Sechs Jahre sind es noch. Dann werden die gar nicht mehr so neuen Bundesländer länger Teil der Bundesrepublik sein, als die DDR Bestand hatte. Und trotzdem sind in den vergangenen Wochen die Unterschiede zwischen West und Ost so präsent gewesen wie selten zuvor. Sowohl in Sachsen und Thüringen als auch in Brandenburg hat die teils rechtsextreme AfD fast ein Drittel der Wählerstimmen gewonnen – Werte, von denen sie in Westdeutschland deutlich entfernt ist.
Für den Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland, Carsten Schneider, sind die Landtagswahlergebnisse Grund zur Sorge. Nicht nur, weil der SPD-Politiker fürchten muss, nächstes Jahr sein Direktmandat im Wahlkreis Erfurt-Weimar zu verlieren. Bei der Vorstellung des neuen Berichts zum Stand der Einheit bezeichnet er das Wahlergebnis als einen „Dämpfer“ für die Region. „Die Erfolge der Rechtsextremen schaden dem Image Ostdeutschlands“, fasst es Schneider zusammen. Insbesondere dort, wo am Dringendsten gut ausgebildete Menschen gebraucht werden, seien die AfD-Ergebnisse am höchsten. „Da brauchen Sie nicht mal Ausländer zu sein, um zu sagen, da will ich nicht hinziehen“, sagt er.
Immerhin: Die Gehälter im Osten sind deutlich stärker gestiegen als im Westen
Der Bericht trägt dieses Jahr den Titel „Frei, vereint und unvollkommen“. Ein Blick in die Zahlen zeigt, unvollkommen ist insbesondere die schwer ersehnte Angleichung der Lebensverhältnisse. Das durchschnittliche Vermögen der Ostdeutschen beträgt weiterhin weniger als 50 Prozent des westdeutschen Durchschnitts. Die Löhne liegen in im Schnitt 30 Prozent unter denen in Westdeutschland. Die Ostdeutschen haben dementsprechend weniger Rücklagen und seien „sensibler für die aktuellen Krisen“, sagt Schneider. Zum Beispiel auf dem Wohnungsmarkt.
Der Beauftragte betont aber, dass die Gehälter im Osten in den vergangenen Jahren deutlich stärker gestiegen sind als im Westen. Grund sei die Einführung und Erhöhung des Mindestlohns, die sich im ostdeutschen Niedriglohnsektor noch stärker bemerkbar gemacht habe.
Auch die Einkünfte durch Unternehmensgewinne fallen im Osten deutlich geringer aus als im Westen. Zwar gebe es, gerechnet auf die Bevölkerung, mittlerweile annähernd gleich viele Unternehmen, im Osten seien diese aber im Schnitt deutlich kleiner und weniger profitabel. Im Bericht wird das im Beitrag zweier Wirtschaftswissenschaftlerinnen klar als eine Folge der Privatisierung der DDR-Betriebe durch die Treuhandanstalt bezeichnet, bei der ein Großteil der produktivsten Unternehmen in westdeutsche Hand gelangte.
Schneider will nicht alles auf die Treuhand schieben
Die SPD-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in Sachsen, Petra Köpping, hatte nicht zuletzt deshalb vorgeschlagen, eine Kommission zur Aufarbeitung der Nachwendezeit einzurichten. Schneider hält davon nichts. Auf Nachfrage sagt er, der Vorschlag sei „müßig“. Der Fokus auf die Treuhand sei teilweise berechtigt, teilweise handele es sich nur um Mythenbildung. Auf jeden Fall ließe sich mit so einer Kommission an den heutigen Unterschieden nichts mehr ändern.
In einigen Belangen haben aber auch die ostdeutschen Bundesländer die Nase vorn. Auch das wird im Bericht deutlich. So ist zum Beispiel der Anteil der Mütter in Erwerbstätigkeit im Osten deutlich höher als im Westen. Ebenso die Verfügbarkeit von Kinderbetreuungsplätzen.
Ernüchternder ist der Blick auf die Repräsentation bei den Führungskräften. Schneider hatte eine Studie bei der Universität Leipzig in Auftrag gegeben. Der sogenannte „Elitenmonitor“ zeigt: Der Anteil der in Ostdeutschland oder der DDR geborenen Menschen an der Zahl der „Spitzenführungskräfte“ liegt etwa bei 13 Prozent, ihr Anteil an der gesamtdeutschen Bevölkerung dagegen bei fast 20 Prozent. Ein bisschen mehr sind es in Verwaltung und Politik. In der Wirtschaft dagegen seien nur vier Prozent der führenden Positionen mit Ostdeutschen besetzt und der Anteil in den letzten Jahren sogar wieder rückläufig. „Die Kompetenz der Ostdeutschen, durch schwierige Krisen zu navigieren, wird sträflich unterschätzt“, sagt Schneider.