Süddeutsche Zeitung

Osteuropa:Schaut hin

Zur deutschen Europapolitik gehört es, auch kleinere Länder ernst zu nehmen und nicht nur mit dem Nachbarn Polen zu reden.

Von Daniel Brössler

Seit der Flüchtlingskrise von 2015 genießt ein bis dahin in Deutschland wenig beachtetes politisches Format einige Bekanntheit. Die Visegrád-Gruppe, der Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn angehören, ist zum Synonym geworden nicht nur für eine harte Haltung gegen jedwede Verteilung von Flüchtlingen in Europa. Sie steht auch für die Demontage der Rechtsstaatlichkeit im Osten der EU. Oft werden die vier Länder nur noch als Block wahrgenommen. Das hat mit der Wirklichkeit wenig zu tun, weshalb es gut ist, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag zumindest einen Abstecher zur 100-Jahr-Feier der Tschechoslowakei nach Prag gemacht hat.

Zwar ist auch Tschechiens Präsident Miloš Zeman passionierter Populist, zwar ist der regierende Milliardär Andrej Babiš bestenfalls Zweck-Europäer, dennoch ist die Regierung in Prag weit entfernt von den völkischen Tönen eines Viktor Orbán in Ungarn oder dem Eifer des Polen Jarosław Kaczyński beim Zerschlagen der unabhängigen Justiz. Beim Blick in den Osten sind Lichtblicke rar. Aber es hilft auch nichts, alles nur grau in grau zu sehen.

Viel Aufmerksamkeit wird allenfalls noch dem großen Problempartner Polen zuteil, um in den Beziehungen zu retten, was vielleicht noch zu retten ist. Die Stärke deutscher Europapolitik aber lag einst darin, auch kleinere Länder ernst zu nehmen. In Europa schauen alle nach Deutschland. Es ist an der Zeit, dass die Deutschen mal wieder zurückschauen.

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Quelle:
SZ vom 27.10.2018
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