Süddeutsche Zeitung

Ost-Mitteleuropa:Vier ohne Erbarmen

Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei verweigern sich auch weiter einer EU-Quote für Flüchtlinge. Eigentlich wollen sie gar niemanden aufnehmen. Darum soll sich Deutschland kümmern.

Von Florian Hassel, Warschau

Das Krisentreffen der Regierungschefs und Innenminister Polens, Ungarns, Tschechiens und der Slowakei hatte in Prag noch nicht begonnen, da standen Ton und Ergebnis schon fest: kein Schritt zurück in der Flüchtlingspolitik, keine Aufnahme Tausender neuer Flüchtlinge, erst recht nicht durch Quoten der EU.

Damit weisen die vier Länder der sogenannten Visegrád-Gruppe auch die jüngste deutsch-französische Initiative für eine gerechtere Verteilung der Schutzsuchenden in Europa zurück. In ihrer gemeinsamen Abschlusserklärung fordern die vier Staaten eine bessere Bewachung der EU-Außengrenzen und die schnelle Einrichtung von Registrierungszentren in besonders betroffenen Staaten. Tschechien, Gastgeber dieses Treffens, lässt Innenminister Milan Chovanec erklären, sein Land lehne "eine verbindliche Quote weiterhin ab". Tschechien wisse nicht, wie es Flüchtlinge im Fall der Gewährung von Asyl auf seinem Territorium festhalten solle. Schließlich bekämen anerkannte Asylbewerber Papiere in die Hand, die es ihnen ermöglichten, sich innerhalb des Schengen-Raums zu bewegen. Und dann zeige sich, dass sie weiter nach Deutschland, Schweden oder in andere Länder wollen. "Wir kennen bis dato kein Modell, mit dem wir sie zum Verbleib in Tschechien verpflichten können." Der slowakische Regierungschef Robert Fico rechtfertigt seine Ablehnung einer Flüchtlingsquote mit dem Argument, sie fördere das organisierte Verbrechen. Ohnehin seien 95 Prozent der Migranten Wirtschaftsflüchtlinge. Auch Polen bekräftigt, dass es verbindliche Flüchtlingsquoten und auch die Aufnahme weiterer Tausender Flüchtlinge ablehnt. Elżbieta Witek, Sprecherin der rechtsnationalistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) - Favoritin für die Wahlen Ende Oktober - erklärt im Staatsradio, die Flüchtlinge seien "das Problem Europas, nicht das Problem Polens". Größere Länder, "vor allem Deutschland", sollten sich darum kümmern. Ministerpräsidentin Ewa Kopacz, die mit ihrer "Bürgerplattform" in Umfragen weit hinter der PiS liegt, sagt, Warschau sei nur "auf Grundlage der Freiwilligkeit" bereit, über die Aufnahme weiterer Flüchtlinge zu reden. Bisher hat sich Polen nur verpflichtet, auf Kosten der EU in den nächsten zwei Jahren 2000 Flüchtlinge aufzunehmen, zusätzlich zu 200 syrischen Christen. Falls die vom EU-Kommissionspräsident angedachte Zahl von 120 000 Flüchtlingen verteilt werden müsse, entfielen auf Polen 7000 bis 8000 zusätzliche Flüchtlinge, schätzt die Gazeta Wyborcza - dazu sei Kopacz nicht bereit. Die Zeitung Rzeczpospolita glaubt gar, Polen müsse bei verbindlichen Quoten 10 000 Flüchtlinge aufnehmen - und macht mit der Schlagzeile "Die Terroristen sind schon in Polen" gegen die Aufnahme etwa syrischer Flüchtlinge Stimmung. Araber haben in Polen kein gutes Image: 55 Prozent der Bevölkerung halten sie für eine Bedrohung der nationalen Sicherheit sollten sie ins Land kommen. Das jedenfalls fand das Meinungsforschungsinstitut Ipsos heraus.

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Quelle:
SZ vom 05.09.2015
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