Organspendegesetz:Ringen im Bundestag

In einer ethischen Orientierungsdebatte diskutieren Abgeordnete über ein Modell, bei dem jeder Bürger automatisch Spender wird, wenn er kein Veto einlegt.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Die Abgeordneten des Bundestags haben am Mittwoch in einer offenen Orientierungsdebatte über Organspenden diskutiert. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte vorgeschlagen, eine sogenannte Widerspruchslösung einzuführen, bei der jeder Mensch automatisch zum Spender wird, der zu Lebzeiten nicht ein Veto einlegt - außer, seine Angehörigen widersprechen noch nach seinem Tod. Dies sei vor allem eine "Einladung zur Entscheidung", sagte er, aber kein Zwang. Den Bürgern gehe bloß das Recht verloren, "sich keine Gedanken zu machen".

Unterstützung für seine Idee bekam Spahn unter anderem von SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, der Linken-Politikerin Petra Sitte und Georg Nüßlein von der CSU. "Für Christenmenschen ist die Nächstenliebe nicht der Ausnahmefall, sondern der Normalfall", sagte der. Doch weil diese zweieinhalbstündige, ethische Debatte ohne Fraktionsdisziplin geführt wurde, eröffnete sie Spahns Parteikollegin Karin Maag mit einer deutlichen Kritik an seinem Vorstoß. "Wir müssen die Organspende als bewusste und freiwillige Entscheidung beibehalten", sagte sie.

So wie Karin Maag lehnten viele Redner aus der AfD und der FDP eine Widerspruchslösung grundsätzlich ab. Sie hebele "den Grundsatz aus, dass jeder medizinischen Behandlung zugestimmt werden muss", argumentierte FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus. Der AfD-Abgeordnete Paul Viktor Podolay forderte, "mehr auf Gesundheitsvorsorge zu setzen" und die Menschen "über gesunde Ernährung aufzuklären". So reduziere man die Zahl der Menschen, die ein Spenderorgan benötigten. Auch die früheren Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und Ulla Schmidt (SPD) kritisierten Jens Spahns Widerspruchsmodell. Auch Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen hätten ein Recht auf Selbstbestimmung, sagte Schmidt. Doch sie seien zu so einem Veto gar nicht in der Lage.

Die Parteivorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, stellte gemeinsam mit der Linken-Vorsitzenden Katja Kipping und anderen Abgeordneten einen eigenen Vorschlag vor. Demnach könnten Ämter jedes Mal, wenn Bürger ihren Reisepass oder Personalausweis beantragen, abfragen, ob sie Organe spenden wollen. Dies sei ein Modell der verbindlichen, regelmäßigen Frage. Das Verfahren würde Menschen auch ermöglichen, im Lauf des Lebens ihre Meinung zu ändern, sagte Kipping, oder ihre Entscheidung offenzulassen. Die persönlichen Angaben sollen in einem zentralen Melderegister hinterlegt werden. Wichtig sei, dass auch einkommensärmere und bildungsfernere Schichten Informationen bekommen. Der CSU-Abgeordnete Stephan Pilsinger befürwortete ebenfalls eine solche Frage, etwa bei der Ausstellung des Führerscheins.

Grüne und Linke stellen Spahns Vorschlag eine andere Idee entgegen: regelmäßiges Abfragen

Einige Abgeordnete berichteten am Rednerpult über das Schicksal ihrer eigenen Familie. Etwa vom verstorbenen Vater, der sich gewünscht hatte, seinen Körper der Forschung zu spenden. Oder von eigenen Erlebnissen auf der Krebsstation für Kinder. Insgesamt sprach sich ein Großteil von ihnen gegen die Widerspruchslösung aus. Einige, die sich zu Wort meldeten, waren noch unentschieden. Viele Redner lobten allerdings ein neues Gesetz aus dem Gesundheitsministerium, das künftig die Abläufe in den Kliniken verbessern soll.

Dem Meinungsaustausch soll im kommenden Jahr ein Beschluss folgen. Spahn bot den Abgeordneten erneut an, dass die Beamten seines Ministeriums ihnen beim Schreiben eigener Gesetzesentwürfe helfen könnten.

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