Süddeutsche Zeitung

Ungarn:Demokratie unter Quarantäne

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Viktor Orbán setzt auf finstere Methoden, um die Corona-Krise für seinen Machtausbau zu nutzen. In der EU hat derzeit wohl niemand die Kraft zum energischen Einspruch. 

Kommentar von Peter Münch, Wien

Viktor Orbán weiß, wie man mit Angst Politik betreibt. Gelernt und skrupellos angewandt hat Ungarns Ministerpräsident das in der Flüchtlingskrise, nun will er die Bedrohung durch das Coronavirus offenbar zu einem radikalen Ausbau seiner Macht nutzen: den Notstand auf unbestimmte Zeit verlängern, Parlament und Gewaltenteilung aushebeln, regieren per Dekret - das sind die Kernpunkte eines nun im Parlament eingebrachten Gesetzentwurfs. Die Demokratie stünde damit unter Quarantäne.

Noch ist das Gesetz nicht verabschiedet - in einer ersten Abstimmung im Parlament konnte sich Orbán nicht durchsetzen. Doch er nutzt gern die Taktik, weit vorzupreschen, um sich dann wieder halb zurückzuziehen. Doch einen Geländegewinn bedeutet dies jedes Mal, und auf dem Weg zur autokratischen Machtakkumulation ist er damit schon weit vorangekommen. Von der Wirtschaft über die Justiz bis zu den Medien kontrollieren er und die Seinen fast alles in Ungarn, und auch im Parlament kann seine Regierung mit Zweidrittelmehrheit fast nach Belieben schalten und walten.

Gewiss, in diesen Zeiten werden vielerorts die Freiheiten massiv eingeschränkt. Doch in funktionierenden Demokratien darf man noch darauf vertrauen, dass all dies der Virusbekämpfung dient und nach dem aktuellen Ausnahmezustand zurückgenommen wird. In Ungarn aber hat Orbán die Corona-Krise von Beginn an für seine Agenda genutzt, bis hin zu einer von ihm konstruierten "logischen Verbindung" zwischen Migration und Virusverbreitung. Und er hat die Demokratie bereits in den zurückliegenden Jahren so systematisch ausgehöhlt, dass nun der Gesetzentwurf zum Corona-Notstand nicht anders verstanden werden kann als ein Griff nach der unumschränkten Macht.

Als "Viktator" wird Orbán deshalb von seinen Gegnern schon lange geschmäht. Nun bestätigt er wieder einmal die schlimmsten Befürchtungen. In düsteren Zeiten setzt er auf finstere Maßnahmen - und nicht einmal draußen in der EU hat derzeit wohl jemand die Kraft zum energischen Einspruch.

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Quelle:
SZ vom 23.03.2020
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