Süddeutsche Zeitung

Organspende:Am Ende der Laufzeit

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Der Mensch hat seinen Körper nicht von einer Handelsgesellschaft geleast, er muss ihn nicht nach dem Ende der Laufzeit zurückgeben. Die Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist eine Kernfrage des Menschseins.

Von Heribert Prantl

Deutschland ist ein Land der Geldspender; ein Land der Organspender ist es nicht. Gesundheitsminister Spahn will das ändern, notfalls offenbar mit Zwang, also per Gesetz. Das Anliegen ist richtig. Die Methode ist falsch. Man kann und darf Nächstenliebe nicht per Gesetz erzwingen.

Ein Organspendepflichtgesetz (es ist vor gut zwei Jahrzehnten in Deutschland verworfen worden) sähe so aus: Wer nicht zu Lebzeiten einer Organentnahme ausdrücklich widerspricht - der wird als Verstorbener automatisch zum Organspender. Der Minister verweist darauf, dass die Zahl der Spender in Deutschland sinkt und sinkt. Er verweist sehr zu Recht darauf, dass eine Organspende Leben retten kann: Jedes Jahr sterben in Deutschland tausend Menschen, die vergeblich auf ein gespendetes Organ warten. Gleichwohl darf man ein Spendepflichtgesetz auch als Freund der Organspende für heikel halten. Es ist falsch, diejenigen Menschen gesetzlich unter Druck zu setzen, die ihre körperliche Integrität im Sterben und im Tod gewahrt wissen wollen.

Die Widerspruchslösung läuft darauf hinaus, den Körper ab dem Tod als Ersatzteillager zu betrachten. Das darf nicht so werden. Die Menschenwürde hört mit dem Hirntod nicht auf. Zur Menschenwürde gehört, dass der lebendige Mensch die Integrität seines Leibes auch über den Tod hinaus, auch wenn er die Kontrolle über seinen Körper verloren hat, als selbstverständlich voraussetzen darf. Man darf den Wunsch eines Menschen, seinen Körper unangetastet zu begraben, nicht abqualifizieren, indem man ihn gegenüber dem Interesse, ein anderes Leben zu erhalten, abwertet. Und: Zur Entscheidungsfreiheit, die das Grundgesetz schützt, gehört auch die Freiheit eines Menschen, sich mit seinem Tod nicht zu einem vom Gesetzgeber vorgegebenen Zeitpunkt befassen zu müssen.

Die Widerspruchslösung zwingt ihn dazu. Die Transplantationsmedizin baut auf einem Geschäftsmodell auf, das in Konkurrenz von Ärzten und Kliniken organisiert ist; die Zahl erfolgreicher Operationen entscheidet über das Überleben, das Renommee und den Gewinn. Solange das so ist, ist es leider nicht auszuschließen, dass über Organentnahme und Organtransplantation nicht allein nach edlen humanitären Gesichtspunkten gerechtet wird. Ängste, die daraus resultieren, kann man nicht einfach als blödsinnig abtun.

Peter Dabrock, der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, hat darauf hingewiesen, dass das deutsche Transplantationssystem ein Glaubwürdigkeitsproblem hat. Der Organspendeskandal von 2012 ist noch in schlechtester Erinnerung. Vertrauen schafft man nun nicht per gesetzlicher Anordnung; wenn die Widerspruchslösung per Gesetz erzwungen wird, dürfte dies das Misstrauen eher erhöhen.

Da hilft es auch wenig, wenn ein Gesundheitsminister die Deutschen darauf hinweist, dass die Widerspruchslösung in vielen anderen europäischen Staaten schon Gesetz ist. Das ist in der Tat so: Wer im Urlaub in Österreich oder Italien einen tödlichen Unfall erleidet, befindet sich in einem Land der Widerspruchslösung; er wird gegebenenfalls automatisch zum Organspender. Das muss man wissen; gutheißen und hierzulande kopieren muss man das nicht. Es kann ja gut sein, dass die Menschen in anderen Staaten ihrem Transplantationssystem mehr trauen als hierzulande; hierzulande gilt daher das Prinzip der ausdrücklichen Zustimmung, die gegebenenfalls noch der Angehörige des Verstorbenen erteilen kann.

Gewiss: Wer erwartet, dass er als Kranker ein Spenderorgan bekommt, der sollte als Gesunder selbst bereit sein, zu spenden. Aber aus der Spende darf keine Pflicht werden. Wenn Menschen vor der postmortalen Organspende Angst haben, kann man ihnen diese Angst nicht per Gesetz als ungehörig und unmoralisch austreiben. Es darf keine Organabgabepflicht für den Todesfall geben. Der Mensch hat seinen Körper nicht von einer Handelsgesellschaft geleast, er muss ihn nicht nach dem Ende der Laufzeit zurückgeben. Die Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist eine Kernfrage des Menschseins. Diese Kernfrage soll und darf nicht der Staat für den Menschen beantworten.

Gewiss: Der Staat, der Minister, der Gesetzgeber könnten es sich leicht machen. Sie könnten in die Kiste der juristischen Formeln greifen und den lateinischen Spruch zitieren: Qui tacet, consentire videtur - also: Wer schweigt, wird so betrachtet, als habe er zugestimmt. Das mag bei Kleinkram so angehen; das mag auch so angehen, wenn geschäftliche Beschlüsse im Umlaufverfahren gefasst werden. Aber es geht bei der Organentnahme nicht um Kleinkram; und das Leben und Sterben ist kein Geschäft, das im Umlaufverfahren erledigt werden kann.

"Eigentum verpflichtet", so heißt es im Grundgesetz. Es wäre die wildeste Pervertierung dieses wichtigen Satzes, wenn der menschliche Körper per Transplantationspflicht ökonomisiert und sozialpflichtig gemacht würde.

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SZ vom 04.09.2018
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