Oskar Lafontaine:In der Grauzone

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Der Bericht über eine angebliche Affäre des erkrankten Politikers Oskar Lafontaine hat eine alte Frage aufgeworfen: Wann dürfen Medien über höchst private Details berichten?

Nico Fried

Journalisten sind auch nur Menschen. Deshalb kann es vorkommen, dass ihr immerwährendes Interesse am, sagen wir, morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich in der Krankenversicherung mal abgelenkt wird vom Gerücht über die Liebesbeziehung eines Politikers. Oder von Spekulationen über eine schwere Krankheit.

Wann überwiegt ein öffentliches Interesse das Recht von Politikern auf Privatsphäre so, dass auch gegen den Willen der Betroffenen darüber geschrieben werden darf? Der Fall Oskar Lafontaine wirft eine alte Frage wieder auf. (Foto: Foto: ddp)

Das Privatleben der Politiker ist Gegenstand von Gesprächen in Redaktionen, unabhängig davon, ob es sich um Boulevard-Medien oder sogenannte seriöse Zeitungen handelt. Es ist auch Gesprächsthema in der Politik selbst und folgerichtig besonders häufig zwischen Politikern und Journalisten.

Ein Bericht über eine angebliche Affäre von Oskar Lafontaine hat nun mal wieder die Frage aufgeworfen, wann ein öffentliches Interesse das Recht von Politikern auf Privatsphäre so überwiegt, dass auch gegen den Willen der Betroffenen darüber geschrieben werden darf. Der Chefredakteur des Spiegel sagt, die Berichterstattung sei gerechtfertigt, weil das Private "höchst politische Folgen" habe.

Das ist ein plausibles und gängiges Argument, dessen einziger, aber bedeutsamer Fehler darin liegt, dass es Klarheit suggeriert, wo es sich in Wirklichkeit um eine Grauzone handelt.

Wann ist Privates politisch? Wann ist es sogar "höchst politisch" und sollte deshalb geschrieben werden? Privates kann eine politische Waffe sein, eine Erfahrung, die Willy Brandt vielleicht mit Horst Seehofer verbindet. Privates kann allein durch die Debatte, ob es politisch ist, zum Politikum werden, worüber Guido Westerwelle viel erzählen könnte. Privates kann offensichtlich politisch sein und trotzdem zunächst nicht an die Öffentlichkeit geraten, wie im Fall von Peter Struck, der als Verteidigungsminister einen Schlaganfall erlitt, was Journalisten wussten, aber nicht schrieben.

Der Fall Lafontaine hat nun eine besondere Note bekommen, weil der Linken-Chef mittlerweile eine Krebserkrankung öffentlich gemacht hat. Das lässt den Artikel über sein Privatleben peinlich erscheinen, obgleich der Vorwurf in diesem speziellen Punkt ungerechtfertigt ist, weil ja das eine das andere nicht widerlegt.

Die entscheidende und ganz allgemein gültige Frage lautet vielmehr, ob die im Wortsinne intime Kenntnis eines privaten Umstands einen politischen Vorwurf qualitativ verändert. Anders gesagt: Wiegt zum Beispiel ein Vorwurf der Wählertäuschung schwerer, wenn der Wähler über private Gründe im Detail Bescheid weiß, als wenn er nur weiß, dass es private Gründe gibt?

Das Argument, dass Privates berichtet werden darf, wenn es politische Folgen hat, ist eine Krücke, deren Stabilität davon abhängt, wie stark man sich darauf stützt. Letztlich liegt die Entscheidung beim Journalisten. Es ist seine Freiheit. Und seine Verantwortung.

Wer zu dem Ergebnis kommt, Privates sei politisch relevant, muss darüber berichten - sich dann aber auch kritisieren lassen. Das fällt ausgerechnet Journalisten manchmal schwerer, als selbst zu kritisieren.

© SZ vom 20.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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