Süddeutsche Zeitung

Orbán bei Kohl:Orbán und Kohl verzichten auf Abrechnung mit Merkel

Lesezeit: 2 min

Von Susanne Höll, Ludwigshafen-Oggersheim

So viel Wirbel hatte es vor dem Haus von Helmut Kohl in Oggersheim selten gegeben. Selbst in den Zeiten, als der damalige Bundeskanzler noch Staatschefs wie Michael Gorbatschow daheim empfing, waren das Polizeiaufgebot und die Sicherheitsvorkehrungen nach Erinnerungen altgedienter Journalisten nicht so streng gewesen.

Heute ist Kohl längst nicht mehr Kanzler, sondern ein ziemlich kranker alter Herr. Doch der Besuch des ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orbán und die Fantasien, die diese Begegnung in Berlin, Budapest, der Pfalz und sonstwo weckten, ließen es der Polizei geraten erscheinen, in großer Zahl zu erscheinen. Die Straße ist von beiden Seiten mit grünen Gittern abgesperrt, überall Polizeitransporter. Auf einer Seite behalten die Uniformierten ein kleines Grüppchen der örtlichen antifaschistischen Aktivisten im Auge, nicht einmal zwei Dutzend Leute. Die hatten Plakate mitgebracht, Trillerpfeifen, ein Kleinkind und einen kleinen Hund. Sie pfiffen ab und zu und riefen: "Orbán verpiss dich".

Zwei Straßenecken weiter stehen acht Anhänger der AfD, die Orbán ihrerseits willkommen heißen und ein Ende der Gewalt von links verlangen. Dazwischen warten zahlreiche Medienmenschen, die herausfinden sollen, ob sich im Oggersheimer Villenviertel womöglich eine Anti-Angela-Merkel-Konspiration anbahnt.

Das Treffen löste mittlere Aufregung im politischen Deutschland aus

Kohl und Orbán vereint in der Kritik gegen die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin - dieser Eindruck setzte sich bei nicht wenigen Deutschen fest, nachdem Bild Anfang März über die Visite berichtet hatte. Mittlere Aufregung im politischen Deutschland. Merkel hingegen war sehr gelassen.

Zu Recht, wie man nun weiß. Die beiden Herren lassen - eigentlich unüblich bei Privatbesuchen - nach ihrem gut einstündigen Treffen eine Erklärung verbreiten, wonach es keinerlei Differenzen mit Merkel in der Flüchtlingsangelegenheit gebe. "Entgegen dem Eindruck aus der Presseberichterstattung sehen Helmut Kohl und Viktor Orbán mit ihrer Haltung in dieser Frage im Übrigen keinen Gegensatz zu den Bemühungen auch der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel." Man sehe sich in der Zielsetzung völlig einig. Merkel, die bekanntlich manch wirklich harte Auseinandersetzung mit den beiden Männern erlebt hat, kommentiert das Oggersheimer Treffen freundlich-kühl. Sinnvoll und nützlich sei es gewesen, sagt sie.

Was im Detail und wie genau gesprochen wurde, erfährt man nicht. Auch zeigen sich Kohl und sein Gast nicht gemeinsam auf der Straße. Im Hause Kohl ist aber ein oft für die Bild arbeitender Fotograf zugelassen, der Aufnahmen der zwei im heimischen Arbeitszimmer des Altkanzlers fertigen darf. Orbán mit blauer Krawatte, Kohl mit einem blauen Schal um den Hals, er erscheint sehr gebrechlich.

Kohl habe viel für Ungarn und Europa getan

Und ist es wohl auch wirklich. Als Orbán das Haus Kohls verlässt, geht er auf die Medienschar zu. Die kleine Antifa-Schar ruft über die grünen Absperrgitter wieder ihr "Orban verpiss dich". Vor dem Hauseingang, kaum sichtbar für die meisten Wartenden, sitzt Kohl im Rollstuhl, seine Frau hat ihn durch die Tür geschoben zum Abschied. Die Schreie der Demonstranten kann Kohl vielleicht hören, nicht aber die Worte seines Gastes.

Kohl habe viel für Ungarn und Europa getan, sagt Orbán. Er sei das Symbol für die deutsch-ungarische Freundschaft. Mit seinem Besuch habe er diesem Mann Ehre erweisen wollen. Eine Bitte hat der Ungar noch: Man solle bitte schön nicht versuchen, Kohl in irgendwelche Zankereien zu verwickeln. "Er steht über uns aktiven Politikern", fügt er hinzu.

Und dann noch ein Wort zum gesundheitlichen Befinden des Mannes, den er einst als äußerst vitalen und kraftvollen Politiker kennenlernte. Orbán vergleicht Kohl mit dem im Alter erkrankten Papst Johannes Paul II: "Der Geist und die Aufmerksamkeit sind noch da." Aber sein körperlicher Zustand erlaube es ihm nicht mehr, alle Gedanken auch auszudrücken.

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SZ vom 20.04.2016
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