Ukraine:Europäer wollen Orbán bestrafen

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Juckt’s ihn? Mit seiner „Friedensmission“ hat Viktor Orbán die EU gegen sich aufgebracht. (Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Eine „Friedensmission“ und ihr diplomatisches Nachspiel: Aus Ärger über die Alleingänge des Ungarn streicht die EU-Kommission eine Reise nach Budapest. Und in europäischen Hauptstädten wird noch über andere Boykotte nachgedacht.

Von Hubert Wetzel

Die nicht abgesprochenen Reisen des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán nach Moskau, Peking und zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, bei denen er über angebliche Friedenspläne für die Ukraine gesprochen hat, haben ein diplomatisches Nachspiel. So sagt zum einen die EU-Kommission einen geplanten Besuch in Ungarn ab. Das teilte ein Sprecher der Behörde, die von der Deutschen Ursula von der Leyen geleitet wird, am Montagabend mit.

Traditionell hält das Kommissionskollegium jedes Halbjahr eine seiner Sitzungen in dem Land ab, das die rotierende EU-Ratspräsidentschaft innehat – seit dem 1. Juli und bis zum 31. Dezember ist das Ungarn. Die Verärgerung über Orbáns vermeintliche „Friedensmission“, bei der er vor Trump zunächst den russischen Autokraten Wladimir Putin sowie dessen wichtigsten Verbündeten, den chinesischen Staatschef Xi Jinping, getroffen hatte, ist allerdings in Brüssel so groß, dass die Kommission den Termin streicht. Der Besuch, der schon einmal verschoben worden war, war für den Spätsommer geplant.

Er hat gegen die Loyalitätspflicht verstoßen, so sieht es die EU

Orbán, der die finanzielle und militärische Hilfe der EU für die Ukraine als Kriegstreiberei kritisiert und einen sofortigen Waffenstillstand fordert, war in den Tagen nach der Übernahme der Ratspräsidentschaft zur Freude seiner EU-Kollegen zuerst nach Kiew gereist – sein erster Besuch in der Hauptstadt des überfallenen Lands seit Beginn des Kriegs.

Danach war Orbán allerdings ohne Rücksprache mit den europäischen Partnern nach Moskau zu Putin geflogen, gegen den ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs wegen Kriegsverbrechen vorliegt, sowie im Anschluss nach Peking zu Xi und hatte dort über eine sofortige Waffenruhe und Friedensgespräche in der Ukraine gesprochen. An beiden Orten hatte er durch die Verwendung des Logos der ungarischen Ratspräsidentschaft in seinen PR-Filmchen zumindest den Eindruck in Kauf genommen, er sei im Auftrag der EU unterwegs. Das allerdings war nicht nur protokollarisch falsch, sondern auch inhaltlich.

Nach Einschätzung des Juristischen Dienstes des EU-Ratssekretariats in Brüssel verstieß der Ungar damit gegen die in den EU-Verträgen festgelegte Pflicht jedes Mitgliedslandes, sich „loyal“ gegenüber der Union zu verhalten. Das gelte insbesondere für das Land, das die Ratspräsidentschaft innehat, sagen Diplomaten.

Spaltung oder Geschlossenheit – was wird die EU demonstrieren?

Zwar hatten etliche EU-Regierungen schon während der Reisen klargestellt, dass Orbán nicht im Namen der EU gesprochen hat. Dennoch wird in vielen Hauptstädten nun zusätzlich darüber nachgedacht, der Empörung über Orbáns eigenmächtige „Friedensmission“ durch diplomatische Strafmaßnahmen gegen Ungarn zu unterstreichen. So planen offenbar die baltischen und nordischen Länder, zu den informellen Sitzungen der Fachminister und -ministerinnen, die in den kommenden Monaten in Ungarn tagen, nur noch niederrangige Beamte zu schicken. Die EU-Kommission teilte am Montag mit, sie werde bei diesen Treffen aus Protest gegen Orbáns Reisen ebenfalls nur durch Beamte vertreten sein – nicht durch Kommissare oder Kommissarinnen.

Ein besonderes Augenmerk liegt auf einem für Ende August in Budapest geplanten informellen Treffen der Außen- sowie der Verteidigungsminister der EU. Momentan gibt es in der EU keine einheitliche Linie dazu, ob diese Zusammenkunft boykottiert werden soll. Einige Staaten haben bereits angekündigt, ihre Minister zu schicken; andere werden wohl weniger ranghohe Vertreter entsenden.

In Brüsseler Diplomatenkreisen wird vor einem derartigen Hickhack allerdings gewarnt, das eher die Spaltung der EU dokumentieren würde als deren Geschlossenheit gegenüber Orbán. Eine Möglichkeit, ein derartiges, politisch verwirrendes Reisechaos zu verhindern, wäre, dass der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell – offiziell der Gastgeber der Außen- und Verteidigungsräte – für denselben Zeitpunkt ein formelles Treffen der entsprechenden Ministerinnen und Minister in Brüssel einberuft. Dann könnte das informelle Treffen, zu dem die Regierung in Budapest einlädt, nicht stattfinden. Dem Vernehmen nach will Borrell das tun.

Diplomatisch gesehen wäre dieses Ausbremsmanöver ein deutliches Zeichen der Verstimmung. Ob es Viktor Orbán sonderlich stört, sei dahingestellt. Dessen Diplomaten signalisieren in Brüssel ohnehin schon, dass es mit der Vielfliegerei ihres Regierungschefs nun erst einmal vorbei sei.

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