Europäische Union:EU macht Ernst bei Orbán
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Die Kommission ist unzufrieden mit den Reformen des autoritären Regierungschefs von Ungarn. Daher wird die Behörde vorschlagen, Fördergeld in Milliardenhöhe einzufrieren.
Von Björn Finke, Straßburg
Die EU-Kommission ist unzufrieden mit den Reformbemühungen in Ungarn und will daher bis zu 7,5 Milliarden Euro Fördergelder für die kommenden fünf Jahre einfrieren. Die Regierung des autoritären Ministerpräsidenten Viktor Orbán hat bis vergangenen Samstag Zeit gehabt, der Brüsseler Behörde Fortschritte im Kampf gegen Korruption zu präsentieren. Die Kommission hatte mit Budapest 17 Reformen vereinbart, um das Zurückhalten der Mittel abzuwenden. Doch wichtige Maßnahmen seien nicht richtig umgesetzt worden; bei anderen fehlten Informationen, heißt es aus der Kommission. Am Mittwoch kommender Woche soll die Behörde ihre Einschätzung verabschieden - und wird dort wohl empfehlen, tatsächlich Fördermittel zu kappen, wie Insider der Süddeutschen Zeitung sagten.
Die Entscheidung werden dann eine Woche später die EU-Finanzminister treffen. Um das Geld einzufrieren, ist eine sogenannte qualifizierte Mehrheit nötig, was in etwa einer Zwei-Drittel-Schwelle entspricht. Die zu erreichen, könnte schwierig werden. Denn manche ost- und südosteuropäische Regierung fürchtet, selbst einmal wegen Korruptionsproblemen ins Visier zu geraten. Das mindert die Lust, Härte zu zeigen. Die Finanzminister könnten den Strafbetrag auch senken.
Hintergrund ist der neue Rechtsstaatsmechanismus. Der erlaubt es der Kommission, Fördergelder zurückzuhalten, wenn Mängel bei Rechtsstaat und Korruptionsbekämpfung deren ordnungsgemäße Verwendung gefährden. Im April hatte die Behörde das erste Verfahren eröffnet - gegen Ungarn. Im September drohte Haushaltskommissar Johannes Hahn, 7,5 Milliarden Euro einzufrieren, wenn Orbán nicht bis Mitte November 17 Reformen umsetzt, die den Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft verbessern. Die Kürzung würde drei EU-Hilfsprogramme für benachteiligte Regionen betreffen. Diese unterstützen zum Beispiel den Bau von Straßen, Klärwerken und Kinderhorten. Insgesamt soll Ungarn bis 2027 mehr als 34 Milliarden Euro an Regionalförderung oder als Agrarsubvention erhalten.
Vorige Woche, kurz vor Fristende, warnten EU-Diplomaten und Europaabgeordnete unabhängig voneinander, die Kommission plane offenbar, Orbán das Erfüllen der Versprechen zu bescheinigen - obwohl Kritiker viele Mängel bei den Maßnahmen sehen. Diese Befürchtung scheint sich nicht zu bewahrheiten. Dies wäre sehr im Sinne der meisten Europaparlamentarier. Die Abgeordneten wollen die Kommission an diesem Donnerstag in einer Resolution erneut zur Unnachgiebigkeit aufrufen. Die SPD-Abgeordnete Katarina Barley, Vizepräsidentin des Parlaments, sagt dazu, dass Ungarns Reformen bisher nicht "genügen, um Korruption und das Veruntreuen europäischer Gelder zu beenden".
Auch für Corona-Hilfen muss Ungarn Reformen vorweisen
Wie die Abgeordneten beklagt die Kommission ebenfalls seit Jahren Korruption, autoritäre Tendenzen sowie den Abbau von Rechtsstaat und Medienfreiheit in Ungarn. Der Rechtsstaatsmechanismus zielt allerdings ausschließlich auf solche Missstände ab, derentwegen EU-Gelder in den falschen Taschen landen könnten.
Daneben gibt es einen weiteren milliardenschweren Konflikt zwischen Brüssel und Budapest. Ungarn hat sich als einziger EU-Staat noch nicht mit der Kommission auf einen Reform- und Investitionsplan für den Corona-Hilfstopf geeinigt, es geht um 5,8 Milliarden Euro an Zuschüssen bis Ende 2026, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Die Behörde verlangt, dass auch dieser Plan Maßnahmen gegen Korruption und außerdem Justizreformen vorsieht. Hier sollen Meilensteine festgelegt werden: Neue Tranchen werden nur überwiesen, wenn Ungarn diese Zwischenziele erreicht.
Gelingt die Verständigung auf den Reform- und Investitionsplan nicht bis Jahresende, verfallen 70 Prozent der Zuschüsse. Doch offenbar wird die Kommission eine Einigung auf das Konzept verkünden, gleichzeitig mit dem negativen Urteil beim Rechtsstaatsmechanismus. Orbán weiß dann, welche Meilensteine er bei Justiz und Korruptionsbekämpfung erreichen muss, um die Zuschüsse zu erhalten. Sollte Brüssel wegen des Rechtsstaatsmechanismus Milliarden einfrieren, könnten solche Fortschritte ebenfalls helfen, diese wieder loszueisen. Ohne Fortschritte würde es hingegen kein Geld geben.
Polen wartet auch noch auf Corona-Milliarden
Dies zeigt das Beispiel Polen: Die Regierung in Warschau hat sich bereits im Juni mit der Kommission auf den Reform- und Investitionsplan für den Corona-Topf geeinigt. Das Dokument schreibt als Meilensteine Reformen vor, um die Unabhängigkeit der Justiz zu stärken. Ähnlich wie bei Ungarn beklagt die Brüsseler Behörde hier große Defizite. Bislang ist es der nationalkonservativen Regierung aber nicht gelungen, diese Zwischenziele zu erreichen - und von den 22,5 Milliarden Euro an Zuschüssen aus dem Hilfsfonds ist noch nichts geflossen.