Organspenden:Solidarität per Gesetz

Experten unterstützen Spahns Reformideen zur Organspende - und damit die sogenannte doppelte Widerspruchslösung. Die Befürworter einer ausdrücklich erklärten Zustimmung zur Organentnahme melden erhebliche Bedenken an.

Im Ringen um mehr Organspenden in Deutschland wird unter Experten viel Unterstützung für eine tiefgreifende Reform deutlich. Mehrere geladene Organisationen und Initiativen sprechen sich in Stellungnahmen für eine Anhörung im Bundestag für eine "doppelte Widerspruchslösung" aus, die eine Abgeordnetengruppe um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) anstrebt. Demnach sollen alle Volljährigen als Organspender gelten. Man soll dazu aber später Nein sagen können, ansonsten wäre auch noch bei Angehörigen nachzufragen. Dagegen wenden sich unter anderem die beiden Kirchen. Bisher sind Organentnahmen nur bei ausdrücklich erklärter Zustimmung erlaubt.

Die Bundesärztekammer erklärt in ihrer Stellungnahme für die Anhörung im Gesundheitsausschuss, es sei "seit zehn Jahren keine durchschlagend positive Entwicklung der Spenderzahlen" zu verzeichnen. Es sei an der Zeit, den Aspekt der Organspende als solidarische und auf Gegenseitigkeit beruhende Gemeinschaftsaufgabe durch die doppelte Widerspruchslösung gesetzlich eindeutig abzubilden. Diese zwinge niemanden dazu, Organe zu spenden, sagte Ärztepräsident Klaus Reinhardt. Sie nehme Menschen aber in die Pflicht, sich für oder gegen eine Organspende zu entscheiden.

Die großen Kirchen melden "erhebliche rechtliche und ethische Bedenken" gegen eine Widerspruchslösung an und unterstützen einen anderen Vorschlag einer Gruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock. Dieser sehe "behutsame Modifikationen" im System vor, erklären die evangelische und die katholische Kirche. Sie seien geeignet, "das Vertrauen in die Organspende zu erhöhen und Menschen zu befähigen, eine informierte Entscheidung zu treffen". Der Entwurf sieht vor, alle Bürger mindestens alle zehn Jahre beim Abholen des Ausweis auf das Thema Organspende anzusprechen. Dazu soll ein bundesweites Online-Register gehören, in dem man seine Entscheidung für oder gegen eine Spende eintragen und ändern kann. Zudem sollen Hausärzte bei Bedarf alle zwei Jahre informieren.

Fast 10 000 Menschen warten auf ein Organ. Die Zahl der Spender lag 2018 bei 955

Die Deutsche Stiftung Organtransplantation gibt zu bedenken, dass bei dieser Vorgehensweise aber eine mehrjährige Umsetzungszeit zu erwarten sei. Eine von Gesellschaft und Politik getragene Widerspruchslösung gäbe "ein klares Signal an die Bevölkerung im Hinblick auf die Organspende". Dafür spricht sich auch die Stiftung Eurotransplant aus, die für die Zuteilung von Spenderorganen in acht europäischen Ländern zuständig ist. Die Einführung der Widerspruchslösung sei nötig "zum Erhalt der Solidarität" im Verbund. Vom kommenden Jahr an hätten sie alle Eurotransplant-Länder eingeführt - außer Deutschland. Auch die Deutsche Transplantationsgesellschaft wirbt dafür.

Dagegen argumentiert der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen werde eingeschränkt. Menschen könnten sich zur Organspende gedrängt fühlen, was die Vertrauenskrise verschärfe. Der Erlanger Theologe Peter Dabrock warnt, die Widerspruchslösung sei auch mit Blick auf Sorgen der nächsten Angehörigen und die Auswirkungen auf die Gesellschaft "schädlich und damit insgesamt unverhältnismäßig".

Über die beiden Gesetzentwürfe soll der Bundestag voraussichtlich noch in diesem Jahr entscheiden. Auch die AfD hat einen Antrag vorgelegt. Ziel ist es, angesichts von fast 10 000 Menschen auf den Wartelisten zu mehr Spenden zu kommen. Die Zahl der Spender war nach langem Abwärtstrend 2018 wieder gestiegen, auf 955. Von Januar bis August dieses Jahres waren es 614 Spender - gegenüber 650 im selben Zeitraum des Vorjahres.

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