Ostdeutschland:Korridore für die Abgehängten

Zittau kämpft mit Nachbarregionen um Titel Kulturhauptstadt

Idylle mit Zukunft: In Zittau, hier der Marktplatz mit dem Marsbrunnen und dem Rathaus im Hintergrund, leben immer noch viele junge Leute.

(Foto: Jens Kalaene/dpa)

Ostdeutsche Politiker empören sich über den Vorschlag, nur noch Großstädte zu fördern. Es gibt bereits einen Gegenplan.

Von Julian Erbersdobler

Manche Sätze haben ein lautes Echo. Der Ökonom Reint Gropp hat zu Beginn der Woche so einen von sich gegeben. Am Montagt, bei der Präsentation einer Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), sagte er über die ländlichen Regionen in Ostdeutschland: "Wir sollten aufhören, dort auf Teufel komm raus Arbeitsplätze zu erhalten." Bald 30 Jahre nach dem Mauerfall rechnete der Ökonom mit drei Jahrzehnten Wirtschaftspolitik in der ehemaligen DDR ab. Mit milliardenschweren Fördermitteln hätten die Regierungen im Osten Deutschlands über die Jahre auch Schaden angerichtet. "Die Subventionspolitik hatte negative Konsequenzen", sagte Gropp, Forschungsleiter und Präsident des Instituts. Staatliches Fördergeld solle künftig vor allem in die Städte fließen. 2017 lag die Produktivität in den neuen Ländern einschließlich Berlin bei durchschnittlich 82 Prozent des Westniveaus. Kein ostdeutsches Flächenland reicht bislang an das westdeutsche Schlusslicht, das Saarland, heran.

Dieser Befund konnte einigen Bürgermeistern und Ministerpräsidenten nicht gerade gefallen. Vor allem denen nicht, die im Herbst in Thüringen, Sachsen und Brandenburg in den Wahlkampf ziehen. Und das Echo ließ nicht lange auf sich warten: Am Dienstag meldete sich Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) zu Wort. Sie warnte vor einer Kehrtwende bei der Wirtschaftsförderung in Ostdeutschland. "Natürlich müssen wir weiter in die wirtschaftlichen Zentren investieren, denn dort entstehen die meisten attraktiven Arbeitsplätze", sagte Schwesig der Neuen Osnabrücker Zeitung. Der ländliche Raum dürfe aber nicht abgehängt werden. "Auch dort brauchen die Menschen eine leistungsfähige Infrastruktur und wirtschaftliche Perspektiven." Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) erklärte: "Man kann nicht die Mehrheit der Menschen und Regionen ausklammern." Das sei undemokratisch und politisch nicht haltbar.

Und wie geht es denen, über die nun öffentlich diskutiert wird? Lars Rose arbeitet als Kraftfahrer und ist seit 2008 ehrenamtlicher Bürgermeister in Bornstedt im Landkreis Mansfeld-Südharz, Sachsen-Anhalt. Seine Gemeinde hat knapp 800 Einwohner und liegt wenige Kilometer südlich von Eisleben, dem Geburts- und Sterbeort Luthers. Rose nennt die Aussage von Gropp einen "Schlag ins Genick". Er sagt: "Die Ballungsräume Halle und Leipzig stehen doch sowieso schon gut da." Dort gebe es ohnehin schon "ganz andere Bedingungen", genügend Arbeitsplätze, Firmen wie Porsche und BMW. "Uns fehlt das produzierende Gewerbe. Die Region ist wirtschaftlich stark gebeutelt."

Die mehr als 20 000 Arbeitsplätze im Bergbau seien schon länger verschwunden, sagt Rose. Umso wichtiger wären Subventionen. Dass der IWH-Präsident Gropp genau das Gegenteil fordert, findet er "ärgerlich". Auf Rückmeldungen von Bürgern zum Thema wartet Rose noch. "Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die Worte von Herrn Gropp beim kleinen Mann gut ankommen." Das Gefühl abgehängt zu sein, sei ohnehin präsent.

Da Berlin immer voller wird, brauchen Wissenschaftsparks auch Flächen im Umland

Thomas Zenker, 43, parteiloser OB im sächsischen Zittau, hat durch Bürgermeister-Kollegen auf Facebook von der Debatte erfahren. Seine erste Reaktion: "Ich werde den Eindruck nicht los, dass sich Wissenschaftler auf Kosten einer hoch emotionalen Diskussion selbst ins Gespräch bringen." Die Aussagen führten nur zu "Dauerfrustration", sagt Zenker. Der Trend zur Urbanisierung habe die Folge, dass immer mehr Menschen "auf einem Haufen" wohnen, die sich das dann irgendwann nicht mehr leisten könnten. Auf der anderen Seite fehle es ihm schon heute an finanziellen Mitteln. "Ich weiß nicht, wie viele Planungen wir hier im Rathaus rumliegen haben, die wir am Ende nicht umsetzen können." Subventionen seien zwar vorhanden, die würden aber nicht ausreichen. Das sei "verbranntes Geld". Es gebe in seiner Region aber auch einige erfreuliche Entwicklungen, über die man selten etwas lese. In Zittau seien alle Kindergartenplätze belegt, bald werde sogar angebaut. "Da dreht sich was", sagt er. Der Generationenwechsel sei im vollen Umbruch. "Ich erlebe gerade junge Menschen, die die Häuser ihrer Großeltern übernehmen und nicht aufgeben wollen." Und auch ein anderes Projekt stimmt ihn positiv. Zittau bewirbt sich gerade stellvertretend für die Dreiländerregion Oberlausitz als Kulturhauptstadt Europas 2025. "Uns ist klar, dass wir als Außenseiter ins Rennen gehen", sagt Thomas Zenker. Für den Fall, dass die Bewerbung scheitern sollte, könne man viele der Ideen trotzdem umsetzen.

Um die Frage, wie der Osten künftig attraktiver und innovativer werden kann, geht es auch in einem Papier, das Staatssekretär Thomas Kralinski (SPD), Bevollmächtigter des Landes Brandenburg beim Bund, vor einer Woche vorgelegt hat. In Brandenburg sollen "Innovationskorridore" geschaffen werden, die aus Berlin herausführen. Die Idee: Weil die Hauptstadt immer voller und voller wird, braucht mancher Wissenschaftspark weitere Flächen im Umland. Auch Unternehmen und Start-Ups suchten Platz, um expandieren zu können. "Die Korridore werden zeigen, dass auch vornehmlich ländlich und bisher strukturschwache Regionen im Zeitalter der Digitalisierung große Wachstumschancen haben", heißt es in Kralinskis Papier.

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