Süddeutsche Zeitung

Ortstermin:Couscous und Kopftuch

Am Tag der offenen Moschee wird vielerorts klar, was den Dialog zwischen Muslimen und ihren Besuchern vereinfacht - und was ihn komplizierter macht.

Von Maximilian Ferstl, Penzberg

Wenn Gertrud Riedel zu Hause in Penzberg Besuch empfängt, schlägt sie am Ende gerne einen Spaziergang zur Moschee vor. Der quaderförmige Bau macht einiges her mit der großen Glasfront und dem schlanken Minarett. Der Besuch ist dann meistens angemessen beeindruckt. Reingegangen ist Gertrud Riedel bisher aber noch nie.

Am Mittwoch steht Riedel an einem der Stehtische im sehr vollen Aufenthaltsraum der Penzberger Moschee. Auf den Tischen stehen Teller mit ausgespuckten Olivenkernen, die Menschen trinken schwarzen Tee, den sie vorher mit viel Wasser verdünnt haben, weil er sonst bitter schmeckt. Die Penzberger Moschee hat, wie etwa 900 weitere in Deutschland, zum Tag der offenen Moschee eingeladen, mehrere Zehntausend Besucher verzeichnen die Veranstalter bis zum Abend. Nichtmuslime bekommen von Muslimen den Islam erklärt; wie sie beten, wie sie leben. Am Ende wird gemeinsam gegessen. "Der Couscous ist überragend", findet Riedel.

Der Tag der offenen Moschee ist ein großes, gegenseitiges Beschnuppern: Es wird gefragt, debattiert, selten gestritten. "Wir müssen uns besser kennenlernen", findet Rafet Öztürk, Leiter der Arbeitsgruppe beim Koordinationsrat der Muslime, dem Veranstalter. Dass der Tag der offenen Moschee mit dem Tag zusammen fällt, an dem Deutschland zusammenwuchs, ist gewollte Symbolik. Im Idealfall soll auch hier eine Einheit entstehen.

"Gerade erleben wir eine Geburtswehe", sagt Rafet Öztürk. Er würde "die politische Großwetterlage" am liebsten ausblenden. Aber das fällt schwer, wenn das Klima rauer wird. Wenn in Chemnitz Rechtsextreme Jagd auf Menschen machen, die sie für Migranten halten. Wenn ein Innenminister als erste Amtshandlung erklärt, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Wenn die AfD schrill vor der Islamisierung des Landes warnt - und damit bei der Landtagswahl in Bayern triumphieren könnte. Man müsse hart arbeiten, um Vorurteile auszuräumen, sagt Öztürk. "Man kann nicht sagen, dass unser Ziel schon erreicht ist."

"Wir müssen bewusst machen, dass wir Teil der Gesellschaft sind", sagt ein Islamvertreter

Zum Beispiel die Sache mit dem Kopftuch. Das will Gertrud Riedel jetzt noch wissen. Sie war vor vier Wochen in Iran, wo das Kopftuch per Gesetz vorgeschrieben ist. In Deutschland finden manche, das Kopftuch gehöre per Gesetz verboten. "Müssen muslimische Frauen Kopftücher tragen?" Nun ja, sagt Nermina Idriz, die Referentin für Bildung in der Penzberger Gemeinde. Einerseits schon, der Koran schreibe das so ungefähr vor. Andererseits sei es jeder Frau selbst überlassen. Früher habe ihre Mutter sie bedrängt, ein Kopftuch zu tragen. Diesen Zwang habe sie gehasst. Heute trägt sie eines - weil sie es jederzeit abnehmen könnte. Es sei eben manchmal kompliziert.

Gertrud Riedel schaut sich im Raum um. An den Tischen sitzen Frauen mit und ohne Kopftuch. Man sieht eine Jacke der örtlichen Feuerwehr; die katholischen Pfadfinder sind aus München angereist. "Alle, die hier sind, sind offen", glaubt Riedel. "Alle, die kommen, sind uns wohlwollend eingestellt", sagt Idriz. Kritiker kämen sehr selten. Der Tag der offenen Moschee bringt diejenigen zusammen, die reden wollen. Aber auch nur die.

Mittwochmittag, Kaufbeuren. Recep Benek duckt sich unter einem Pavillon. Es regnet, die Plätzchen auf den Tellern liegen unberührt da. Die Türen der Moschee stehen seit einer Stunde offen, eintreten wollte bisher keiner. "Ich bin überrascht", sagt Benek, der zweite Vorsitzende des türkisch-islamischen Vereins. Monatelang hatten die Kaufbeurer über den Islam debattiert, weil die örtliche Gemeinde eine neue Moschee bauen wollte, größer, repräsentativer, mit 21 Meter hohem Minarett. Es hatte großen Widerstand gegeben, eine Initiative sammelte Unterschriften, die AfD machte mobil. Am Ende stimmten die Kaufbeurer gegen den Neubau auf kommunalem Grund. "Wir sind seit über 40 Jahren hier", sagt Benek. Das Schlimmste, was passiere, seien Nachbarn, die schlechtes Parkverhalten monierten. Er hatte gehofft, dass die Gegner des Projekts vorbeikommen würden. Es kam keiner. Die Kaufbeurer Moschee liegt in einem Wohngebiet, ein ehemaliges Mehrfamilienhaus. Wer nicht Bescheid weiß, läuft vorbei.

"Wir müssen bewusst machen, dass wir Teil der Gesellschaft sind", sagt Rafet Öztürk vom Koordinationsrat.1997 hatte der Zentralrat der Muslime in Deutschland, einer der vier großen islamischen Organisationen in Deutschland, seine Gemeinden dazu aufgerufen, am selben Tag zur selben Zeit ihre Räume "für nichtmuslimische Mitbürgerinnen und Mitbürger" zu öffnen. Es war ein Angebot zum Dialog, verbunden mit der Absicht, auf die Diskriminierung hinzuweisen, die Muslime im Alltag erleben. Dem Aufruf schlossen sich etwa 600 Moscheen an. So fing es an.

Inzwischen hat sich der Tag der offenen Moschee etabliert. Er ist gewachsen, mehr Moscheen, mehr Interessierte. "Wir sind mit jedem Jahr professioneller geworden", sagt Öztürk. Seit 2007 wird der Tag der offenen Moschee zentral vom Koordinationsrat der Muslime in Deutschland ausgerichtet, einer Art Forum der vier großen islamischen Organisationen. Es gibt eine eigene Internetseite und eine schicke Broschüre. Jedes Jahr steht unter einem Motto, in diesem Jahr geht es um Religiosität.

Rafet Öztürk macht sich keine Illusionen. Ein Tag allein kann zur Integration beitragen, den Prozess tragen könne er nicht. Er sagt aber auch: "Einen anderen Weg gibt es nicht."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4154505
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 04.10.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.