Süddeutsche Zeitung

Organspende:"Zuerst zählt der Wille des Patienten"

Lesezeit: 4 min

Wie bewegt man Angehörige von Hirntoten zur Organspende? Sabine Moos, Transplantations­beauftragte am Uniklinikum Gießen, über extreme Situationen.

Interview von Michaela Schwinn

Im kommenden Jahr könnte die Organspende in Deutschland neu geregelt werden. Wird künftig jeder ein Spender, der nicht widerspricht? Wird man sich entscheiden müssen, wenn man einen Personalausweis beantragt? All das ist noch ungewiss. Ein Vorhaben aber hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schon auf den Weg gebracht: Er will Transplantationsbeauftragte stärken. Diese machen Spender ausfindig, sprechen mit Angehörigen, trösten und erklären. "Das ist richtig", sagt Sabine Moos, 54, Transplantationsbeauftragte am Uniklinikum Gießen, "denn wir arbeiten täglich in Extremsituationen".

SZ: Frau Moos, ein Schwerverletzter kommt in die Notaufnahme, die Ärzte versuchen ihr Möglichstes, aber das Gehirn ist zu stark geschädigt. Dann beginnt Ihre Arbeit, oder?

Sabine Moos: Nicht ganz. Die meisten glauben, ein Mensch kommt nach einem Motorradunfall oder einem Schlaganfall ins Krankenhaus, dann wird der Hirntod festgestellt und danach werden sofort die Organe entnommen. Tatsächlich aber kommen diese Patienten immer auf die Intensivstation, dort wird alles versucht, um ihr Leben zu retten. Erst nach zwei oder drei Tagen, wenn auch wirklich feststeht, dass das Gehirn unumkehrbar geschädigt ist, beenden wir die Therapie. Erst dann fragen wir: Wollte der Patient spenden oder nicht? Das müssen wir mit den Angehörigen klären.

Solche Gespräche sind sicher schwierig.

Es ist eine ungünstige Frage, zu einem völlig ungünstigen Zeitpunkt. Die Familie hat schon genug damit zu tun, den Tod ihres Partners, Geschwisters oder Kindes zu verarbeiten und dann kommen wir noch mit dem Thema Organspende. Solche Situationen sind emotional sehr schwierig, sowohl für die Angehörigen, aber auch für uns Ärzte. Dazu kommt, dass Menschen, die hirntot sind, nicht wie tot wirken. Ihr Körper ist warm, der Brustkorb hebt und senkt sich durch die Maschinen. Das macht es nicht leichter.

Haben Sie in solchen Situationen schon einmal darauf verzichtet, nach der Organspende zu fragen?

Es gab einen Fall, da hätte sich wohl niemand getraut nachzufragen. Ein Mädchen hatte nach einer Mandel-OP, also einem absoluten Routineeingriff, eine Blutung und starb. Für die Eltern kam das völlig überraschend. Hier habe ich mich schon gefragt: Will ich ihnen das jetzt auch noch zumuten? Dann aber passierte etwas, was meine ganze weitere Arbeit geprägt hat.

Was denn?

Die Eltern sind von sich aus auf mich zugekommen. Im Klinikflur hatten sie ein Plakat über Organspende hängen sehen. Sie wollten, dass ihre Tochter Spenderin wird. Seitdem frage ich immer nach. Denn wenn ich das nicht tue, nehme ich der Familie automatisch die Chance, sich zu entscheiden.

Sicher reagieren aber nicht alle Angehörigen so, oder?

Nein, manche sind wütend, sie sind emotional und fragen: Wie können Sie jetzt diese Frage stellen? Wieso lassen Sie uns nicht einfach in Ruhe? Dann versuche ich zu erklären, dass ich dazu verpflichtet bin. Und ganz wichtig: Dass jede Antwort vollkommen in Ordnung ist, ob sie nun Ja lautet oder Nein.

Angenommen es liegt ein Organspendeausweis des Verstorbenen vor. Er wollte spenden, seine Familie ist aber strikt dagegen. Was passiert dann?

Das habe ich nur einmal erlebt. Das war unglaublich schwierig. Weil zuerst zählt der Wille des Patienten, das ist das Wichtigste. Rein rechtlich hätten wir die Organe entnehmen können. Aber die Familie muss mit der Entscheidung weiterleben. In dem Fall, den ich erlebt habe, hätte die Mutter das nicht akzeptieren können, also haben wir von einer Entnahme Abstand genommen. In so einer Situation können wir eigentlich nur das Falsche machen.

Was ist, wenn es keinen Nachweis gibt?

Genau das nämlich ist ein viel größeres Problem, denn die meisten haben keinen Spenderausweis. Dann frage ich nach, ob über das Thema gesprochen wurde, ob es einen Anhaltspunkt gibt. Denn auch hier gilt: Was wollte der Verstorbene? Entscheiden aber müssen am Ende die Angehörigen.

Und wenn sie sich nicht einig sind?

Das kommt öfter mal vor. Natürlich gibt es eine Hierarchie: Menschen, die der Personen am nächsten standen, haben mehr zu sagen - weil sie diese wohl auch am besten kannten. Aber auch hier gibt es Ausnahmen.

Zum Beispiel?

Wir hatten mal eine Patientin, da waren sich alle einig: Ja, eine Spende wäre in ihrem Sinn gewesen. Aber die Großmutter, die im Ausland lebte und zwei Tage später zur Beerdigung anreisen sollte, sagte ganz klar: Unter keinen Umständen. Dann waren sich alle schnell einig, dass es nicht gemacht wird. Immerhin haben sie sich eindeutig entschieden.

Sie würden also eine Widerspruchslösung befürworten - dass jeder, der nicht widerspricht automatisch Spender wird?

Ich finde, man kann durchaus verlangen, dass sich jeder Gedanken macht und eine Entscheidung trifft. Schließlich erwarten auch die meisten, dass sie ein Organ bekommen, wenn sie krank werden. Man sollte da auch an seine Familie denken, sie sitzen dann am Sterbebett und müssen sich in so einer schlimmen Situation den Kopf zerbrechen, was der Angehörige denn nun gewollt haben könnte.

Wieso haben so wenige Menschen einen Organspendeausweis?

Das liegt sicher auch daran, dass in Deutschland Organspender einfach nicht wertgeschätzt werden - im Gegenteil. Was ich da manchmal von Angehörigen mitbekomme; da gibt es wirklich abstruse Vorstellungen.

Ja?

Ein Ehepaar stand kurz vor seiner Silberhochzeit, fast 25 Jahre waren sie verheiratet, dann starb der Mann plötzlich. Sie hatten vorher eine Kreuzfahrt gebucht, auf die die Frau dann ihre Schwester mitnahm. Später haben sich die Leute im Dorf erzählt, dass die Frau sich das doch nur leisten konnte, weil sie für die Organe bezahlt wurde. Aber das ist Unsinn, keine Familie bekommt dafür Geld! Sie tun das, weil sie anderen helfen wollen. Wenn dann solche Gerüchte entstehen, tut mir das sehr leid.

Wie könnte man das ändern?

Wir Transplantationsbeauftragten können nur immer wieder aufs Neue versuchen mit diesen Vorurteilen aufzuräumen und den Menschen die Angst zu nehmen. Denn es sollte niemand auf der Warteliste sterben. Das habe ich erst vor Kurzem erlebt, eine Patientin, die ich gut kannte, ist mit 30 Jahren gestorben. Mit einer neuen Lunge hätte sie vielleicht eine Chance gehabt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4266876
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.12.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.