Es war der Advent 2013, als in Schneeberg im Erzgebirge aus der heimeligen Tradition des "Lichtelns" ein Zündeln wurde. Statt lediglich Schwibbögen ins Fenster zu stellen, zogen Hunderte Menschen mit Fackeln durch die Straßen, um gegen Flüchtlinge zu demonstrieren, die in einer Kaserne am Stadtrand untergebracht waren. Sie nannten es "Lichtellauf". In den Gassen gut zu hören war der Ruf: "Wir sind das Volk".
Er war auch in Dresden gut zu hören, bei den Pegida-Demonstrationen, in Freital und jetzt in Heidenau. "Wir sind das Volk" ist eine Parole, die noch immer für Gänsehaut gut ist - heute freilich aus anderen Gründen als 1989. Aus der Artikulation demokratischer Selbstvergewisserung ist ein Schlachtruf geworden, eine Drohung. "Wir sind das Volk" soll jetzt heißen: Ihr seid es nicht. Gemeint sind Flüchtlinge, Politiker, Menschen, die eine andere Meinung haben als das "besorgte Bürgertum". Was ist passiert seit 1989? Schwerter zu Pflugscharen zu Mistgabeln?
"Wir sind das Volk" ist jetzt ein Schlachtruf
Es stimmt: Wer begutachten will, wie dünn der zivilisatorische Lack in diesem Land bisweilen ist, der richtet seinen Blick am besten gen Osten. Fast jede zweite rassistisch motivierte Gewalttat im vergangenen Jahr wurde in Berlin und den neuen Bundesländern verübt. Dort, und immer wieder in Sachsen, zeigt sich, dass es Regionen gibt, in denen ein gepflegter Rasen und ungestörte Nachtruhe mehr gelten als Grundrechte. Dort zeigt sich, dass selbst Menschen, die ihre rechtsextreme Meinung offen zur Schau stellen, längst nicht immer Persona non grata sind, sondern Fußballtrainer, bei der Feuerwehr oder Nachbarn.
Nur sind es Nachbarn, die einem bei Meinungsverschiedenheiten schon mal die Scheune anzünden, wie vor knapp zwei Wochen in Jamel in Mecklenburg. Warum scheint es plötzlich nur noch zweierlei Gruppen zu geben: eine, in der sie den Mund aufreißen und eine, in der sie ihn lieber halten?
Die Frage, ob die Ex-DDR brauner ist als der Rest der Republik, wird in diesen Tagen schnell gestellt und noch schneller beantwortet. Die gängigsten Antworten: Ein autoritäres System hat autoritäre Charaktere und mit der Demokratie fremdelnde Untertanen geformt, die zufrieden sind mit der Freiheit, die so ein Schrebergärtchen bietet, die auch 25 Jahre nach der Wende lieber Eingaben an "die da oben" richten, als Aufgaben selbst in Angriff zu nehmen. Es handele sich um Menschen, die die einstigen, aus Mangel geborenen Zweckgemeinschaften der DDR als Solidarität verklärten und heute den Flüchtlingen nicht das Feldbett in der Turnhalle gönnen.