanktionen könnten den Bau massiv behindern. Es gibt nicht viele Spezialschiffe wie die Pioneering Spirit, die derzeit durch die Ostsee pflügt. Sie gilt als größtes Verlegeschiff der Welt und ist unterwegs für das Unternehmen Allseas. Auch ein Schiff des Saipem-Konzerns ist im Einsatz - es gibt nur diese beiden Firmen im globalen Verlege-Geschäft. "Das ist die Achillesferse", heißt es aus dem Konsortium.

Warum gibt es auch in Europa Widerstand gegen das Projekt?

Mittel- und Osteuropäer waren von Anfang an gegen das Vorhaben. Die Ukraine fürchtet, dass ihr Pipeline-Netz überflüssig wird. Damit würde das Land Transitgebühren und somit eine wichtige Einnahmequelle verlieren. Noch wichtiger ist die strategische Bedeutung der Röhre.Russland hat die ukrainische Halbinsel Krim annektiert und kontrolliert Teile der Ostukraine. Die Ukraine hat sich zwar mittlerweile unabhängig gemacht von Gaslieferungen aus Russland, um nicht erpressbar zu sein. Sollte aber kein Gas oder sehr viel weniger durch die Pipeline Richtung Westen fließen, so fürchtet sie, werde Russland noch weniger Rücksicht auf die Ukraine nehmen. Andere östliche EU-Staaten fürchten, im Konfliktfall von Gaslieferungen abgeschnitten zu werden. Außerdem konterkariert die Pipeline nach Ansicht vieler in der EU das Ziel, die Energielieferungen zu diversifizieren und sich unabhängiger von russischem Gas zu machen.

Welche Position vertritt Deutschland?

Die Bundesregierung sieht die neue Pipeline in erster Linie als wirtschaftliches Projekt privater Unternehmen. Sie begrüßt den neuen Transportweg und sieht im zusätzlichen Gas, das nach Deutschland transportiert wird, einen Beitrag zur Energiesicherheit. Bundeskanzlerin Angela Merkel gesteht allerdings ein, dass das Vorhaben eine starke geopolitische Komponente hat. Sie beteuert, dass die Transitroute durch die Ukraine infolge von Nord Stream 2 nicht austrocknen solle.

Wie sieht Russland den Konflikt?

Der russische Außenminister Sergej Lawrow zeigte sich bei einem Besuch in Washington am Dienstag demonstrativ unbeeindruckt. Der US-Kongress sei "vom Wunsch überwältigt, alles zu tun, um unsere Beziehungen zu zerstören", sagte er. Lawrow gab sich zuversichtlich, dass Nord Stream 2 durch Sanktionen nicht gestoppt werde. Gleiches gelte für das Projekt Turkstream, bei dem russisches Erdgas durch das Schwarze Meer in die Türkei geliefert werden soll. Auch darauf zielen mögliche US-Sanktionen ab. Das Vorgehen der USA sei "eine eindeutige Verletzung der Souveränität der EU im Allgemeinen und Deutschlands im Besonderen", sagt Dmitrij Nowikow, Vize des Duma-Komitees für Internationales. Solange die neuen Leitungen, Nord Stream 2 und Turkstream, nicht einsatzbereit sind, liefert Gazprom das Erdgas weiterhin durch die Ukraine nach Europa. Doch der Transitvertrag mit Kiew, der Menge und Transitgebühren regelt, läuft Ende des Jahres aus. Insofern müsste Moskau indirekt auf die US-Sanktionen reagieren: Sollten sich die Pipelineprojekte verzögern, ist Russland mehr denn je auf eine Verlängerung des Vertrags mit Kiew angewiesen.

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