Oskar Lafontaine im Interview:"Die SPD ist dabei, ein Eigentor zu schießen"

Für Oskar Lafontaine, Linken-Chef auf Abruf, geht es bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen auch um sein politisches Erbe.

Oliver Das Gupta

Die Linke steht vor einem schwierigen Führungswechsel, weil neben Lothar Bisky auch der Ko-Parteichef Oskar Lafontaine sein Amt im Mai abgibt. Bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen muss die Partei beweisen, ohne Lafontaine den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen. Für den Vorzeige-Linken aus dem Westen geht es um sein politisches Vermächtnis: Eine gesamtdeutsche Partei links von den Sozialdemokraten. sueddeutsche.de sprach mit dem früheren SPD-Chef und Finanzminister über die Ambitionen und Chancen seiner Partei in NRW, schwarz-gelben "Murks" und überaschende Gemeinsamkeiten von Linken und Liberalen.

Oskar Lafontaine, ddp

Linken-Chef Oskar Lafontaine zeigt sich vor der Landtagswahl in NRW angriffslustig: "Wir stehen im Wettbewerb mit allen anderen Parteien, auch mit SPD und Grünen".

(Foto: Foto: ddp)

sueddeutsche.de: Herr Lafontaine, CDU und FDP glauben, dass Nordrhein-Westfalen künftig von SPD, Grünen und Ihrer Linkspartei regiert werden könnte - diese Ansicht teilen Sie doch auch.

Oskar Lafontaine: Ja. Aber nur dann, wenn so der Sozialabbau im Bundesrat gestoppt wird. Schwarz-Gelb fürchtet sich vor der Schlüsselwahl in Nordrhein-Westfalen. Denn Deutschland blüht so einiges: Wenn CDU und FDP am 9. Mai gewinnen sollten, wollen Merkel und Westerwelle vermutlich vorschlagen, im Sozialhaushalt zu kürzen. Ein starkes Abschneiden der Linken ist die einzige Chance, soziale Grausamkeiten zu verhindern.

sueddeutsche.de: Sie wollen behaupten, SPD und Grüne würden soziale Kürzungen abnicken?

Lafontaine: Das beweisen die letzten Jahre. Die Grünen haben die Agenda 2010 mitgetragen, die SPD hat Hartz IV und die Rente mit 67 erfunden und ist mitverantwortlich für Praxisgebühr, Zuzahlungen und Zusatzbeiträge.

sueddeutsche.de: Rot-Grün ist seit 2005 nicht mehr an der Regierung, die heutige SPD-Führung geht inzwischen selbstkritisch mit der Agenda-Politik und der Rente mit 67 um.

Lafontaine: Die SPD schließt vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen nicht aus, mit Rüttgers zu koalieren und hat schon oft erklärt, mit FDP und Grünen unter Umständen eine Ampelkoalition bilden zu wollen. Das zeigt, dass die SPD ebenso wie die Grünen bereit ist, Grundsätze über Bord zu werfen, wenn es um die Macht geht.

sueddeutsche.de: Sie spielen auf Ihre Heimat an, das Saarland. Dort haben sich die Grünen mit CDU und FDP zusammengetan.

Lafontaine: Im Saarland waren die Grünen schon vor der Landtagswahl von einem Unternehmer mit FDP-Parteibuch eingekauft worden. In Nordrhein-Westfalen sind sie, hoffe ich, nicht gekauft. Aber sie liebäugeln massiv mit der Rüttgers-CDU - allen Affären zum Trotz. Dabei weist die Sponsoring-Affäre auf ein Megathema der parlamentarischen Demokratie hin. Die Frage lautet: Ist Politik käuflich?

sueddeutsche.de: Wie lautet Ihre Antwort darauf?

Lafontaine: Rüttgers' Leute haben bei interessierten Unternehmen Nähe zu einem Ministerpräsidenten gegen einen Batzen Geld angeboten. Unternehmer zahlen solch hohe Beträge nur, wenn sie Entgegenkommen erwarten - siehe die Mövenpick-Spende an FDP und Union. Deshalb fordert die Linke, wie in Frankreich, Spenden aus der Wirtschaft zu verbieten und die Spenden von Einzelpersonen zu begrenzen. Nebeneinkünfte von Amtsträgern durch Funktionen bei Verbänden und großen Unternehmen sollten ebenso nicht erlaubt sein. Schwarz-Gelb zeigt, wohin solche Verflechtungen führen.

sueddeutsche.de: Die eigentlichen Gegner der Linken heißen also inzwischen Union und FDP?

Lafontaine: Wir stehen im Wettbewerb mit allen anderen Parteien, auch mit SPD und Grünen.

sueddeutsche.de: Warum arbeiten Sie sich nach wie vor am eigenen Lager ab? Die Linke will regieren - und ohne die SPD wird sie das nicht schaffen.

Lafontaine: Es gibt keine linke Mehrheit in Deutschland ohne die SPD, das stimmt. Aber sie ergibt erst dann Sinn, wenn sich die SPD programmatisch erneuert und die Linke als den Partner begreift, mit dem sie allein den zerstörten Sozialstaat wieder aufbauen kann. SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft will die Linke aus dem Düsseldorfer Landtag heraushalten. Sie ist dabei, ein Eigentor zu schießen.

sueddeutsche.de: Die SPD will eben keine Stimmen an die Linke verlieren.

Lafontaine: Wenn die Linke nicht über fünf Prozent kommt, hat Frau Kraft nach den meisten Umfragen keine Chance, Ministerpräsidentin zu werden.

sueddeutsche.de: Hat sie das Zeug für diesen Job?

Lafontaine: Es kommt darauf an, was man unter diesem Job versteht. Wenn sie es auch als ihren Job ansieht, den Sozialabbau im Bundesrat zu verhindern, dann taktiert sie zurzeit sehr ungeschickt.

"Wir haben uns als erste der Wirklichkeit gestellt"

sueddeutsche.de: Frau Kraft erklärt, sie wolle mit den Grünen regieren.

Lafontaine: Ein Blick auf die Umfragen zeigt, dass das unwahrscheinlich ist. Frau Kraft sollte keine Luftschlösser bauen. Ministerpräsidentin wird sie nach allem was man sieht nur mit der Linken.

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sueddeutsche.de: Hannelore Kraft sagt, die Linke in NRW sei "regierungsunfähig" - ist das keine Absage?

Lafontaine: Umgekehrt wird ein Schuh draus. Die SPD kann man nur ans Steuer lassen - siehe Hartz IV und Agenda 2010 -, wenn die Linke auf dem Beifahrersitz Platz nimmt.

sueddeutsche.de: Der Entwurf für das Grundsatzprogramm Ihrer Partei enthält stramm linke Forderungen. Verschreckt die Linke nicht potentielle Polit-Partner, wenn Sie darauf pocht, Schlüsselindustrien zu verstaatlichen?

Lafontaine: Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie fernab von der Realität unsere politische Konkurrenz ist. In einer Zeit, in der Frau Merkel die Hypo Real Estate verstaatlicht hat, tut die CDU so, als ob die Forderung, den Bankensektor zu vergesellschaften, realitätsfern wäre. In einer Zeit, in der auch Merkel, Koch und Rüttgers eine Staatsbeteiligung zur Opel-Sanierung ins Gespräch gebracht haben, tut die Union so, als ob die die Staatsbeteiligung an Unternehmen, wenn die Linke sie fordert, den Untergang des Abendlandes bedeuten würde. Wir als Linke haben uns mit diesem Programmentwurf als Erste der Wirklichkeit gestellt.

sueddeutsche.de: Warum sollte der Staat direkt stärker die Wirtschaft steuern?

Lafontaine: Die Finanzwelt hat die Welt in ein Desaster auf Kosten der Steuerzahler gerissen, das darf nie wieder passieren. Der Bankensektor gehört unter staatliche Kontrolle, er muss wenigstens staatlich reguliert werden. Und unsere Kernforderung, die Belegschaften an ihren Unternehmen zu beteiligen, hatte früher sogar auch die FDP vertreten.

sueddeutsche.de: Wie das?

Lafontaine: In ihrem Freiburger Programm wollte sie die Belegschaften an ihren Unternehmen beteiligen.

sueddeutsche.de: Das ist fast 40 Jahre her.

Lafontaine: Aber heute noch richtiger als damals. Auch die FDP wollte in den siebziger Jahren den Zuwachs des Betriebsvermögens der Belegschaft geben, weil alles andere freiheitsgefährdend sei - so steht es in dem Text.

sueddeutsche.de: In der Linkspartei gibt es namhafte Mitglieder, die sich auch an der Sprache des Programms stören. Bodo Ramelow etwa kritisiert den Terminus "demokratisch kontrollierte Medien".

Lafontaine: Wir wollen auch bei den Medien Belegschaftsbeteiligungen und verbindliche Redaktionsstatute. Das verstehen wir unter der Demokratisierung der Medien.

"Schwarz-gelber Murks"

sueddeutsche.de: Auch manche Linken-Mitglieder halten nicht so viel von den Fähigkeiten der Parteifreunde an Rhein und Ruhr. Können Sie solche Zweifel nachvollziehen?

Lafontaine: Wenn Regierungsfähigkeit bedeutete, Sozialabbau voranzutreiben, das Gesundheitswesen zu verteuern, die Rente zu kürzen und Kriegseinsätze abzusegnen, dann wären wir tatsächlich nicht regierungsfähig. Wir verstehen unter Regierungsfähigkeit das Eintreten für Frieden und soziale Gerechtigkeit und für die Wiederherstellung des Sozialstaates.

sueddeutsche.de: Sie vermengen Landes- mit Bundespolitik: Bundeswehr-Einsätze werden in Berlin entschieden und nicht in Düsseldorf.

Hannelore Kraft (SPD, l.) und Sylvia Loehrmann ddp

Die Konkurrenz im linken Lager aus Sicht von Oskar Lafontaine: Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann, die Spitzenkandidatinnen von SPD und Grünen bei der NRW-Wahl

(Foto: Foto:)

Lafontaine: Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hat großen Einfluss auf die Bundespolitik. Hartz IV und anderer Sozialkahlschlag wäre ohne Zustimmung des Bundesrats nicht möglich gewesen. Und der 9. Mai sendet ein Signal, ob die Politik der Merkel-Westerwelle-Regierung für gut befunden wird oder nicht. Alle Umfragen deuten darauf hin, dass das Volk den schwarz-gelben Murks auch als Murks erkennt.

sueddeutsche.de: Die SPD will bei einem Wahlsieg doch auch die Muskeln spielen lassen: Hannelore Kraft wettert gegen das schwarz-gelbe Steuerkonzept, sie will den Ausstieg vom Atomausstieg blockieren und den Einstieg in die Kopfpauschale verhindern.

Lafontaine: Das schwarzgelbe Steuerkonzept, den Ausstieg aus dem Ausstieg und den Einstieg in die Kopfpauschale wollen auch wir verhindern, aber eins haben die Wähler in Nordrhein-Westfalen nicht vergessen: Die SPD hat bei der letzten Steuererhöhung munter mitgeschraubt ...

sueddeutsche.de:... die Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19 Prozentpunkte. Das liegt vier Jahre zurück.

Lafontaine: Aber auch damals hat die SPD heilige Schwüre geleistet, der Mehrwertsteuererhöhung nicht zuzustimmen. Nach der Wahl ist sie umgefallen. Reden und Handeln müssen eben übereinstimmen - dafür muss die SPD noch einiges tun. Die SPD muss sich von ihrer Politik des vergangen Jahrzehnts lösen: Glaubhaft, durch Taten ...

sueddeutsche.de: Momentan kann die SPD kaum Taten zeigen, denn sie regiert fast nirgends mehr in Deutschland.

Lafontaine: Bei der Abstimmung zum Afghanistan-Einsatz vor einigen Wochen hätte die SPD die Möglichkeit gehabt, nein zu sagen. Sie hätte sich dabei auf Willy Brandts berufen können, der sagte: "Krieg ist kein Mittel der Politik." Die SPD hat die Chance verpasst.

sueddeutsche.de: Sie rufen der SPD zu: 'Es gibt einen Weg zurück'?

Lafontaine: Die SPD muss wieder zur Partei der kleinen Leute werden.

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