Ob der Orlando-Attentäter Omar Mir Seddique Mateen wirklich Gefolgsmann des Islamischen Staats (IS) und im Auftrag oder als ein "einsamer Wolf" der Terrormiliz gehandelt hat, wird sich vielleicht nie klären lassen. Dass er dem FBI als Sympathisant bekannt war, spricht für einen zumindest losen Kontakt zum IS.
Dass er vor dem Massaker im Schwulen- und Lesben-Club Pulse bei der Polizei angerufen und sich als IS-Mann dargestellt hat, könnte aber auch dazu gedient haben, die eigene Person vor dem Hintergrund einer erkennbar sinnlosen Tat zu erhöhen: Wer vom IS kommt, wird in den Medien nach so einer Tat nicht so einfach als gestörter, geisteskranker Schwulenhasser hingestellt werden, sondern fast automatisch zu einer Facette des Jahrhundertphänomens militanter Islam.
Mateen könnte ein von Gewaltphantasien getriebener Homosexuellenhasser gewesen sein: Wer "sehr ärgerlich" wird, wenn er sieht, wie sich zwei Männer auf der Straße küssen, - das hat Omars Mateens Vater über seinen Sohn erzählt - der hat ein Problem, das über Glaubens- oder Geschmacksfragen hinausgeht. Möglicherweise war der Attentäter, ob mit oder ohne Verbindung zum IS, im psychiatrischen Sinne krank. Seine Ex-Frau beschreibt ihn als "gewalttätig und psychisch instabil". Als Mann, der seine Frau schlägt, weil das Essen nicht fertig oder die Wäsche nicht gemacht worden ist, sodass sie sich aus Angst vor ihm scheiden lässt.
Schießerei in Orlando:Warum Orlando kein Angriff auf die offene Gesellschaft war
Die Bluttat von Orlando galt einer bestimmten Gruppe, einer bestimmten Lebensweise. Wer das bestreitet, sieht nicht, dass Homophobie noch immer alltäglich ist. Auch in Deutschland.
Dem Islamischen Staat können die Motive Mateens bei seiner Tat mit 49 Todesopfern indes völlig gleichgültig sein. Ein Schwulen- und Lesbentreff, das erfüllt alles an vermeintlicher Sünde, was die Fanatiker predigen und aus dem Koran herauslesen wollen. Warum auch immer einer wie Mateen mordet und Terror verbreitet, er ist dem IS als Trittbrettfahrer oder selbsternannter Gefolgsmann und Kämpfer ebenso willkommen wie einer, der seinen Treueeid schon vor langem abgelegt hat. Und wenn er dann auch noch solch ein Ziel angreift, hat der IS alles erreicht, was er erreichen will.
Dafür kann, aber muss einer wie Mateen nicht in den Terrorschulen und Ausbildungslagern im Irak oder in Syrien gewesen sein. Dafür muss er nicht einmal engen Kontakt zum Kalifat gehabt habe. Es reicht, wenn er in der Dunkelwelt der Dschihadisten-Chatrooms mit ein paar anderen Sympathisanten gesprochen oder in einer Hinterzimmer-Moschee von einem Prediger oder einem anderen Besucher gezielt aufgehetzt worden ist.
Es braucht nicht zwingend Hintermänner
Die IS-Propaganda funktioniert auch ohne Dschihad-Erfahrung. Die Organisation flutet das Internet seit Jahren mit ideologischen Pamphleten und grausigen Videos von Kämpfen und Hinrichtungen, lockt so junge Männer und Frauen aus der islamischen Welt, aus Europa und aus den USA und Kanada an. In Syrien oder im Irak werden die meisten als Kämpfer oder Selbstmordbomber zum Kanonenfutter.
Nur einzelne werden gezielt darauf abgestellt, den Terror bis hin zum Feind in Staaten der islamischen Welt wie die Türkei und eben auch im Westen zu bringen. Deren Terrorakte werden dann von Netzwerken mit organisiert und begleitet, wie in Brüssel und Paris. Sie funktionieren aber ebenso als Selbstläufer. Für einen Anschlag wie den in Orlando braucht es nicht zwingend Hintermänner. Es bedarf nur der Waffen und eines Täters, der seine eigene Tat nicht überleben will. All das dient dem Kalifat: Je mehr Terror, desto erfolgreicher fühlen sich die Militanten, desto eher werden sie auch zu einem ernst zu nehmenden Faktor der Weltpolitik.
Der IS mag zu Beginn seiner Existenz betont haben, dass er sich auf die Schaffung und Umsetzung eines Kalifats und damit Gottesstaates in seinem Herrschaftsgebiet konzentriert. Der nächste Schritt zum Terror auch außerhalb des Kalifats war aber fast zwingend: Selbst die grausigen Bilder von Kämpfen, Hinrichtungen und Massenerschießungen irgendwo in Syrien oder dem Irak verlieren im YouTube-Zeitalter ihren Reiz. Der IS bedarf der dauernden Erwähnung durch eine neue, schockierende Tat und damit der Werbung möglicher Anhängern.
Wo Terror das Ziel ist, bleiben Form, Ort und Opfer gleichgültig.
Die Gründe für die Anschläge außerhalb des Nahen Ostens sind allerdings auch den militärischen Niederlagen geschuldet, die die Kalifats-Kämpfer in den vergangenen Monaten haben einstecken müssen: Auch deshalb hat der IS hat eine zweite Front eröffnet. Denn die Allianz aus westlichen und arabischen Staaten bombardiert die Miliz in ihrem" Kalifat" ununterbrochen. Russische und syrische Jets greifen sie - im Namen des syrischen Herrschers Baschar al-Assad - in letzter Zeit auch häufiger an. Auch am Boden gerät der IS ins Hintertreffen, die irakische Armee hat ihn, unterstützt von Schiitenmilizen und mit Begleitung von US-Elitesoldaten, aus einzelnen Städten des Zentralirak bereits vertrieben.
In Syrien gestaltet sich das Bild ähnlich, nur dass der syrischen Armee russische und iranische Kräfte helfen und die Amerikaner ihre Spezialkräfte lieber an der Seite einer Kurden-Miliz kämpfen lassen. Die Idee, auch in Europa und den USA Terror zu verbreiten, wäre irgendwann auch ohne die militärischen Rückschläge umgesetzt worden. Die Ablehnung der westlichen Werte, der Kultur und der Lebensformen ist so umfassend, dass der IS hier Gewalt verbreiten muss. Ein Schwulen- und Lesbenclub ist die die wohl radikalste Verneinung dessen, was sich die Pseudoreligiösen als verwerflich auf die Fahne geschrieben haben.
Zudem hat der IS schon früh erklärt, dass man "Rom erobern" und die Christen dort töten werde. Ob Rom oder Orlando, ob mit Kämpfern oder mit Bomben und Amokschützen, ob betende Christen, Juden oder eben welcher Religion auch immer anhängende Lesben und Schwule, das ist egal: Wo Terror das Ziel ist, bleiben Form, Ort und Opfer gleichgültig.