BundestagNeue Initiative für Widerspruchsregelung bei Organspende

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In einer Klinik wird eine Niere transplantiert.
In einer Klinik wird eine Niere transplantiert. (Foto: Waltraud Grubitzsch/picture alliance/dpa/dpa-Zentral)

Die Wartelisten für lebenswichtige Organe sind lang. Nun gibt es einen neuen Vorschlag, um das zu ändern. Was die einzelnen Modelle bedeuten.

Eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten will einen neuen Anlauf nehmen, um bei der Organspende eine Widerspruchslösung durchzusetzen. Das parteiübergreifende Bündnis stellte am Montag in Berlin einen Antrag vor, nachdem jeder volljährige und einwilligungsfähige Mensch zum Organspender würde, der dem zu Lebzeiten nicht widersprochen hat. Aktuell ist es andersherum: Potenzieller Organspender ist, wer selbst zu Lebzeiten zustimmt oder wessen Angehörige dies nach dem Tod tun.

„Wir sind schlicht und ergreifend nicht zufrieden mit den Zahlen, die uns vorliegen“, sagte die SPD-Abgeordnete Sabine Dittmar bei der Vorstellung des Gruppenantrags. In Deutschland warteten nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation Ende vergangenen Jahres knapp 8 400 Patientinnen und Patienten auf ein Spenderorgan. Dem standen 2 900 Organspenden im Jahr 2023 gegenüber. Seit Jahren stagnierten Organspenden auf einem wirklich niedrigen Niveau, sagte Dittmar. „Täglich versterben uns drei Menschen auf der Warteliste.“

Dittmar stellte den Entwurf mit Abgeordneten von CDU, Grünen, FDP, CSU und Linken vor. 21 Parlamentarier und Parlamentarierinnen haben den Antrag bislang mitgezeichnet, darunter Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und sein Amtsvorgänger Jens Spahn (CDU), die sich bereits 2020 für die Einführung der Widerspruchsregelung eingesetzt hatten, damals aber im Bundestag gescheitert waren. „Ohne dass wir allen zumuten, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, werden die Organspendezahlen nicht signifikant steigen“, sagte Lauterbach. Wer das „Sterben auf der Warteliste“ beenden wolle, sollte die Bundestagsinitiative unterstützen.

Der Grünen-Abgeordnete Armin Grau sagte, Angehörigen werde die Last genommen, den mutmaßlichen Willen Verstorbener zu interpretieren. Die Gruppe strebt eine Entscheidung über die Initiative im Bundestag noch in dieser Wahlperiode möglichst bis zum Frühjahr 2025 an, wie die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann sagte. Zu erwarten sei, dass es auch noch einen anderen Antrag geben dürfte. Vorgesehen sind dann eine offene Debatte im Bundestag und Expertenanhörungen.

„Wer schweigt, stimmt nicht automatisch zu“

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte der Augsburger Allgemeinen: „Wer schweigt, stimmt nicht automatisch zu.“ Grundsätzlich sei jeder medizinische Eingriff ohne Zustimmung des Betroffenen eine Körperverletzung. In den Vorzeigeländern Europas mit deutlich mehr Organspendern hätten erst organisatorische und strukturelle Maßnahmen zu steigenden Zahlen geführt. „Deshalb braucht es jetzt finanzielle Anreize für Krankenhäuser, ein effizientes Transplantations-Netzwerk, Bildungsprogramme und die Schulung von Koordinatoren im Umgang mit Angehörigen.“ Die FDP-Rechtspolitikerin Katrin Helling-Plahr bezeichnete die Widerspruchslösung im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur als massiven „Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen“.

In einem Online-Register wurden bisher etwa 130 000 Erklärungen eingetragen, wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte mitteilte. Nutzer ab dem Alter von 16 Jahren können dokumentieren, ob sie zu einer Organspende nach dem Tod bereit sind oder nicht. Die Angaben sind freiwillig, kostenlos und jederzeit änderbar. Erklärungen auf Papier, beispielsweise in Organspendeausweisen, sind daneben weiterhin möglich.

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Von diesem Montag an kann jeder in einer zentralen Datenbank hinterlegen, ob er im Todesfall Organe spenden will - oder auch nicht. Was man über die elektronische Kartei wissen sollte.

Von Angelika Slavik

In der Debatte um Organspenden gibt es mehrere Ansätze. Die wichtigsten Begriffe im Überblick:

Zustimmungslösung: Organe und Gewebe können nur entnommen werden, wenn die verstorbene Person zu Lebzeiten einer Organspende ausdrücklich zugestimmt hat. Die Organspende soll damit eine bewusste und freiwillige Entscheidung sein.

Erweiterte Zustimmungslösung: Eine fehlende Erklärung wird weder als Ablehnung noch als Zustimmung gewertet, sondern lediglich als Nichterklärung. Deshalb werden die nächsten Angehörigen nach dem mutmaßlichen Willen der verstorbenen Person gefragt. Wenn sie einer Entnahme zustimmen, so ist diese zulässig. Der Wille der verstorbenen Person hat aber – falls er vorliegt – in jedem Fall Vorrang gegenüber demjenigen der nächsten Angehörigen.

Entscheidungslösung: Bei dieser Ausweitung der erweiterten Zustimmungslösung sind die Krankenkassen und Versicherungen verpflichtet, ihren Kunden regelmäßig Informationen über die Organspende zukommen zu lassen. Alle Bürger sollen sich auf der Grundlage fundierter Informationen mit der eigenen Spendebereitschaft auseinandersetzen.

(Erweiterte/Doppelte) Widerspruchslösung: Der Staat geht in diesem Fall davon aus, dass grundsätzlich jeder Bürger ein potenzieller Organspender ist, falls er nicht ausdrücklich widersprochen hat. Schweigen wird also als Zustimmung gewertet. Bei einer erweiterten oder doppelten Widerspruchslösung kommen auch die Angehörigen ins Spiel: Hat der Patient keine schriftliche Äußerung hinterlassen, werden sie befragt, wie der Betroffene zur Organspende stand. Anders als bei der Zustimmungsregelung haben sie selbst allerdings kein Mitentscheidungsrecht.

Reziprozitätslösung: Wer sich selbst als potenzieller Spender registrieren lässt, erhält im Krankheitsfall im Gegenzug bevorzugt selbst ein Organ. Das könnte den Anreiz erhöhen, sich als Spender registrieren zu lassen.

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