Süddeutsche Zeitung

Ostdeutschland:Frauen verzweifelt gesucht

Seit dem Fall der Mauer haben mehr als 1,5 Millionen Menschen die neuen Bundesländer verlassen. Vor allem gut ausgebildete junge Frauen zieht es in den Westen. Forscher warnen nun vor einem "europaweit einzigartigen Frauenmangel" - selbst am Polarkreis sei die Situation nicht so dramatisch.

Die starke Abwanderung von Frauen hat in Ostdeutschland einer Studie zufolge in vielen Regionen zu einem erheblichen Überschuss an Männern geführt. Seit dem Fall der Mauer haben mehr als 1,5 Millionen Menschen die neuen Bundesländer verlassen - darunter sind besonders viele junge Frauen, wie das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung am Mittwoch mitteilte.

Dadurch gibt es in einigen Regionen einen Männerüberschuss von bis zu 25 Prozent. Trauriger Spitzenreiter ist der Landkreis Uecker-Randow im äußersten Südosten Mecklenburg-Vorpommerns an der polnischen Grenze: so kommen hier gerade einmal 76 Frauen auf 100 Männer in der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen.

Das Problem: Während vor allem gut ausgebildete Frauen zwischen 18 bis 29 Jahren ihre ostdeutsche Heimat verlassen, bleiben viele junge Männer mit schlechter Ausbildung und ohne Job zurück. Das habe zur Bildung einer neuen Unterschicht geführt, stellten die Forscher fest.

Außerdem fehlen in den neuen Bundesländern wegen der Abwanderung der Frauen schon jetzt etwa 100.000 Kinder. "Dieser Frauenmangel ist europaweit einzigartig", sagte der Mitautor der Studie "Not am Mann" des Berlin-Instituts, Reiner Klingholz. "Selbst Polarkreisregionen im Norden Schwedens und Finnlands reichen an die ostdeutschen Werte nicht heran." Nur den Männern auf einigen einsamen griechischen Inseln ginge es noch schlechter.

"So ziemlich das Dümmste, was einem passieren kann"

Als Ursache sehen die Forscher die eklatanten Bildungsunterschiede zwischen den Jungen und Mädchen im Osten an. Während fast 60 Prozent aller Gymnasiasten junge Frauen sind, schafften in den vergangenen Jahren deutlich weniger Jungen als Mädchen auch nur den Hauptschulabschluss.

Am schlechtesten sieht es im brandenburgischen Landkreis Elbe-Elster aus: Dort sind den Angaben zufolge 70 Prozent der Schulabgänger, die seit 1995 keinen oder höchstens einen Hauptschulabschluss erreichten, männlich.

"Zusammen mit einer hohen Arbeitslosigkeit und den schlechteren Chancen auf einen Ausbildungsplatz führt dieses Bildungsgefälle dazu, dass viele junge Frauen ihr Glück in Westdeutschland versuchen", sagte der Leiter der Studie, Steffen Kröhnert. "Hinzu kommt, dass die Frauen sich einen Partner mit ähnlichem Bildungsniveau suchen - und diesen nicht in Ostdeutschland finden."

Immerhin jeder fünfte Mann im Osten hat der Studie zufolge eine schlechte Ausbildung, keinen Job und keine Partnerin. "Das ist so ziemlich das Dümmste, was einem passieren kann", fand Klingholz.

Für die Studie stützten sich die Forscher auf Statistiken der Arbeitsämter, weitere Studien zur Bevölkerungsentwicklung sowie auf eigene Umfragen.

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dpa
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