Süddeutsche Zeitung

Ungarn:CDU und CSU stellen Orbán Ultimatum

  • CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer spricht sich vor der Abstimmung der EVP für eine vorübergehende Suspendierung der ungarischen Fidesz-Partei aus.
  • 13 Parteien aus zehn Ländern hatten den Rauswurf der Partei von Viktor Orbán gefordert.
  • Auslöser war unter anderem das Entsetzen über eine Plakatkampagne der ungarischen Regierung gegen EU-Kommissionspräsident Juncker.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Wenige Stunden vor der Abstimmung in der Europäischen Volkspartei (EVP) über den Ausschluss der ungarischen Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orbán hat die CDU ihre Position deutlich gemacht. Die Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer spricht sich für eine zeitweilige Suspendierung aus. Sie plädiert dafür, dass die EVP Fidesz zwar nicht komplett ausschließen solle, aber die Mitgliedschaft für einige Monate suspendieren könnte und Fidesz Auflagen erfüllen müsste. So blieben etwa ein antieuropäischer Wahlkampf und Attacken auf die EU-Kommission und deren prominente Vertreter ebenso verboten wie Kritik an Parteifreunden.

Die politische Versammlung der christdemokratischen Parteienfamilie kommt am Nachmittag um 15 Uhr im Raum "Jan2Q2" des Europaparlaments zusammen, um über die Zukunft von Fidesz zu beraten. 13 Parteien aus zehn Ländern fordern den Rauswurf oder die Suspendierung von Fidesz - Auslöser war das Entsetzen über eine Plakatkampagne der ungarischen Regierung gegen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und den ungarischstämmigen US-Investor George Soros mit verunglimpfenden Behauptungen über die EU-Migrationspolitik.

Der Position von CDU und CSU kommt zentrale Bedeutung zu - nicht nur, weil CSU-Vize Manfred Weber als EVP-Spitzenkandidat für die Europawahl das unangenehme Thema zur Chefsache machen musste. In der politischen Versammlung der EVP hat die CDU 19 von 261 Stimmen; die Bayern von der CSU kommen auf sieben Stimmen. Vertreter beider Parteien haben klargemacht, dass sie sich auf eine gemeinsame Position einigen werden, und es wird erwartet, dass sich viele Mitgliedsparteien an der deutschen Haltung orientieren. Auch für Christdemokraten aus Skandinavien oder den Benelux-Staaten scheint der Vorstoß der Union akzeptabel zu sein. "Das ist mehr, als wir vor Wochen erwarten durften", sagt einer von ihnen.

Unklar ist, ob Orbán einen temporären Ausschluss akzeptieren würde

Für den seit 2010 regierenden Orbán, der wie AKK nach Brüssel reisen wird, kommt dieser Vorschlag einem Ultimatum gleich, und es gilt als völlig offen, ob der Fidesz-Chef einlenkt. "Ich bin mir relativ sicher, dass der Antrag auf Suspendierung angenommen wird, aber ich bin unsicher, ob Orbán danach nicht die Brocken hinwirft", sagt ein Vorstandsmitglied. Die regierungsnahe Budapester Tageszeitung Magyar Nemzet zitiert eine Quelle aus Regierungskreisen: "Dies wäre die Vorstufe zu einem Ausschluss, und es wäre inakzeptabel." Dem Bericht zufolge hat Orbán für seinen Auftritt eine "markante Rede" vorbereitet, weshalb EVP-Insider vorab von "Showdown" sprachen und an den Western "High Noon" erinnerten.

Kramp-Karrenbauer sagte, dass es "erste anerkennenswerte Schritte" gebe, die einen weiteren Dialog mit Fidesz sinnvoll erscheinen ließen. "Sie reichen allerdings nicht aus, um die auch bei mir nach wie vor bestehenden Zweifel, ob die Fidesz das Verständnis für die gemeinsamen Werte der EVP teilt und auf dieser Grundlage eine zukünftige vertrauensvolle Zusammenarbeit möglich ist, bisher vollkommen auszuräumen", fügte sie hinzu. Orbán hatte für Beleidigungen von EVP-Politikern als "nützliche Idioten" um Entschuldigung gebeten und die umstrittene Plakataktion zumindest teilweise eingestellt.

"Solange Fidesz das Vertrauen nicht vollständig wiederherstellt, kann es nicht bei einer normalen Vollmitgliedschaft bleiben", sagte Kramp-Karrenbauer der Nachrichtenagentur Reuters. "Ein satzungsmäßiges Einfrieren der Mitgliedschaft und der damit verbundenen Rechte [...] wäre ein gangbarer Weg." Während der Suspendierung hätte Fidesz logischerweise kein Stimmrecht in der EVP und könnte keine Personalvorschläge unterbreiten. Zudem soll ein dreiköpfiger "Rat der Weisen" eingerichtet werden, der das Verhalten Orbáns und seiner Partei während der Suspendierung beurteilt. Ihm sollen unter anderem der ehemalige EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy sowie Österreichs Altkanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) angehören.

Juncker für Orbán-Ausschluss

Vor der heutigen Entscheidung hat auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Position bezogen. "Ich rate meinen Parteifreunden [...], dass die Fidesz-Partei von Herrn Orbán ausgeschlossen wird", sagte Juncker im Deutschlandfunk. Die Partei entferne sich von den christdemokratischen Grundwerten. Dieser Auffassung sei er bereits seit zwei Jahren, sagte Juncker, der ebenfalls Mitglied der EVP ist und seit langem scharf von Fidesz attackiert wird. "Und wer sich von den Grundwerten entfernt, der muss sich überlegen, ob er seinen Platz noch in dieser Parteienfamilie hat", sagte Juncker.

Der Vorstoß aus der Union ist als klare Unterstützung der CDU-Chefin für Manfred Weber und dessen Wahlkampf zu sehen. Die Europawahl am 26. Mai ist die erste Wahl für Annegret Kramp-Karrenbauer als Nachfolgerin von Angela Merkel als CDU-Chefin. In der EVP sind viele verärgert, dass der Spitzenkandidat ständig Fragen zu Orbán beantworten muss und nicht über andere Inhalte reden kann. Der Vorschlag der Suspendierung würde Weber und anderen europäischen Christdemokraten das Argument in die Hand geben, dass man sich nicht alles gefallen lasse und den Ungarn gezeigt habe: "Das Maß ist voll." Dass Fidesz auch die Chance auf Rückkehr geboten wird, wird positiv aufgenommen. "Wir sind gute Christen. Wer Reue bekennt, dem wird verziehen", sagt ein EVP-Mann.

Manfred Weber möchte nach der Europawahl 2019 der nächste Chef der EU-Kommission werden, wobei ihm die zwölf Fidesz-Stimmen helfen würden. Andererseits gilt: Sollte Orbán in der EVP bleiben, so wird in Brüssel erwartet, dass einige Skandinavier die Fraktion verlassen. Der Status Quo dürfte Weber die im Europaparlament nötige Unterstützung erheblich erschweren. Neben den Orbán-skeptischen Sozialdemokraten und Liberalen könnte er sogar Stimmen der Grünen brauchen. Deren Fraktionschefin Ska Keller sieht "ein massives Glaubwürdigkeitsproblem" bei Weber.: "Wenn jemand die undemokratische Politik von Orbán gutheißt, wäre das sehr schwierig", sagte sie der SZ.

Bei aller Vorsicht gegenüber Prognosen erscheint eines als gewiss: Ein "Weiter so" wird es nicht geben, heute fällt am frühen Abend zumindest eine Entscheidung. Die Mitgliedschaft von Fidesz in der EVP wird entweder suspendiert oder Orbán verlässt die Parteienfamilie selbst.

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