Viktor Orbán:Wie umgehen mit diesem Mann?

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In Brüssel gilt er als Schande für die EU: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán. (Foto: John Thys/AFP)

Ungarns Regierungschef hat sich den Staat untertan gemacht und bereichert sich schamlos. Zugleich verwendet er jede Kritik aus Brüssel geschickt für seine Propaganda gegen die EU.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Katarina Barley sagt, sie gelte als "public enemy" in Ungarn, als Staatsfeindin. Die Europaabgeordnete der SPD und Vizepräsidentin des Parlaments ist innerhalb der EU als eine der schärfsten Kritikerinnen der Zustände in Ungarn bekannt, einmal hat sie den Ministerpräsidenten Viktor Orbán sogar als "Diktator" bezeichnet. Sie spielte darauf an, dass Orbán den Staat so umgebaut hat, dass er kaum noch von der Macht zu verdrängen ist. Auf Hetzplakaten, die Viktor Orbán aufhängen lässt, sei sie nun zwischen Adolf Hitler und George Soros zu sehen, sagt Barley.

Auch der Europaabgeordnete Daniel Freund hat sich einen einschlägigen Ruf erworben. Der Grüne ist ein Experte für Korruption und als solcher der natürliche Fachmann für Ungarn. In dem Land versickern nach offiziellen Angaben vier Prozent der europäischen Fördergelder in dunklen Kanälen, kein anderes Land bringt es auch nur annähernd auf solche Werte. Freund hat immer wieder angeprangert, wie Orbán, seine Familie und seine Freunde von Fördergeldern der EU profitieren. Wenn er nach Ungarn reist, kann es passieren, dass Parteifreunde von Orbán im Fernsehen sagen: Ungarn habe genug von deutschen Invasoren "in braunen Hemden oder in grünen Hemden".

Mit einigem Zynismus könnte man so viel Prominenz als Kompliment werten. Aber sie ist einfach nur ein Symptom für das deprimierende Verhältnis zwischen Orbán und den Institutionen der Europäischen Union.

Wie umgehen mit diesem Mann? Orbán, Ungarns Ministerpräsident seit 2010, gilt als Schande für die EU. Er hat sich den Staat untertan gemacht und bereichert sich schamlos. Zugleich verwendet er jede Kritik aus Brüssel geschickt für seine Propaganda gegen die EU-Eliten, die sein Land unterjochen wollten. Angeblich hat Oppositionskandidat Péter Márki-Zay bei seinem Besuch in Brüssel im November darum gebeten, die EU möge sich zurückhalten, weil Orbán jede Wortmeldung für Propaganda nutze. Von Manfred Weber, dem Vorsitzenden der EVP-Fraktion im Europaparlament, ist jedenfalls kein Kommentar zu bekommen zu Orbán, der so lange zu seiner Parteienfamilie gehörte.

Orbán trägt die EU-Sanktionen mit, doch er gilt als Putin-Versteher

Spricht man mit Abgeordneten, die sich intensiv mit den Verhältnissen in Ungarn befassen, ist Frustration zu spüren, denn der Krieg in der Ukraine könnte Orbán helfen. Er lässt Flüchtlinge aufnehmen, trägt die EU-Sanktionen gegen Putin in Brüssel mit - und macht zugleich im Land Stimmung gegen die EU. "Orbán ist ein Putin-Versteher und spielt sich nun als Friedenstaube auf, die keine Nato-Waffen durch das Land lässt", sagt Moritz Körner von der FDP. "Wenn eine Mehrheit in Ungarn ihm das Schauspiel abkauft, könnte er knapp wiedergewählt werden."

Freund hat den Oppositionskandidaten gerade im Wahlkampf begleitet und viel Optimismus gespürt. Als ärgerlich empfindet er es aber wie Katarina Barley, dass die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen nicht längst härter gegen Orbán vorgegangen ist und den neuen Rechtsstaatsmechanismus gegen ihn angewandt hat. Der würde es erlauben, in großem Umfang Fördermittel zu sperren. Es hätte der Opposition geholfen, glauben sie.

Die EU-Institutionen und ihre Problemstaaten, es ist eine zähe Geschichte. Seit 2018 läuft im Rat wegen Verstößen gegen die Werte der EU ein sogenanntes Artikel-7-Verfahren gegen Ungarn, schon seit 2017 eines gegen Polen. Es ist das schärfste Schwert der EU, am Ende könnte eine Suspendierung stehen. Aber die Verfahren kommen nicht voran, weil die anderen Mitgliedstaaten in der Mehrzahl kein Interesse haben. Und am Ende, so die Erwartung, würden Polen und Ungarn einander immer Rückendeckung geben.

Was wehtut: Die Kommission hält Geld zum Wiederaufbau nach Corona zurück

Was den beiden Regierungen wirklich wehtut: Weil es keine Fortschritte im Kampf gegen die Korruption (Ungarn) respektive bei der Wiederherstellung einer unabhängigen Justiz (Polen) gibt, hält die Kommission Geld aus dem Corona-Wiederaufbaufonds zurück. In dem Punkt könnten sich die Dinge für die beiden Länder nun in unterschiedliche Richtungen entwickeln.

Mit Polen sei man fast täglich im Gespräch, ist aus der Kommission zu hören. Das Land spielt eine tragende Rolle im Konflikt mit Putin, hat zwei Millionen Flüchtlinge aufgenommen, leidet außerdem unter dem Zusammenbruch der Wirtschaftsbeziehungen mit der Ukraine. Es brauche die 24 Milliarden Euro aus dem Corona-Fonds dringend, deshalb zeichne sich Kompromissbereitschaft ab, heißt es.

Orbán dagegen, für den es um mehr als sieben Milliarden geht, hat kein Interesse, so kurz vor der Wahl auf die EU zuzugehen. Falls er die Wahl gewinne, könne er danach aber gezwungen sein, glaubt Daniel Freund: Orbán habe so viele Wahlgeschenke verteilt, dass das Land so gut wie pleite sei.

Orbán müsste aber wohl sehr große Schritte auf die EU zugehen. In Brüssel gilt es als mögliches Szenario, dass die Kommission schon bald die Corona-Gelder für Polen freigibt, nicht aber für Ungarn, und mehr noch: gegen Ungarn auch den Rechtsstaatsmechanismus einleitet. Dann wären Polen und Ungarn, die vermeintlichen Zwillinge, getrennt, und die Kommission hätte Tatkraft gezeigt.

Ob es so kommt, weiß niemand. Der Krieg in der Ukraine dürfe jedenfalls kein Grund sein, Milde walten zu lassen, findet Katarina Barley. "Gerade weil sich die EU Richtung Osten erweitern will und Westbalkan-Staaten oder auch die Ukraine irgendwann hinzukommen, müssen wir bei rechtsstaatlichen Standards im Inneren hart bleiben", sagt sie. "Das schulden wir auch den Beitrittswilligen, die sich anstrengen, die Standards zu erfüllen."

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