Süddeutsche Zeitung

Türkischer Menschenrechtler:Kavala bleibt weiterhin in Haft

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte erst kürzlich die sofortige Freilassung des Kulturmäzens Osman Kavala gefordert. Doch das türkische Gericht ignoriert das Urteil aus Straßburg.

Christiane Schlötzer, Istanbul

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EMGR) hat erst vor zwei Wochen seine sofortige Freilassung gefordert, trotzdem muss der türkische Kulturmäzen und Unternehmer Osman Kavala auch nach mehr als zwei Jahren weiter in Untersuchungshaft bleiben. Das 27. Strafgericht der Türkei beschloss am Dienstag, das Urteil aus Straßburg zu ignorieren. Die Richter begründeten ihre Entscheidung mit Fluchtgefahr. Zudem sei die Entscheidung aus Straßburg noch nicht in Übersetzung vorgelegen. Viele Zuschauer im vollen Gerichtssaal des Hochsicherheitsgefängnisses von Silivri bei Istanbul reagierten geschockt, einige weinten. Der bekannte türkische Kolumnist Aydin kommentierte sarkastisch: "Frohe Weihnachten Europäisches Menschenrechtsgericht."

Das Gericht in Straßburg hatte am 10. Dezember die lange Untersuchungshaft für Kavala als Verstoß gegen die Europäischen Menschenrechtskonvention bezeichnet. In der Entscheidung hieß es, Kavala und 15 Mitangeklagte, die alle in der türkischen Zivilgesellschaft aktiv waren, sollten zum Schweigen gebracht werden.

In Silivri waren wie schon bei den Verhandlungen zuvor wieder zahlreiche internationale Beobachter anwesend. Als Kavala, 62, von Polizisten aus dem Saal geführt wurde, klatschten viele Zuschauer lange und laut. Der Unternehmer war mit seiner Stiftung Anadolu Kültür auch Partner des Goethe-Instituts und vieler anderer internationaler Kulturinstitutionen.

Die übrigen 15 Angeklagten sind nicht in Haft, einige haben bereits die Türkei verlassen, die übrigen müssen sich regelmäßig bei der Polizei melden. Allen wird in einer mehr als 600 Seiten langen Anklageschrift vorgeworfen, durch Beteiligung an den Gezi-Protesten 2013 hätten sie die Regierung stürzen wollen. Kavala wird beschuldigt, die Proteste finanziert zu haben. Dieser hat das entscheiden bestritten. Das Europäische Gericht kam zu dem Schluss, für die Vorwürfe seien keine ausreichenden Beweise vorgelegt worden.

Mit den Protesten 2013 verteidigten Tausende Istanbuler zuerst einen kleinen Park, daraus entstanden die größten Proteste, die es bislang gegen die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan gab. Die Polizei ging hart gegen die Demonstranten vor, es gab mehrere Tote und viele Verletzte.

Sergey Lagodinsky, Vorsitzender der Türkei-Delegation des Europäischen Parlaments und außenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, der auch als Beobachter teilnahm, sagte: "Die Entscheidung, Kavala in Untersuchungshaft zu lassen, ist mehr als enttäuschend." Kavala gehöre keinen einzigen weiteren Tag ins Gefängnis. "Das ist kein gutes Omen für die Zukunft der türkischen Justiz."

Urteile des EGMR sind für die Türkei als Mitglied des Europarats eigentlich bindend. Im Fall des pro-kurdischen Politikers Selahattin Demirtaş, der seit rund drei Jahren inhaftiert ist, hatte Ankara eine Entscheidung der Straßburger Richter ebenfalls nicht umgesetzt. Diese hatten vergangenes Jahr die Freilassung von Demirtaş angeordnet. Erdoğan hatte daraufhin erklärt, er fühle sich nicht an das Urteil gebunden.

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