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Osama bin Laden:Terror-Phantasien auf USB-Sticks

Lesezeit: 4 min

Bis zu seinem Tod brütete Osama bin Laden über die richtige Al-Qaida-Strategie: Für den Jahrestag von 9/11 wünschte er sich ein Blutbad. Diese Anweisungen entdeckten US-Ermittler auf den USB-Sticks und in Notizen, die in Abbottabad gefunden wurden. Im Hauptquartier der CIA durfte ein US-Abgeordneter Fotos von der Leiche des Terrorchefs sehen und sagt: "Er ist Geschichte."

Markus C. Schulte von Drach

Wie gefährlich Osama bin Laden als Organisator des Terrors zuletzt noch war, welchen Einfluss er auf die Pläne von Al-Qaida-Attentätern noch hatte, darüber herrschte in den vergangen Jahren Unklarheit. Zumindest im Westen entstand der Eindruck, der Gründer der Terrororganisation sei zwar noch ein Idol radikaler Islamisten - doch dieses Idol befand sich auf der Flucht und hatte wenig Möglichkeiten, Anschläge konkret zu planen und zu initiieren.

Noch im Januar 2010 hatte US-Präsident Barack Obama eine Tonbandaufnahme mit einer Botschaft des Terroristen dahingehend interpretiert. Bin Laden hatte den gescheiterten Anschlagsversuch eines Nigerianers auf ein US-Flugzeug Weihnachten 2009 als Al-Qaida-Aktion gepriesen. Diese Botschaft sei "ein Hinweis darauf, wie schwach er ist, da das nicht unbedingt von ihm organisiert wurde", erklärte der US-Präsident. Washington hatte den vermeintlichen Rückzug des Terror-Paten als Erfolg ihrer intensiven Jagd auf ihn gewertet.

Aus den Notizbüchern und Texten auf Bin Ladens Computern und USB-Speichern, die die Navy Seals bei ihrem Einsatz in Abbottabad beschlagnahmten, geht jedoch hervor, dass er sich selbst noch immer für mehr als nur eine Symbolfigur des Terrors hielt. Verschiedene US-Medien berichten, Bin Laden habe sich in zahlreichen handschriftlichen und digitalen Aufzeichnungen über die Doktrin al-Qaidas geäußert.

Auch enthält das Material die bereits zuvor bekanntgewordenen Hinweise auf Anschläge, die Bin Laden unter anderem für den zehnten Jahrestag von 9/11 empfohlen hatte. Das Pentagon hatte auf einer Pressekonferenz berichtet, das in Pakistan sichergestellte Material beweise: "Bin Laden war mehr als nur eine Leitfigur. Er war ein aktiver Führer, der seiner Gruppe strategische und taktische Anweisungen gegeben hat."

Die Nachrichtenagentur AP sowie die Washington Post haben nun von anonymen Quellen weitere Details über die Aufzeichnungen erfahren, die in einer geheimen CIA-Anlage im Norden des US-Bundesstaates Virginia übersetzt und analysiert werden.

Anweisung: Möglichst viele Amerikaner töten

Demnach schickte Bin Laden bis zuletzt seinen Gefolgsleuten Empfehlungen - sie sollten sich nicht nur auf Anschläge in New York City beschränken. Auch die Metropole Los Angeles und kleinere Städte sollten in Erwägung gezogen werden. Nicht nur auf Flugzeuge sollte man zielen, sondern auch auf Züge, und zwar am besten an besonderen Tagen wie dem 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, oder dem bevorstehenden zehnten Jahrestag des 11. Septembers 2001. Und vor allem, so der Wunsch Bin Ladens, sollten sie so viele Amerikaner wie möglich mit einem einzigen Anschlag töten.

Die Angriffe der vergangenen Jahre seien nicht ausreichend gewesen, stellte der Terrorführer fest. Tausende Opfer seien notwendig, etwas in der Größenordnung von 9/11, um die Politik der Amerikaner zu einem Rückzug aus der arabischen Welt zu bewegen. Auch sollte man versuchen, nicht nur Muslime, sondern auch Mitglieder anderer Gruppen zu rekrutieren, insbesondere Afroamerikaner und Latinos, die in den USA unterdrückt würden.

Seine Bemühungen richteten sich offenbar gegen die Strategie einiger Al-Qaida-Zellen, Anschläge auf Ziele etwa in Afghanistan oder Pakistan zu verüben. "Bin Laden sagt: 'Ihr müsst euch auf die USA und den Westen konzentrieren'", zitiert die Washington Post einen der Geheimdienstbeamten, die das Material aus Abbottabad untersuchen.

Die Kommunikation zwischen dem Terrorführer und einigen wenigen wichtigen Führern der Al-Qaida-Zellen in Jemen, Pakistan oder Nordafrika erfolgte offenbar über Speichermedien wie USB-Sticks, die von Kurieren transportiert wurden. Mehr als 100 solche Flash-Speicher und fünf Computer stellten die Navy Seals in Abbottabad sicher, die derzeit noch von Experten untersucht werden. Konkrete Ziele für Anschläge wurden bislang offenbar noch nicht entdeckt.

Zwar hatte das Pentagon bereits zuvor erklärt, das Material aus Abbottabad belege, "von welch grundsätzlicher Bedeutung die jüngste Operation [die Tötung Bin Ladens] für die Sicherheit unserer Nation war". Allerdings beweist es amerikanischen Sicherheitsbeamten zufolge nicht, dass Bin Laden tatsächlich in der Lage gewesen sei, Anschläge der Al-Qaida-Zellen zu koordinieren, berichtet AP.

Wirklicher Einfluss bleibt unklar

Es gebe noch nicht einmal Hinweise darauf, dass Bin Laden überhaupt wusste, wo genau zum Beispiel Aiman al-Zawahiri, al-Qaidas Nummer zwei, und andere wichtige Al-Qaida-Mitglieder sich aufhielten, schreibt die Washington Post. Die Struktur des Terrornetzwerks und die Sicherheitsbemühungen hätten seinen Anführer selbst im Dunkeln gelassen, erklärte ein US-Geheimdienstler der Zeitung.

Auch ist unklar, ob und wie sehr die lokalen Gruppen sich von ihm führen ließen. Gerade die inzwischen bedeutendste Zelle, al-Qaida im Jemen, hatte in der Vergangenheit auf Anschläge in kleinerem Maßstab gesetzt, von denen Bin Laden abgeraten hat. Und der Washington Post zufolge hatte Bin Laden keinen Kontakt mit dem mutmaßlichen Kopf der dortigen Gruppe, Anwar al-Awlaki, sondern nur mit anderen Terroristen, die er persönlich kannte.

Welche konkrete Bedeutung Bin Laden für die Terroristen der al-Qaida in ihrem "Heiligen Krieg" tatsächlich noch hatte, bleibt demnach weiterhin unklar. Dass die US-Regierung nun nicht müde wird zu betonen, welche Gefahr noch immer von ihm ausging, wirkt ein wenig wie der Versuch, die umstrittene Tötung des Terroristen im Nachhinein zu rechtfertigen.

Die pakistanische Regierung jedenfalls dürfte über die bisherigen Ergebnisse der Untersuchung erleichtert sein. Hinweise auf eine Verbindungen zwischen Bin Laden und dem Militär oder den Geheimdiensten des Landes sind noch keine aufgetaucht. Dass der Terrorführer sich ausgerechnet in einer Stadt mit einer Militärakademie und vielen pensionierten Offizieren nicht allzuweit entfernt von der Hauptstadt Islamabad verbergen konnte, hatte den Verdacht genährt, er hätte aus diesen Kreisen Hilfe erhalten.

Unterdessen legte die CIA nun offenbar doch Bilder der Leiche des Al-Qaida-Chefs vor - allerdings nur einigen Mitgliedern des US-Kongresses, zum Beispiel dem republikanischen Senator James Inhofe. Er sagte dem Sender CNN, er habe insgesamt 15 Bilder gesehen, die von Bin Ladens Leiche und der anschließenden Seebestattung gemacht wurden. Die Aufnahmen seien "ziemlich grausam", da Bin Laden einen Kopfdurchschuss erlitten habe. Der Republikaner beschrieb etwa, wie Gehirnmasse aus den Augenhöhlen des Terroristenchefs drang.

Indes habe er keinen Zweifel, dass es sich bei dem Mann auf den Bildern wirklich um Bin Laden handele. "Aber es war ohne Frage er. Er ist tot. Er ist Geschichte", sagte Inhofe.

Auch andere Abgeordnete, vor allem Mitglieder der Geheimdienst- und Verteidigungsausschüsse beider Parlamentskammern sollen nach Informationen der Nachrichtenagentur AFP die Fotos zu Gesicht bekommen.

Der demokratische Abgeordnete Dutch Ruppersberger werde noch in dieser Woche ins CIA-Hauptquartier nach Langley in Virginia reisen, um sich die Bilder anzusehen, sagte seine Sprecherin, genauso wie weitere Mitglieder der Geheimdienst- und Verteidigungsausschüsse beider Parlamentskammern.

An die Öffentlichkeit sollen die Aufnahmen weiterhin nicht gelangen, da US-Präsident Obama befürchtet, dies könnte als Präsentation einer Jagdtrophäe missverstanden werden. AP hat nun ihre Veröffentlichung im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes gefordert. Inhofe sprach sich dafür aus, zumindest die Bilder der Bestattung zu zeigen. Diese zeigen ihm zufolge, wie die Leiche gewaschen und für die Bestattung vorbereitet wird.

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