Süddeutsche Zeitung

Osteuropa-Gipfel:Doch irgendwie Freunde

Lesezeit: 4 min

Von Daniel Brössler, Riga

"Auf dem Weg wird es eine Menge Aufs und Abs geben", sagt David Cameron. Das Treffen in Riga, erläutert der britische Premierminister, sei "eine gute Gelegenheit, um die Diskussion über die Reform der EU" zu beginnen. Das ist, nun ja, eine Einzelmeinung. Alle anderen Teilnehmer des Gipfeltreffens in der lettischen Hauptstadt haben zumindest an diesem Tag andere Sorgen als die Sonderwünsche des britischen Wahlsiegers und sein geplantes Referendum über die EU-Mitgliedschaft.

Es geht um die "Östliche Partnerschaft" der Europäischen Union, also um den Wunsch von Ukrainern und Georgiern, eines Tages der EU beizutreten. Es geht um das schwierige Thema Visafreiheit. Und am Rande geht es natürlich auch um Griechenland, das immer noch der Rettung harrt. Es ist wieder einmal ein EU-Treffen, das sich nicht einer, sondern mehreren Krisen widmen muss. Und es ist ein Treffen, bei dem alle am Ende doch wieder irgendwie Freunde sind. In den Worten der Bundeskanzlerin heißt das: "Die Beratungen hier in Riga sind erfreulicherweise sehr harmonisch."

DIe Abschlusserklärung zur Zukunft der Assoziierungsabkommen bleibt vage

In gewisser Weise stimmt das, wie ein Streit zeigt, der am Ende keiner mehr sein darf. Jene drei Ostpartner, die Assoziierungsabkommen mit der EU geschlossen haben, sind mit dem Wunsch nach einer Art Aufnahmeversprechen nach Riga gekommen. Davon wollten viele westliche EU-Länder, allen voran Deutschland, nichts wissen.

In Verhandlungen kommt schließlich in letzter Minute eine Formulierung für die Abschlusserklärung heraus, die jeder so lesen kann wie er mag: "Das Ausmaß und die Tiefe der Zusammenarbeit werden bestimmt von den Ambitionen und Bedürfnissen der EU und ihrer Partner wie von der Geschwindigkeit der Reformen." Es ist ein Satz, der zwar nicht darüber hinausgeht, was schon in den Assoziierungsabkommen steht, aber eben auch nicht dahinter zurückfällt. Die Kanzlerin findet, dass er eben nicht jene "falschen Hoffnungen" weckt, vor denen sie tags zuvor im Bundestag gewarnt hatte.

"Niemand hat jemals versprochen", stellt schließlich auch EU-Ratspräsident Donald Tusk, klar, "dass die östliche Partnerschaft ein automatischer Weg zur EU-Mitgliedschaft ist." Als Pole zählt Tusk zu den Unterstützern einer klaren Beitrittsperspektive, er sagt aber auch: "Das war das Maximum, was wir heute erreichen konnten."

Dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko reicht das, jedenfalls öffentlich. "Wir sind zufrieden mit dem Maß an Solidarität, das heute gezeigt wurde." Er meint damit auch eine vage Zusage auf Visafreiheit für die Ukraine und Georgien in nicht allzu ferner Zukunft. Bis Mitte Dezember soll die EU-Kommission einen Bericht über die Fortschritte beider Länder beim Erfüllen der verlangten Kriterien abgeben. "Dann gibt es, wenn erfolgreich umgesetzt wird, auch die Perspektive der Visafreiheit", verspricht Merkel.

Welcher Bogen in Riga zu schlagen ist, zeigt ein Blick auf die Landkarte. Jene 30 Punkte, die am Ende in der Abschlusserklärung stehen, müssen irgendwie passen, von Lissabon bis Baku. EU-Staaten, Möchtegern-EU-Staaten und Bruderstaaten Russlands wie Weißrussland und Armenien sollen unterschreiben können, was da als "strategische und ambitionierte Partnerschaft" beschrieben wird. Es ist von Demokratie die Rede, vom Kampf gegen den Klimawandel und Hilfe für die nahezu bankrotte Ukraine.

Interessant wird es dort, wo Merkel behauptet, es gebe eine "sehr gemeinsame Position der Länder der östlichen Partnerschaft, bei aller Unterschiedlichkeit". Die Erklärung mache deutlich, dass die territoriale Integrität jeden Landes geschützt werde. Dabei ist es nicht ganz einfach, sich auf eine Linie gegenüber dem zu verständigen, was in der Erklärung "Handlungen gegen die Ukraine" genannt wird. Die Annexion der Krim wird zwar verurteilt, aber nur von der EU. Weißrussland würde sonst nicht mitmachen.

Keine Annäherung in der Frage der griechischen Schuldenkrise

Russland kritisierte den Gipfel am Freitagabend als "ideologisiertes geopolitisches Projekt". Es sei eine Gelegenheit versäumt worden, "die sich vertiefende Spaltung" in Europa zu überwinden, kommentierte das Außenministerium in Moskau. Während es in der Nationalbibliothek von Riga um die Zukunft im Osten geht, will es die alphabetische Sitzordnung, dass Merkels Nachbar am Tisch Alexis Tsipras heißt. Merkel hatte sich schon am Vorabend mit dem am Abgrund stehenden Griechen und Frankreichs Präsident François Hollande zusammengesetzt zu etwas, was sie am nächsten Tag als "sehr freundschaftlichen, konstruktiven Austausch" beschreibt. Dabei will sie jeden Anschein vermeiden, es habe einen Durchbruch gegeben oder auch nur eine Annäherung daran. Es müsse "nun weitergearbeitet werden; es ist noch eine ganze Menge zu tun", sagt sie. Zuständig seien die "Institutionen", also Euro-Gruppe, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds.

Tsipras, der ebenfalls von der "sehr guten und freundlichen Atmosphäre" des Gesprächs spricht, äußert sich zuversichtlicher: "Ich bin optimistisch, dass wir bald eine nachhaltige, tragfähige Lösung finden können, ohne die Fehler der Vergangenheit - und dass Griechenland bald wieder zu Wachstum zurückkehrt." Bald soll es wohl ein Treffen der Euro-Gruppe geben und womöglich einen Sondergipfel.

Kurz vor Schluss lässt Aserbaidschan beinahe die Abschlusserklärung platzen

Eine Weile sieht es in Riga also so aus, als könnten alle irgendwie zufrieden sein. Die Kanzlerin wartet das Ende der Sitzung gar nicht ab, weshalb sie schon auf dem Heimflug ist, als es zu einer dramatischen Wendung kommt. Kurz vor Schluss, die Journalisten warten schon auf die Pressekonferenz, verkündet der Außenminister Aserbaidschans, Elmar Mammadjarow, sein Land könne die Erklärung nicht mittragen. EU-Ratspräsident Tusk unterbricht die Sitzung, um in Baku bei Präsident Ilham Alijew anzurufen.

Der ist verstimmt wegen einer Textpassage zum von Armenien besetzten Gebiet Nagorny-Karabach, gibt sich aber schließlich mit einer Protokollerklärung zufrieden, in der Aserbaidschan seine Haltung klarstellt. Erleichtert kann Tusk mit einstündiger Verspätung vor die Presse treten, um vom "starken Bekenntnis" zur östlichen Partnerschaft zu künden.

Und dann geht es doch noch um Großbritannien. Ob er einen britischen Austritt fürchte, wird Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gefragt. Er verstehe die Frage nicht, behauptet der. Sagen könne er aber, dass ihn Premier David Cameron für Montag auf seinen Landsitz eingeladen habe. Thema: die EU-Reform.

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SZ vom 23.05.2015
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